Moritz Leuenberger (72) und die Medien – Liebe war das nie. Unvergessen die Szene, als der damalige Verkehrsminister im Sommer 2001 TV-Journalisten Red und Antwort stand und vor laufender Kamera ausrastete: «Das isch doch en Scheiss.» Dass er jetzt «irgenden Seich» erzählen solle «vor unvorbereitete Journalischte», ging dem Zürcher gehörig auf den Wecker.
Spricht man Leuenberger heute auf sein Verhältnis zu den Medien an, gibt er unumwunden zu, schwierig gewesen zu sein. «Ich hatte einen fürchterlichen Ruf», gesteht er.
«Nicht immer ein Sonntagsgesicht»
Und er weiss immer noch nicht so recht, woran das gelegen hat. An den Kampagnen gegen ihn, an übergrosser Empfindlichkeit, an seinem ungeduldigen Wesen? «Ach was», wischt Leuenberger Letzteres beiseite, «Ungeduld – das behauptet jeder Manager von sich und meint es als Eigenlob. Ich verzichte auf solche Selbstcharakterisierungen.» Was bleibt dann als Erklärung? «Na ja», sucht er nach Worten, «also, ich hab – ich hab eben nicht immer nur ein Sonntagsgesicht.»
BLICK zeigt er aber sein Sonntagsgesicht. Schliesslich ging BLICK vor allem in Leuenbergers Anfangsjahren in Bern pfleglich mit ihm um, das zeigt ein Gang ins Archiv. Doch damals war der SP-Nationalrat als Präsident der Fichen-PUK ja auch ein Volksheld.
Dass der Staatsschutz mehr als 900'000 Dossiers über seine Bürger angelegt hatte, erschütterte das Land – und machte Leuenberger zu einer wichtigen Figur auf der grossen Politbühne. «Fichen-Supermann» nannte der BLICK ihn. «Es war sicher ein zentraler Moment in meinem Leben», so Leuenberger. Als Leistung empfindet er es, dass der Bericht von der Kommission einstimmig verabschiedet wurde – über alle Parteigrenzen hinaus. Das habe ihm im Bundeshaus Achtung verschafft.
«Moritz maximal!», titelte der BLICK
«Schade, dass Sie nicht Bundesrat sind!», fand im März 1990 Leserin Christine Strub am BLICK-Telefon, als der «Supermann» zum Fichen-Skandal Auskunft gab. Nun, Frau Strub musste noch knapp fünfeinhalb Jahre warten – am 27. September 1995 wurde Moritz Leuenberger in den Bundesrat gewählt.
Und auch hier war BLICK euphorisch: Leuenberger sei für das Amt «möglicherweise zu brillant», schrieb die Zeitung kurz vor der Wahl, «Moritz maximal!» danach. Dass der BLICK Leuenberger-Fan gewesen sei, will der Hochgelobte aber nicht unterschreiben. Denn auch im BLICK sei «Zeugs» geschrieben worden, das hinten und vorne nicht gestimmt habe.
Das grosse Geheimnis
Doch das Schlimmste habe er jeweils verhindern können, rückt Leuenberger mit einem Geheimnis heraus: «Jetzt kann ich es ja verraten: Ich hatte einen Spion im BLICK!»
Wie bitte? Ja, erklärt Leuenberger mit diebischer Freude: BLICK-Sex-Kolumnistin Eliane Schweitzer (1943–2012) sei seine Cousine gewesen. «Sie war meine Spionin, die mir immer Bescheid gegeben hat, wenn wieder etwas gegen mich geschmiedet wurde.»
Auch im Bundesrat blieb Leuenberger gutes Boulevard-Material, wenn man so despektierlich sein darf. Nicht nur, weil sein Privatleben immer wieder eine gute Schlagzeile hergab. Als BLICK am 5. November 2003 die «heimliche Heirat» des Bundesrats auf die Titelseite hievte, war der Bräutigam nicht gerade erfreut. «Drum hab ich es ja heimlich gemacht.»
Aber er gibt zu, dass ein Artikel über seine Hochzeit nicht nur seichte Unterhaltung war, sondern eine politische Bedeutung hatte. Denn er war der erste Geschiedene, der in den Bundesrat gewählt wurde. «Franz Steinegger war zuvor noch genau an dieser Frage gescheitert. Das öffentliche Interesse war daher gerechtfertigt.»
Er schnüffelte sogar am Auspuff
Boulevardtauglich war Leuenberger auch, weil er jenes Departement führte, dessen Themen den Leuten am nächsten liegen: Verkehr, Energie und später noch Umwelt. Das Post- und SBB-Departement also. Leuenberger gibt freimütig zu, dass er, der studierte Anwalt, anfangs keine Ahnung von diesen Themen hatte. Doch die Arbeit eines Bundesrats sei vor allem Übersetzungsarbeit.
