Der Europarat ist in Aufruhr: Vertreter der altehrwürdigen Institution in Strassburg (F), die seit Jahrzehnten dem Frieden und der Einhaltung der Menschenrechte dient, haben den syrischen Diktator Bashar al-Assad (51) besucht!
Ausgerechnet Assad! Einen Mann, der die Verantwortung für den blutigsten Bürgerkrieg der Neuzeit trägt und seit sechs Jahren das eigene Volk auf die Schlachtbank führt. Die Reise fand mit Rückendeckung Russlands statt. Angeführt von keinem Geringeren als dem Präsidenten der Strassburger Versammlung, dem Spanier Pedro Agramunt (65) traf die Gruppe am 20. März in Damaskus ein. Mit dabei: Jordi Xuclà (43), ebenfalls aus Spanien, der Belgier Alain Destexhe (58), Politiker aus mehreren europäischen Ländern und Vertreter des EU-Parlaments.
«Der ganze Trip stinkt zum Himmel»
So geht es aus mehreren Mails hochrangiger Mitglieder des Europarats hervor, die SonntagsBlick einsehen konnte. Darin machen sie ihrer Empörung lautstark Luft: «Dafür gibt es keine Entschuldigung», schreibt ein Parlamentarier an einen Teilnehmer der Reise. Und fährt bestürzt fort: «Die Syrer und die Russen sagen nun, dass die Delegation Assad gegen die EU unterstützt.»
Auch Alfred Heer (55), SVP-Nationalrat und einer der Schweizer Vertreter im Europarat, ist entsetzt: «Der ganze Trip stinkt zum Himmel!!» Die «naiven» Europäer hätten sich zu Marionetten der russischen Propaganda herabwürdigen lassen, sagt der Zürcher, und ihre Kollegen in Strassburg nicht einmal vorab informiert. «Solche Politiker haben im Europarat nichts verloren!»
Der russische Sender TV1 inszenierte die Reise denn auch als wichtigen Durchbruch – quasi als Anerkennung der Politik Putins im Nahen Osten: «Das ist der erste Besuch westlicher Politiker eines derart hohen Ranges», jubelte der Nachrichtensprecher. Bislang habe europäischen Politikern nur ein einziger Informationskanal über die Ereignisse in Syrien zur Verfügung gestanden, «die westlichen Medien, diejenigen, die Russland für alles die Schuld geben».
Von der wichtigen Institution zum politischen Friedhof
Moskau habe die ganze Reise geschickt eingefädelt, sagt Heer. «Die wissen genau, wie man die Leute einseifen muss.» Die Europapolitiker seien in russischer Begleitung gereist – darunter Repräsentanten, die seit Russlands weltweit verurteilter Annexion der Krim auf der Sanktionsliste der EU stehen. «Der Europarat war einst eine wirklich wichtige Institution», resümiert Heer, «doch heute ist es ein politischer Friedhof.»
Nach dem Zweiten Weltkrieg sei das Gremium als Garant der Menschenrechte aufgetreten. Wie die Reise nach Syrien zeige, seien diese Ideale jedoch in Vergessenheit geraten. Die Schweizer Vertreter kämpften zwar weiterhin für die ursprüngliche Idee des Europarats. Doch den Spanier Xuclà beispielsweise möchte Heer an der nächsten gemeinsamen Sitzung im April gleich selbst zur Brust nehmen. Xuclà ist Fraktionspräsident der Alliance of Liberals and Democrats for Europe Group (ALDE) im Europarat, als deren Vizepräsident Heer amtet. Ob seine Intervention viel bewegen wird, ist fraglich, wie der langjährige SVP-Parlamentarier weiss.
«Manchmal denke ich, wir stehen auf verlorenem Posten», sagt er resigniert. «Eigentlich müsste die Schweiz austreten.»