Alt Bundesrat Pascal Couchepin sagt, was er anders machen würde
«Alain Berset tut mir leid»

Alt Bundesrat Pascal Couchepin stellt der Regierung für die bisherige Krisenführung ein gutes Zeugnis aus. Allerdings: Je länger die Pandemie daure, desto ungemütlicher werde die Situation für Gesundheitsminister Alain Berset.
Publiziert: 29.10.2020 um 19:54 Uhr
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Aktualisiert: 29.10.2020 um 22:10 Uhr
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Gesundheitsminister Alain Berset ist derzeit überall präsent.
Foto: Keystone

Mit 78 Jahren gehört alt Bundesrat Pascal Couchepin eindeutig zur Corona-Risikogruppe. Dass sich der Walliser FDP-Doyen an die Schutzvorgaben hält, liegt auf der Hand: «Ich habe keine Lust zu sterben, nur weil ich an einer Parteiversammlung oder einem kulturellen Anlass unvorsichtig war», sagt er.

Als ehemaliger Gesundheits- und Wirtschaftsminister (1998–2009) hat Couchepin einen speziellen Blick auf die Epidemie und seine Nachfolger in der Regierung. Der Bundesrat habe das Land bisher gut durch die Krise geführt, sagt der Freisinnige in einem Interview mit der Westschweizer Zeitschrift «Illustré».

Berset als Kapitän

Ob er etwas anders gemacht hätte als der amtierende Gesundheitsminister Alain Berset (48)? «Ich hätte mich wahrscheinlich nicht so stark in den Vordergrund gestellt», kritisiert Couchepin seinen Kollegen, der oft in den Zeitungen und am Bildschirm zu sehen ist. Dennoch sei die Situation für Berset nicht einfach. «Er tut mir leid», sagt Couchepin.

Denn aus der ersten Welle sei Berset noch als Sieger hervorgegangen, sein Ansehen sei stark gestiegen. «Aber jetzt, wo die zweite Welle da ist und möglicherweise noch eine dritte auf uns zukommt, wird er es schwer haben, als der Kapitän, der das sinkende Schiff gerettet hat, in die Geschichtsbücher einzugehen.» Das, obwohl es auch ehrenvoll sei, das Schiff zurück in den Hafen zu bringen, ohne alle Passagiere retten zu können.

Angst vor Schulschliessungen

Couchepin, der von 1998 bis 2002 dem Wirtschaftsdepartement vorstand, will allerdings nicht den Teufel an die Wand malen. Es sei jetzt nicht der Moment, im Pessimismus zu versinken, sagt er. Schliesslich sei der Wirtschaftseinbruch, auch dank «Mutter und Vater Staat», nicht so stark wie befürchtet. «Ehrlich gesagt bin ich ziemlich stolz auf mein Land.»

Nur etwas bereitet dem ehemaligen Magistraten Sorgen: die Schulen. «Ich habe Angst, dass eine ganze Generation unter einem Bildungsdefizit leiden wird, wenn wir die Schulen noch mal schliessen müssen.» Couchepin ist selbst Vater von drei erwachsenen Kindern. Das Politisieren überlässt er heute jedoch grösstenteils seiner Tochter Anne Laure Couchepin Vouilloz (43, FDP), die Stadtpräsidentin von Martigny VS ist.

Kampf gegen Kovi

Das «Animal Politique» ist dennoch nicht ganz aus dem FDP-Doyen gewichen – insbesondere die Konzernverantwortungs-Initiative (Kovi), die am 29. November zur Abstimmung kommt, treibt ihn derzeit um. Die Initiative will, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz dafür haften, wenn ihre Tochterfirmen oder andere kontrollierte Unternehmen im Ausland gegen Menschenrechte oder Umweltstandards verstossen.

«Diese Initiative ist unanwendbar», wettert Couchepin. Die Schweiz subventioniere etwa mit öffentlichen Geldern Elektrofahrzeuge. «Aber wie soll man in Bolivien Lithium für Batterien gewinnen, ohne die Umwelt im weitesten Sinne zu beschädigen?» Die Schweiz und insbesondere die «linken Gutmenschen» würden mit der Initiative eine Industrie bestrafen, die wir alle subventionieren würden.

