Foto: Keystone

Alt Bundesrat Villiger (78) plädiert für Rahmenabkommen
«Es erlaubt uns, der EU fernzubleiben»

Kaspar Villiger (FDP) hat sich in einer flammenden Rede für das Rahmenabkommen mit der EU ausgesprochen. «Sturheit hüben und drüben erschweren zunehmend brauchbare Kompromisse», kritisierte der alt Bundesrat die SP und SVP.
Publiziert: 22.05.2019 um 16:54 Uhr
|
Aktualisiert: 24.05.2019 um 10:42 Uhr
1/7
Das Rahmenabkommen «zu einer Gefährdung unseres Lohnniveaus aufzublasen, ist absurd», sagt alt FDP-Bundesrat Kaspar Villiger.
Foto: Blick
Nico Menzato

Anders als viele andere alt Bundesräte hat Kaspar Villiger (78) seit seinem Rücktritt 2003 zu aktuellen politischen Themen fast immer geschwiegen. An einem von der Denkfabrik Avenir Suisse organisierten Podium hat der ehemalige FDP-Verteidigungs- und spätere Finanzminister jetzt aber Klartext gesprochen.

Der Luzerner hielt am Freitag ein flammendes Plädoyer für die Unterzeichnung des Rahmenabkommens mit der Europäischen Union. Der Vertrag wäre bezüglich Rechtssicherheit «ein Quantensprung», sagte er. Villiger lobt vor allem das ausgehandelte Streitschlichtungsmodell mit dem Schiedsgericht. «Das ist ein Schutz für die Schweiz.» Denn allfällige Gegenmassnahmen der EU, falls die Schweiz eine EU-Anpassung nicht übernehmen wolle, müssten verhältnismässig sein. «Heute kann die EU ungebremst und unverhältnismässig ihre Macht ausspielen», so der ehemalige National-, Stände- und Bundesrat.

Das Beste, um einen EU-Beitritt zu verhindern

Das Rahmenabkommen sei nicht das Nonplusultra, meinte er zwar, aber vertretbar. Gemessen an ihren Prinzipien sei die EU der Schweiz «beachtlich entgegengekommen». Die Bundesräte müssten sich nun einen Ruck geben und ihre Führungsverantwortung wahrnehmen, sagte Villiger gemäss dem «Boten der Urschweiz». Er sieht das Abkommen auch nicht als Vorstufe für einen EU-Beitritt – ganz im Gegenteil: «Das Rahmenabkommen erlaubt uns, ohne allzu grosse Nachteile der EU fernzubleiben.»

Der Bundesrat wird noch vor den Sommerferien – offenbar am 7. Juni – seine weitere Strategie zu den Beziehungen mit der EU darlegen. Gegen das Rahmenabkommen haben die Parteien starke Vorbehalte – von den Bundesratsparteien sagt einzig die FDP Ja.

Die Linke kritisiert, dass der hiesige Lohnschutz erodiere. Villiger dazu: Das Rahmenabkommen «zu einer Gefährdung unseres Lohnniveaus aufzublasen, ist absurd!» Der Lohnschutz betreffe nur etwa 0,6 Prozent unserer Arbeitsmärkte, und die im Abkommen zugelassenen Massnahmen seien – klug umgesetzt – kaum weniger wirksam als das heutige System.

Die Schweiz verharre in einer «trotzigen Scheinsouveränität»

Ohne Rahmenabkommen befürchtet Villiger das schleichende Ende der bilateralen Beziehungen. «Der Status quo ist nicht stabil, weil die Substanz der Bilateralen erodiert, weil die Weiterentwicklung unseres Verhältnisses zur EU blockiert wird und weil unsere Erpressbarkeit durch die EU zunimmt», sagt der ehemalige Verwaltungsratspräsident der UBS in seiner Rede an der Avenir-Suisse-Veranstaltung.

Und weiter: Die «trotzige Scheinsouveränität» werde nicht verhindern, dass sich die Schweiz überstürzt internationalen Regeln fügen müsse. «Viele der Forderungen, die im Nachgang zu einem Abschluss des Rahmenabkommens befürchtet werden, werden auch ohne Rahmenabkommen auf uns zukommen», so der aus einer Zigarrenfabrikanten-Familie stammende Ex-Politiker.

Villiger meint damit eine Übernahme der umstrittenen Unionsbürgerrichtlinie, also einen Ausbau der Sozialleistungen für EU-Bürger in der Schweiz, wie er auf Nachfrage gegenüber BLICK sagt. Aber nicht nur, sondern etwa auch das von der EU angestrebte Verbot staatlichen Beihilfen. 

Der ehemalige FDP-Magistrat (1989 bis 2003) hat generell viele Vorbehalte zur derzeitigen Politik in Bundesbern. Er sprach in seiner Rede von «wachsendem Alterspessimismus» und dass Bern sich wieder daran gewöhne, «Geld mit vollen Händen und ohne echte Priorisierungen auszugeben».

Villiger kritisiert SVP und SP als stur

Scharfe Kritik übte Villiger an der SVP und der SP: «Politische Polarisierung und Sturheit hüben und drüben erschweren zunehmend brauchbare Kompromisse», sagte er. Wahlerfolge würden wichtiger als Problemlösungen, persönliche Beschimpfungen hätten die Auseinandersetzungen mit der Sache ersetzt. Und die systematische Schaffung von Misstrauen gehöre zum Geschäftsmodell der Pol-Parteien. «Das ist Gift für unseren Erfolg.»

Der 78-Jährige glaubt gar, dass das Land eher wegen seiner Politiker als wegen der EU Schaden nehmen könnte: «Im Moment sind unsere Standortbedingungen durch die Risiken eigener wirtschaftspolitischer und politischer Fehlleistungen viel stärker bedroht als durch allfällige Risiken des Rahmenabkommens.»

Viele Lohnkontrollen

Das Rahmenabkommen würde Änderungen beim Lohnschutz mit sich bringen, weshalb die Linke Nein sagt. Gestern vorgestellte Zahlen des Staatsekretariats für Wirtschft (Seco) für 2018 zeigen, dass die Kontrolldichte weiterhin hoch ist. Die Einhaltung der Arbeitsbedingungen wurde bei ingesamt 173'000 Personen und in über 42'000 Betrieben überprüft. Mit einer Quote von 35 Prozent kontrollierten die Behörden mehr als jeden Dritten der entsandten, ausländischen Arbeitnehmer. Zudem 31 Prozent der selbstständigen Dienstleister. In den Schweizer Betrieben blieb Lohn-Dumping mit einer Quote von 13 Prozent gleich hoch wie im Vorjahr. Bei den entsandten Arbeitnehmenden gingen sie von 16 auf 15 Prozent zurück.

Das Rahmenabkommen würde Änderungen beim Lohnschutz mit sich bringen, weshalb die Linke Nein sagt. Gestern vorgestellte Zahlen des Staatsekretariats für Wirtschft (Seco) für 2018 zeigen, dass die Kontrolldichte weiterhin hoch ist. Die Einhaltung der Arbeitsbedingungen wurde bei ingesamt 173'000 Personen und in über 42'000 Betrieben überprüft. Mit einer Quote von 35 Prozent kontrollierten die Behörden mehr als jeden Dritten der entsandten, ausländischen Arbeitnehmer. Zudem 31 Prozent der selbstständigen Dienstleister. In den Schweizer Betrieben blieb Lohn-Dumping mit einer Quote von 13 Prozent gleich hoch wie im Vorjahr. Bei den entsandten Arbeitnehmenden gingen sie von 16 auf 15 Prozent zurück.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?