«Einen der sympathischsten Staatsmänner» nannte Ringier-CEO Marc Walder (52) gestern den deutschen Alt-Kanzler Gerhard Schröder (73). Der Vorgänger von Angela Merkel (63) stellte sich auf Einladung von Helvetia und Ringier in der fünften Ausgabe von «Talk@The Studio» den Fragen von Moderatorin Christine Maier (52) – und sprach im Pressehaus im Zürcher Seefeld Klartext.
Schröder über ...
... die Regierungsbildung in Deutschland:
«Ich halte nicht viel vom Begriff Jamaika-Koalition, das klingt so fröhlich. Ich benutze den Begriff Schwampel – für schwarze Ampel. Und diese wird möglicherweise noch vor Weihnachten zustande kommen. Die Grünen eignen sich als Bettvorleger von Merkel, sie sind nun mal Opportunisten. Aber ob diese Koalition von Dauer sein wird? Ich bedaure, wie die Grünen agieren. Es bekommt der Gesellschaft nicht, wenn die zu konventionell werden.»
... sein Mandat bei Rosneft:
«Ich bin nun Aufsichtsratspräsident des grössten Ölkonzerns der Welt. In dieser Funktion muss ich für das Wohl des Unternehmens sorgen. Und wenn es Sanktionen gibt, muss ich gucken, ob sie gerechtfertigt sind. Ich finde sie nicht gerechtfertigt. Ganz generell halte ich die Sanktionspolitik der EU für falsch angelegt.»
... Russlands Präsident Putin:
«Putin schätzt Frau Merkel ohne Zweifel, sie kommunizieren auch oft miteinander. Das ist nicht das Problem. Aber Russland fühlt sich vom Westen falsch behandelt. Niemand in Russland denkt darüber nach, das Baltikum oder Polen anzugreifen. Deshalb ist es nicht klug, Nato-Truppen ins Baltikum zu verlegen.»
... Flüchtlinge:
«Merkel sagte, wir schaffen das. Sie hätte sagen müssen, wir können das schaffen – aber das heisst, dass wir Milliarden ausgeben müssen, um diese Leute zu qualifizieren. Da sind nicht alles Ärzte und Zahnärzte gekommen. Viele müssen zuerst alphabetisiert werden.»
... die AfD:
«Diese Partei zieht auch Leute mit nazionalsozialistischem Gedankengut an. Aber es ist ein grosser Fehler, sie alle in die Nazi-Ecke zu stellen. Die meisten AfD-Wähler sind einfach rechtskonservativ. Zudem müssen wir aufpassen, die AfD nicht bedeutender zu machen als sie ist.»
... die EU:
«Wir brauchen ein Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Und wir müssen dafür sorgen, den Geburtsfehler der Einheitswährung aufzuheben. Zudem brauchen wir vor allem in der Aussen- und Sicherheitspolitik mehr Zusammenarbeit.»
... den Brexit:
«Cameron hat eine der dümmsten Entscheidungen aller Zeiten getroffen. Weil er Ärger mit der Partei hatte, liess er über ein Referendum abstimmen. Die jungen Städter gingen aber zu wenig an die Urne und die Alten haben noch das Empire vor Augen. Sie werden erleben, dass das ein riesiger Fehler war. Wer will denn jetzt noch in Grossbritannien investieren?»
... das Verhältnis Schweiz–EU:
«Ihr habt eine urdemokratische Tradition. Und wenn ich es richtig verstanden habe, fühlt man sich dem verpflichtet. Also nimmt man lieber in Kauf, die Gesetze der EU zu übernehmen ohne mitzureden. Auch gut. Die Schweiz ist ja in keinerlei Bedrängnis. Die EU hat sich beispielsweise in den Diskussionen mit Schweizer Banken sehr viel zurückhaltender verhalten als die USA.»
... über die Enttäuschung seiner Abwahl 2005:
«Die hatte ich rasch überwunden. Ich konnte sofort wieder als Anwalt arbeiten, übernahm Mandate. Ich brauche immer neue Herausforderungen, bis heute. Wenn ich nichts zu tun habe, verkomme ich.»