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Alt Bundesräte Dreifuss und Ogi warnen vor Männerdominanz
Darum brauchts Frauen im Bundesrat

Die Frauenfrage überstrahlt die Bundesratswahl vom 5. Dezember. Doch was bewirkten Frauen im Bundesrat überhaupt? Alt Bundesrätin Ruth Dreifuss (78) und ihr ehemaliger Bundesratskollege Adolf Ogi (76) erinnern sich – und warnen vor Männerdominanz. Dreifuss plädiert für «mindestens drei Frauen im Bundesrat».
Publiziert: 23.11.2018 um 00:35 Uhr
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Aktualisiert: 24.11.2018 um 10:42 Uhr
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Fertig Herrenklub Bundesrat: Ruth Dreifuss schwört den Amtseid nach ihrer Wahl zur Bundesrätin am 10. März 1993 in Bern. Heute sagt sie: «Als ich Bundesrätin wurde, brachte ich eine völlig andere Lebenserfahrung mit, als ein Mann es getan hätte.»
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Cinzia Venafro

Er weiss, was es heisst, die Schweiz nur unter Männern zu regieren. Und sie, was es bedeutet, als einzige Frau mit Männern ein Land zu führen. Adolf Ogi (76), Bundesrat von 1987 bis 2000. Und Ruth Dreifuss (78), nach Elisabeth Kopp (81) die zweite Landesmutter von 1993 bis 2002.

Ogi: «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Bundesrätinnen weniger nachtragend sind.»

Welchen Unterschied machte eine Frau im Bundesratszimmer? Einen riesigen, erinnern sich die Genferin und der Berner Oberländer. «Frauen regieren geistreicher und gspüriger. Zudem sind sie konsensfähig und lösungsorientiert. Keine Regel ohne Ausnahme», sagt Adolf Ogi. Seine Bundesratskolleginnen seien kollegialer gewesen. Er sagt: «Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Bundesrätinnen kompromissfähiger und auch weniger nachtragend sind als Bundesräte.»

Eine Frau habe aber «keine Verpflichtung, anders zu regieren. Sie bringt sich einfach voll mit ein», widerspricht Ruth Dreifuss. Trotzdem: Solange nur eine Frau im Bundesrat mitregiere, reduziere man sie auf einfach diese Vertretung. «Es ist grundfalsch, eine Bundesrätin einfach als Vertreterin der Frauen zu betrachten», sagt Dreifuss. «Ich hatte das Glück, nach sieben Jahren endlich eine Bundesratskollegin zu erhalten. Und da merkten die anderen plötzlich, dass es ‹die Frau an sich› nicht gibt.» Darum brauche es dringend ein «schön gemischtes Gremium, mit mindestens drei Frauen».

Eine einzige Frau – oder auch ein einziger Mann – im Bundesrat sei «zu vermeiden», betont Ogi. Er erinnert sich: «Elisabeth Kopp hätte es damals sicher geholfen, wenn sie sich mit einer Frau im Bundesrat hätte austauschen können.»

Dreifuss: «Wir laufen Gefahr, wieder in die alten Gewohnheiten zurückzufallen!»

Trotzdem: Die Sichtbarkeit von Frauen in der Spitzenpolitik habe abgenommen, bedauert Ruth Dreifuss. Obschon dank dem CVP-Frauenticket ab 5. Dezember mindestens zwei Frauen in der Regierung sein werden. Dreifuss warnt: «Wir laufen Gefahr, wieder in die alten Gewohnheiten zurückzufallen!»

Darum plädiert sie für Frauensolidarität. «Meine Wahl war damals die direkte Folge eines grossen öffentlichen Druckes – ich erinnere an die Strassenproteste und den Frauenstreik. Dieses gemeinsame Aufstehen brauchte es damals. Und auch Ende 2018 müssen wir Frauen immer noch Gleichstellung, gleiche Chancen und gleichen Lohn fordern.»

Dreifuss: «Ogi hat mir damals die Bundesratsspielregeln beigebracht. Das war gelebte Kollegialität.»

Gefördert wurde Ruth Dreifuss kurz nach ihrer Wahl auch vom damaligen Bundespräsidenten Adolf Ogi. «Wir trafen uns im tiefsten Emmental und ich erklärte ihr bis Mitternacht, wie das alles genau funktioniert im Bundesrat», erinnert er sich. Und Dreifuss ergänzt: «Dölf Ogi hat mir damals die Bundesratsspielregeln beigebracht. Das war gelebte Kollegialität. Dieser Abend im Emmental legte die Basis für eine sehr schöne Bundesratszusammenarbeit – über Geschlechtergrenzen hinweg. Es hat uns beide sehr bereichert.»

Im Hinblick auf die kommenden Bundesratswahlen vom 5. Dezember sagt Adolf Ogi: «Der Erwartungsdruck für die neuen Bundesräte oder Bundesrätinnen ist riesig. Sie sollen dazu beitragen, dass unsere Regierung kompromissfähig bleibt.»

Doch vor einem Fehler warnt Ruth Dreifuss: «Frauen haben noch immer den Eindruck, sie müssten es besser machen als der Mann, um wirklich zu zeigen, dass sie am richtigen Platz sind.» Es werde noch Zeit brauchen, bis «wir das überwunden haben. Ich hoffe so sehr, dass unsere Nachfolgerinnen einst verinnerlicht haben: Dieser Platz steht uns zu! Wir müssen nicht beweisen, dass wir ihn verdienen.»

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