Vor 99 Jahren im Saal des Berner Bierhübeli: Der Bauer Rudolf Minger (†1955) gibt den Anstoss zur Gründung der Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB), aus der später die SVP hervorgeht. 2016 ist die Volkspartei die wählerstärkste politische Organistation im Land. Sie bekommt jetzt einen neuen Chef: Bauernsohn und Agronom Albert Rösti (48) übernimmt am 23. April das Präsidium. Wer ist der Berner Nationalrat, der jetzt an Spitze der SVP steht? SonntagsBlick traf den Nachfolger von Toni Brunner am Gründungsort der Partei im Berner Länggassquartier.
Herr Rösti, wie viel Minger steckt in Ihnen?
Albert Rösti: Unsere Herkunft ist tatsächlich ähnlich. Aber mit ihm vergleichen will ich mich lieber nicht. Das wäre vermessen. Man soll sich nie überschätzen.
Ein andere SVP-Legende ist Christoph Blocher. Er steht in intensivstem Kontakt mit «Weltwoche»-Chef und Nationalrat Roger Köppel, wie wir jetzt alle wissen. Und mit Ihnen?
Wir stehen in engem, gutem Kontakt, wenn auch nicht täglich. Aber wenn ich Parteipräsident bin, kann das ja noch ändern (schmunzelt).
Blocher ist zwar nicht mehr Vizepräsident, wirkt in der Parteileitung aber weiter mit. Ist eine SVP ohne ihn für Sie vorstellbar?
Nach dem Rücktritt von Toni Brunner machte ich mir etwas Sorgen. Geht jetzt die ganze Parteiführung gleich mit? Das wollte ich verhindern. Es war mir ein Anliegen, dass Christoph Blocher als Strategiechef sein Wissen und Erfahrung in die Parteileitung einbringt. Ja, er wird weiter eine wichtige Rolle in der SVP spielen. Dafür bin ich ihm auch dankbar.
Blocher bringt nicht nur Wissen, sondern auch Geld. Die SVP ergriff das Referendum gegen die Asyl-Revision. Jetzt gibt es keine bezahlte Kampagne Ihrer Partei. Warum kneift die SVP?
Wir machen eine Kampagne, in die wir unser ganzes Herzblut investieren – aber wir verzichten auf Inserate und auf Plakate im bezahlten Raum. Wir wollen verhindern, dass die Abstimmung wie bei der Durchsetzungs-Initiative wieder ein Plebiszit «SVP – Ja oder Nein» wird. Am Schluss ging es doch nur noch darum, der SVP eins auszuwischen, statt zu argumentieren. Dieses Mal sollen die Fakten, nicht eine Anti-SVP-Polemik entscheiden. Das ist Grund für unsere Strategie.
Haben Sie nicht einfach Angst, wieder mit abgesägten Hosen dazustehen? Unterzugehen wie bei der Durchsetzungs-Initiative im Februar?
Alle gegen einen und wir holten 41 Prozent. So schlecht war das nicht. Nein, ein Ja zur Asyl-Revision hätte fatale Folgen. Wir sind überzeugt, dass das die Bevölkerung auch ohne Kampagne im bezahlten Raum versteht. Die Argumente sind erdrückend.
Was macht Sie so sicher?
Nehmen wir an, der Bundesrat und die anderen Parteien haben Recht. Die Verfahren werden tatsächlich beschleunigt. Was nützt das, wenn die Leute trotzdem das Land nicht verlassen? Das Problem ist heute der Vollzug! Viel zu viele bleiben, trotz negativem Asylentscheid. Hier muss man ansetzen.
Was will die SVP tun?
Das, was die meisten europäischen Länder wie Österreich im Augenblick tun. Wir müssen sicherstellen, dass möglichst wenig Illegale unsere Grenze überqueren und überhaupt in den Prozess kommen. Sind sie mal hier, verlassen auch Wirtschaftsmigranten das Land nicht mehr.
Das heisst?
Grenzkontrollen wieder einführen. Und eine klare Triage. Bleiben darf nur, wer tatsächlich schutzbedürftig ist. Die anderen wegweisen.
Wie erklären Sie sich, dass fast allen von Asylorganisationen bis zu FDP für die Revision sind? Sind die alle inkompetent?
Sie glauben offenbar einfach, dass die Schweiz noch weitere zehntausende Wirtschaftsmigranten aufnehmen kann. Wir nicht. Viele profitieren selber davon, sind Teil der Asylindustrie. Deshalb sind sie bereit, die Attraktivität unseres Landes weiter zu steigern. Denn dazu führt die Asyl-Revision schlussendlich. Dazu kommt, dass die Revision rechtsstaatlich bedenklich ist. Gemeinden können Asylzentren – wenn nötig mit Enteignungen – aufgezwungen werden – gegen den Willen der Bevölkerung. Deshalb ist auch der Hauseigentümer-Verband gegen die Vorlage.
