AHV-Streitgespräch zwischen Arbeitgeberpräsident und Gewerkschaftsboss
Der grosse Krach um 200 Stutz

Die AHV-plus-Initiative will Renten um zehn Prozent erhöhen. