Recep Tayyip Erdogan liess sich seine Wut nicht anmerken. «Ich freue mich und bin glücklich», sagte der türkische Präsident, als er gestern Abend im staatlichen Fernsehen die BLICK-Titelseite in die Kamera streckte.
«Stimmt Nein zu Erdogans Diktatur!», lautete die Schlagzeile auf Türkisch, die gestern über die Landesgrenzen hinaus für Furore sorgte.
Für gute Laune beim türkischen Sultan sorgte dabei aber nicht der Inhalt, sondern die Form der Titelzeile. «Die Schweizer Zeitungen lernen Türkisch», stellt Erdogan beim Interview in seinem Prachtpalast amüsiert fest. Aber, so meint er zu den ihm steif gegenübersitzenden Journalisten, «ich bin doch kein Diktator!». Deshalb spreche auch nichts dagegen, Ja für die Verfassungsreform zu stimmen.
Weitere Politikerin auf Werbetour
Nicht von ihrer Position beirren lassen sich auch die AKP-Sympathisanten in der Schweiz. Nach dem Geheimtreffen von AKP-Parlamentarier Hursit Yildirim mit Schweizer Anhängern in Opfikon ZH tingelte dieser am Wochenende weiter durchs Land. Er traf AKP-Wähler in rund einem halben Dutzend Deutschschweizer Kantone.
Gestern chauffierte die Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD), der verlängerte Arm der AKP in der Schweiz, zudem eine weitere Parlamentarierin durch die Schweiz. Zehra Taskesenlioglu, AKP-Politikerin aus Erzurum, rührte unter anderem in Aarau für Erdogans Verfassungsänderung die Werbetrommel.
Die AKP-Wähler in der Schweiz
Doch wer sind die Menschen, die Politiker wie Taskesenlioglu in Schweizer Vereinslokalen und Gemeindesälen beklatschen? Laut Mustafa Atici, SP-Grossrat aus Basel mit kurdischen Wurzeln, handelt es sich mehrheitlich um türkischstämmige Bürger erster Generation, die oftmals als Gastarbeiter in die Schweiz kamen.
Die eine Hälfte von ihnen sei sehr religiös und nationalistisch geprägt – Menschen, die sich regelmässig in der Moschee oder im Verein treffen.
«Die andere Hälfte sind Leute, denen es um das Land geht. Sie wählen AKP, weil sie auf der Seite des Stärksten stehen möchten», sagt Atici. Viele würden zudem keine Alternative zur Regierungspartei sehen, die seit 15 Jahren an der Macht ist.
In der Schweiz hingegen machen die AKP-Anhänger eine Minderheit aus. «Von den 120'000 türkischen Bürgern in der Schweiz sind sicher 60 Prozent oder mehr Kurden. Sie wählen ausschliesslich linke Parteien», sagt Atici.
Zur Opposition gehören zudem Kemalisten und Laizisten, die sich für eine klare Trennung von Staat und Religion starkmachen – eine Trennung, die unter Erdogan nach und nach verwischt. So wird auch an den Wahlkampf-Veranstaltungen der AKP in der Schweiz zu Beginn ein Gebet gesprochen. Erst im Anschluss folgt die türkische Nationalhymne.