Alard du Bois-Reymond, Ex-Chef des Bundesamtes für Migration
«Wir sind kein weltoffenes Land»

Alard du Bois-Reymond, ehemaliger Chef des Bundesamtes für Migration, gibt Flüchtlingen Arbeit – und plädiert für eineneue Asylpolitik.
Publiziert: 06.09.2015 um 20:25 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 21:42 Uhr
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Beschäftigt in seinem Unternehmen drei Flüchtlinge: Alard du Bois-Reymond.
Foto: Joseph Kakshouri
Von Katia Murmann

Ein Altersheim in Wil SG. Nicht unbedingt ein Ort, wo man Alard du Bois-Reymond erwartet. Als Delegierter des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) arbeitete er in Somalia und Bosnien. Von Januar 2010 bis Dezember 2011 war er Chef des Bundesamtes für Migration (BFM) und bekannt für seine klaren Worte. 2010 sagte er in einem

Interview, dass 99 Prozent der nigerianischen Asylbewerber aus wirtschaftlichen Gründen in die Schweiz kommen und im Lauf des Ayslverfahrens oft kriminell werden. Gleichzeitig setzte er sich dafür ein, das Asylverfahren generell zu beschleunigen. Du Bois-Reymond will helfen – jenen, die wirklich Hilfe brauchen.

Das BFM verliess er nicht freiwillig: Bundesrätin Simonetta Sommaruga setzte ihn ab. «Die Chemie stimmte nicht, wir ticken völlig unterschiedlich», sagt du Bois-Reymond heute. Seit 2012 ist er CEO der Thurvita AG, die in Wil und Umgebung sechs Altersheime und eine Spitex-Organisation betreibt. Das Thema Flüchtlinge liess ihn nie los. Inzwischen beschäftigt er drei Eritreer.

Herr du Bois-Reymond, die Europäische Union streitet darüber, wie Flüchtlinge auf die einzelnen Mitgliedsländer verteilt werden sollen.
Alard du Bois-Reymond: Es ist ein unwürdiges Gerangel. Die Politik müsste zugeben: Das Dublin-System, wonach Flüchtlinge in jenem Land registriert werden und bleiben sollen, in dem sie ankommen, ist gescheitert.

Bis 2017 will die Schweiz 3000 Syrer aufnehmen. Bislang sind allerdings nur wenige organisiert in die Schweiz eingereist. Hunderttausende sind auf der Flucht übers Mittelmeer, viele lassen dabei ihr Leben. Tun wir genug?
Man versucht, die Situation irgendwie in den Griff zu bekommen. Aber: Europa und die Schweiz denken zu bürokratisch, wollen alles zu perfekt machen. Das geht nicht in einer derartigen Krise. Wenn wir in der Schweiz unserer humanitären Tradition gerecht werden wollen, müssen wir handeln – auch mal unkonventionell.

Und wie?
Alle Leute, die aus Syrien kommen, sind hilfs- und schutzbedürftig. Wir versuchen heute in einem komplizierten Verfahren bei jedem Einzelnen zu unterscheiden, ob jemand wirklich verfolgt wurde oder ob er aus wirtschaftlichen Gründen kommt. Doch angesichts einer derart umfassenden Kriegssituation, wie sie in Syrien herrscht, ist ein solches Verfahren eine Illusion und unnötig. Wir müssten allen Flüchtlingen aus Syrien Schutz bieten – solange der Krieg dauert.

Wenn nicht mehr jedes einzelne Dossier geprüft wird: Wie stellen Sie sicher, dass keine Terroristen zu uns kommen?
Natürlich dürfen wir nicht naiv sein. Der IS und andere islamistische Organisationen beobachten genau, was passiert. Deshalb muss der Geheimdienst überwachen, welche Leute in die Schweiz kommen.

Zurzeit stellen nicht Syrer, sondern Flüchtlinge aus Eritrea die meisten Asylgesuche in der Schweiz.
Für Eritrea gilt das Gleiche, auch diesen Leuten muss man vorübergehend Schutz gewähren. Eritrea ist ein Unrechtsstaat. Man kann auch hier nicht wirklich auseinanderhalten, wer wirklich verfolgt wurde und wer einfach gegangen ist, weil er nicht unendliche Zeit in der Armee bleiben wollte.

Du Bois-Reymond holt Meskel Tekie an den Tisch. Der 28-Jährige stammt aus Keren, der zweitgrössten Stadt Eritreas. Vor vier Jahren floh er in die Schweiz, liess seine Familie zurück. «Ich wollte nicht unbedingt in die Schweiz», sagt Tekie, «ich wollte nur raus aus Eritrea.» Doch jetzt sei er glücklich, hier zu sein. «Hier herrscht Demokratie, man kann sagen, was man will, und leben, wie man will.»

Bei Alard du Bois-Reymond macht er eine Lehre zum Serviceangestellten, bringt Altersheimbewohnern und Gästen das Essen, steht hinter der Theke, verkauft Gipfeli und hausgemachten Sirup. Fast zwei Jahre lang war Meskel auf Jobsuche, schrieb über 100 Bewerbungen – und bekam ebenso viele Absagen. Trotzdem gab er nicht auf, «ein Leben ohne Arbeit ist nicht gut», sagt er. Über das Projekt Arbeitsintegration» der Stadt Wil fand er ins Altersheim von Thurvita und zu Alard du Bois-Reymond. Der hatte aktiv nach Flüchtlingen gesucht, die er anstellen konnte.

Herr du Bois-Reymond, warum tun sich so viele Arbeitgeber schwer damit, Flüchtlinge zu beschäftigen?
Wir sind kein weltoffenes Land, das ist nun einmal so. Es gibt viele Vorurteile gegenüber Flüchtlingen, vor allem, wenn sie schwarz sind. Das macht die Integration schwierig. Auch als Chef des Bundesamtes für Migration hat es mich umgetrieben, wieso so viele Flüchtlinge in der Sozialhilfe landen.

Was ist Ihre Antwort?
Flüchtlinge haben ja gar keinen Anreiz zu arbeiten. Sie werden oftmals sogar finanziell bestraft.

Warum denn das?
Die Sozialhilfe ist bei uns sehr gut ausgebaut. Gerade wenn man Familie und Kinder hat, gib es schnell mehr, als wenn man als Tellerwäscher arbeitet. Was wähle ich dann als Flüchtling? Ich gründe eine Familie. Denn wieso soll ich mich für einen Hungerlohn abmühen?

Sie beschäftigen drei Eritreer. Leisten Sie Pionierarbeit?
Wenn ich als Unternehmer zeigen kann, dass  es gut geht, erreiche ich vielleicht mehr, als wenn ich als Direktor des Bundesamts fordere: Ihr müsst Flüchtlinge anstellen!

Alard du Bois-Reymond erhebt sich, die Arbeit ruft. Eine alte Dame hält ihn auf. Sie zeigt auf Meskel Tekie. «Es ist gut, dass er da ist», sagt sie. «Da können ruhig noch mehr Leute aus Eritrea zu uns kommen.»

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