Freisinniges Duell

Nebst linken Parteien und Hilfswerken engagieren sich auch bürgerliche Politiker für die Konzernverantwortungs-Initiative. Am prominentesten in Erscheinung tritt der ehemalige Tessiner FDP-Ständerat und Staatsanwalt Dick Marty (75).

«Ich habe grossen Respekt für Dick Marty», sagt Parteikollege Couchepin – um dann gleich den Zweihänder auszupacken. Marty habe im Abstimmungskampf jegliches Mass verloren: «Wie er Bundesrätin Karin Keller-Sutter angreift, schockiert mich.»

Marty erinnere ihn an den französischen Revolutionär Maximilien de Robespierre (1758–1794), «der die Menschen enthauptete, um sicherzugehen, dass die Tugenden der Republik durchgesetzt werden». Die Befürworter der Konzernverantwortungs-Initiative täten so, als würde sich die ganze Welt an der tugendhaften Schweiz ausrichten.

Dass Couchepin das Provozieren nicht verlernt hat und den Bogen zuweilen überspannt, zeigte er auch kürzlich, als er in einem Interview mit der Westschweizer Zeitung «Le Temps» die Grüne Ständerätin Lisa Mazzone (32) mit dem US-Präsidenten Donald Trump (74) verglich. (til)

Darum geht es bei der Konzernverantwortungs-Initiative

Am 29. November stimmt die Schweiz über die Konzernverantwortungs-Initiative ab. Sie will, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz dafür haften, wenn sie, ihre Tochterfirmen oder andere kontrollierte Unternehmen im Ausland gegen Menschenrechte oder Umweltstandards verstossen. Im Rahmen einer Sorgfaltsprüfung müssen Unternehmen künftig mögliche Risiken erkennen und geeignete Massnahmen dagegen ergreifen. Diese Sorgfaltspflicht gilt für alle Unternehmen in der Lieferkette.

Dagegen sind Bundesrat und Parlament. Sie argumentieren, dass ein Ja ein Alleingang der Schweiz wäre, der vor allem dem Wirtschaftsstandort schaden würde. Dem Nein-Lager gehören CVP, FDP und SVP an, dazu kommen die Wirtschaftsverbände, allen voran der Dachverband Economiesuisse. Sie befürchten eine Schwächung der Schweizer Unternehmen, den Rückzug von KMU aus Entwicklungsländern, zu viel Bürokratie und erpresserische Klagen.

Dafür sind neben den über hundert Nichtregierungsorganisationen, welche die Initiative ergriffen haben, SP, Grüne, GLP, EVP und BDP. Dazu kommt ein bürgerliches Komitee mit Vertretern von CVP und FDP.

BLICK beantwortet hier die wichtigsten Fragen zur Initiative.

Am 29. November stimmt die Schweiz über die Konzernverantwortungs-Initiative ab. Sie will, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz dafür haften, wenn sie, ihre Tochterfirmen oder andere kontrollierte Unternehmen im Ausland gegen Menschenrechte oder Umweltstandards verstossen. Im Rahmen einer Sorgfaltsprüfung müssen Unternehmen künftig mögliche Risiken erkennen und geeignete Massnahmen dagegen ergreifen. Diese Sorgfaltspflicht gilt für alle Unternehmen in der Lieferkette.

Dagegen sind Bundesrat und Parlament. Sie argumentieren, dass ein Ja ein Alleingang der Schweiz wäre, der vor allem dem Wirtschaftsstandort schaden würde. Dem Nein-Lager gehören CVP, FDP und SVP an, dazu kommen die Wirtschaftsverbände, allen voran der Dachverband Economiesuisse. Sie befürchten eine Schwächung der Schweizer Unternehmen, den Rückzug von KMU aus Entwicklungsländern, zu viel Bürokratie und erpresserische Klagen.

Dafür sind neben den über hundert Nichtregierungsorganisationen, welche die Initiative ergriffen haben, SP, Grüne, GLP, EVP und BDP. Dazu kommt ein bürgerliches Komitee mit Vertretern von CVP und FDP.

BLICK beantwortet hier die wichtigsten Fragen zur Initiative.


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