Man müsse kein Spezialist sein, der ein Gesetz in allen Details versteht. Aber man müsse es gut erklären können. Und dabei war sich Leuenberger für nichts zu schade. Er legte sich auch auf den Asphalt und schnüffelte an einem SUV-Auspuff, um neue CO2-Vorschriften zu bewerben.
Die Ironie brachte ihn in Teufels Küche
Dennoch: Der klassische Volksliebling war Leuenberger nie. «Ich habe nicht die direkte Sprache von Willi Ritschard und kann auch nicht so auf Leute zugehen wie Emilie Lieberherr oder Adolf Ogi. Das liegt mir nicht.»
Was Leuenberger auszeichnet, ist das Intellektuelle, das von spielerisch bis ätzend variieren kann. Der feine Sinn für Ironie, eine Rede anlässlich einer Autobahneröffnung mit den Worten «Verehrte Feldhasen, liebe Zugvögel» zu beginnen. Die spitze Zunge, die «10 vor 10»-Moderator Stefan Klapproth (61) fragt, ob er denn vorbereitet sei auf das Interview mit ihm.
Als Bundesrat hat ihn dieser Wesenszug mehr als einmal in Teufels Küche gebracht. «Mit der Ironie bin ich oft ins offene Messer gelaufen», gibt Leuenberger zu. Zu viel davon vertrage es nicht in diesem Amt. «Leute, die das nicht kennen, fühlten sich auf die Schippe genommen. Das habe ich erst lernen müssen.»
Er brillierte im Schweizer Unglücksjahr
Gegeben war ihm das Staatsmännische. Gelegenheit, das zu beweisen, hatte er 2001, als sich sein Präsidialjahr zum wahren Unglücksjahr entwickelte: 9/11, das Zuger Attentat, das Inferno im Gotthard-Strassentunnel, das Swissair-Grounding.
Leuenberger fand jedes Mal die richtigen Worte, um dem Entsetzen Ausdruck zu verleihen. «Einfach war das nicht, aber es war meine Aufgabe. Ich empfand es als Pflicht, nicht einfach Plattitüden von mir zu geben.»
Doch das ist das Aussenbild. Wie sehr hat ihn das Horror-Jahr persönlich belastet? «Das durfte es nicht», sagt Leuenberger lapidar. «Als Bundespräsident hatte ich die Aufgabe, der Sprachlosigkeit der fassungslosen Menschen eine Sprache zu geben. Da ist die eigene Befindlichkeit sekundär.» Doch, gibt der Pfarrerssohn zu, mit der Zeit hänge das schon an: «Jedes Mal, wenn das Telefon läutete, zuckte ich innerlich zusammen und schickte ein Stossgebet zum Himmel: ‹Bitte nicht schon wieder ein Unglück!›»
Der Ton wird rauer
Wer Leuenberger nach seinem grössten Erfolg fragt, erhält eine unerwartete Antwort. Nicht der Gotthard-Durchstich war es. Sondern das Verkehrssicherheitspaket Via Sicura. Der ehemalige Verkehrsminister wollte um alles in der Welt die Zahl der Verkehrstoten senken. «Die Verminderung von Leid ist für mich wichtiger, als dass man schneller ins Tessin kommt.»
Mit seinem Rücktritt aus dem Bundesrat wurde das Verhältnis zwischen Leuenberger und den Medien nicht besser. Es schadete, dass er direkt danach ein Verwaltungsratsmandat beim Baukonzern Implenia annahm. «Ist Leuenberger ein Heuchler?», fragte der BLICK damals.
Leuenberger sagt heute: «Das war ein Fehler. Aber man könnte meine Einsicht nach zehn Jahren auch mal akzeptieren.» Er findet es immer noch ungerecht, dass er dafür so einstecken musste: «Ogi ist zu einer Baufirma gegangen, Ex-Landwirtschaftsminister Deiss ging zu Emmi. Darüber hat kein Mensch geredet.»
Einmal Bundesrat, immer Bundesrat
Er habe eben einfach weiterschaffen, weiterstrampeln wollen. Denn ja, nach dem Rücktritt sei er in eine Depression verfallen. «Als ich plötzlich nichts mehr zu tun hatte, nachdem ich jahrelang 24 Stunden eingespannt war, fiel ich in ein Loch. Aber», wischt er beiseite, «auch das ist vorbei.»
Wobei: So ganz streife er das Amt nicht ab. «Ich kann meine Vergangenheit nicht leugnen. Ich kann nie auf die Strasse, ohne als Bundesrat angesprochen zu werden.» Ist er wenigstens innerlich gelassener als früher? «Gelassener», sagt Leuenberger und verabschiedet sich mit einem typischen Leuenberger-Satz: «Ein Mensch, der immer nur gelassen ist, ist doch grässlich.»