Stalking kann jeden treffen: Wenn ein Verehrer es mit seiner Angebeteten mehr als nur gut meint und durchdreht. Wenn Eltern ihre Kinder ausspionieren und verfolgen. Oder wenn der Nachbar ein kurzes Mit-der-Zunge-über-die-Lippen-fahren vor der Haustüre als laszives Liebesangebot deutet und Tausende Mails schreibt.
«Stalking umfasst ein sehr breites Feld von Handlungen, die mit unerwünschter Kontaktaufnahme zu tun haben», erklärte Sylvie Durrer (58), Direktorin des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann, an einer nationalen Stalking-Konferenz in Bern. Weil in der Schweiz Stalking kein Straftatbestand ist, gibt es keine Kriminal- und Strafurteilsstatistiken.
Junge und Ex-Partner stalken am häufigsten
Laut Durrer legen Umfragen aus dem Ausland aber nahe, dass Stalking in der Schweiz weiter verbreitet ist als bisher angenommen. Jede sechste Frau und jeder zwanzigste Mann sollen schon Erfahrungen damit gemacht haben. Ein erhöhtes Risiko haben aufgrund der sozialen Medien junge Menschen, aber auch frisch Getrennte, Ärzte oder Anwälte.
Das Gewaltrisiko ist nicht von Geschlecht, Alter oder Status abhängig – weder beim Opfer noch beim Täter. Besonders beunruhigend: Kommt es zu schweren Gewalttaten, war der Stalker vorher meist unauffällig.
Wie gross die Hilfe ist, hängt oft vom Wohnort ab
Enorm wichtig ist, dass Stalking-Opfer schnell Hilfe erhalten. In der Schweiz gibt es jedoch gerade mal eine spezialisierte Fachstelle. Selbst das frühe Eingreifen durch die Polizei ist nicht in allen Kantonen üblich – nur 15 Kantone sehen Massnahmen für (gewisse) Stalking-Formen vor, zudem variiert die Dauer der Schutzmassnahmen. Auch richterlich verordnete Täterkurse sind im Gegensatz zu Deutschland nicht üblich.
Es gibt jedoch die Gefährderansprache. Die Polizei zeigt dabei Stalkern die strafrechtlichen Folgen und Hilfsangebote. Auf diese schnelle unmittelbare Hilfe sprechen aber nicht alle an: Manche rufen die Polizei lieber selber, wenn sie nachts wieder einmal in einem Hauseingang lauern und geniessen die Aufmerksamkeit.
Bundesrat und Parlament wollen handeln
Ein umso wichtigerer Schritt war ein Gesetzesartikel, der es erlaubt, Annäherungs-, Rayon- und Kontaktaufnahmeverbote zu verhängen, wie Jeanne DuBois sagt, Rechtsanwältin mit 30 Jahren Erfahrung mit häuslicher Gewalt und Stalking.
Der Bundesrat plant hier weitere Verschärfungen, etwa, indem elektronische Fussfesseln und Armbänder für Stalker erlaubt und die Kostenfolgen für Opfer gesenkt werden. Sie sollten nächstes Jahr im Parlament gute Chancen haben, wie Nationalrätin Yvonne Feri (51) gegenüber BLICK meint.
«Das ist ein Anfang, quasi der Spatz in der Hand», so die Aargauer SP-Nationalrätin. Sie liebäugelt nach der Ratifizierung einer EU-Konvention durch die Schweiz mit Vorstössen, die Stalking für strafbar erklären oder ein nationales Gewaltschutzgesetz einführen und die Probleme mit dem Föderalismus sowie der Finanzierung lösen könnten.