Was im Gespräch mit Rösti auffällt: Auf den charismatischen und volksnahnen Toni Brunner folgt mit Albert Rösti ein eher zurückhaltend wirkender Akademiker. Gerne spricht er über Sachthemen, Emotionen sind seine Sache nicht.
Sie wirken zurückhaltend. Können Sie auch aus sich heraus kommen?
Ja, sehr sogar, wenn es die Sache erfordert, dann wirkt es auch mehr.
Toni Brunner ist ein charismatisches Naturtalent. Sie wirken eher technokratisch.
Die Verwurzelung mit der Basis ist wichtig, und die steht bei mir seit Kindsbeinen. Übrigens bin ich ein sehr lebensfroher Mensch.
Ihre beiden Kinder sind junge Erwachsene. Teilen sie Ihre politische Haltung?
Die sechszehnjährige Tochter ist sehr musisch begabt. Sie interessiert sich nicht sehr für Politik. Der zwanzigjährige Sohn beginnt bald sein Informatik-Studium. Mit ihm habe ich, wie das normal ist, schon ab und zu Differenzen, opponiert schon mal. Er wählt nicht nur SVP – aber das ändert sich vielleicht noch. Kürzlich kam er von einem Austauschjahr aus Nevada zurück. Im Vergleich zu den Republikanern sei die SVP ja gerade human, meinte er.
Wenn Sie mal entspannen können, was lesen Sie dann?
Weniger Literatur im klassischen Sinne. Meistens sind es ökonomische Studien und Hintergrundberichte, die für meine Arbeit wichtig sind, aber für die ich bisher keine Zeit hatte, sie zu lesen. Auch in der Politik gilt: Wissen ist Macht.
Wovor haben Sie am meisten Respekt?
Den berechtigten Anspruch der Partei, im Interesse von Unabhängigkeit, Freiheit und Sicherheit auf Erfolgskurs zu bleiben. 29 Prozent Wähleranteil sind in unserem System sehr viel. Das zu halten ist schon ein hoher Anspruch. Zulegen können wir am ehesten in der Westschweiz und im Tessin. Aber wir müssen mit Rückschlägen rechen. Nehmen wir Schaffhausen. Dort haben wir 45 Prozent Wähleranteil. Dass es hier auch mal wieder weniger sein könnten, davon müssen wir ausgehen.
SVP-Bundesrat Ueli Maurer sieht trotz der Enthüllungen der «Panama Papers» keinen Bedarf für weitere Regulierungen in der Schweiz. Der Finanzminister verteidigt die Praxis Wohlhabender, ihr Geld in Offshore-Firmen zu investieren. Hat er Recht?
Ja, im Bereich der Regulierung wurde in der Vergangenheit sehr viel getan. Die SVP will nicht noch mehr Regulierung, da diese den Finanzplatz weiter schwächt. Die Panama Geschichte ist eine Aufarbeitung der Vergangenheit.
Umfragen zeigen, viele SVP-Wähler sind Kleinverdiener. Glauben Sie, dass Ihre Basis Verständnis hat für Offshore Deals einiger Tausend Superreichen?
Unsere Basis erwartet von uns, dass wir uns für ein attraktives Steuersysteme einsetzen, das keinen Anreiz bietet, Gelder aus der Schweiz zu verschieben und damit die Wohlhandenden auch in Zukunft ihren grossen Steueranteil hier leisten. So wird der Mittelstand nicht noch mehr belastet. Deshalb setzen wir uns stets für tiefe Steuern ein. Das ist im Interesse aller.
1940 trat Rudolf Minger überraschend zurück und ging zurück auf seinen Hof. Was müsste passieren, damit Sie abtreten?
Jetzt will ich erst mal beginnen. Ich kann aber abtreten, wenn ich spüre, dass ich nicht getragen werde. 2013 kehrte ich dem Milchverband den Rücken, weil ich das Gefühl hatte, unsere Entscheide würden hintertrieben. Aber das wird bei der SVP hoffentlich nie der Fall sein.
Ein Agronom ETH mit Doktorwürde und MBA-Nachdiplomstudium übernimmt die SVP: Albert Rösti ist Berner Nationalrat und Gemeindepräsident seiner Wohngemeinde Uetendorf. Der Kandersteger und Gefreite in der Armee legte ein Beamtenkarriere hin: Zuerst als Landwirtschaftslehrer, später als Generalsekretär der Volkswirtschaftsdirektion des Kantons Bern. Von 2006 bis 2013 war er Präsident der Schweizer Milchproduzenten. Rösti ist verheiratet mit der Flight Attendant und Vitaltrainerin Theres Rösti-Neuenschwander (48) und hat zwei Kinder, André (20) und Sarina (16).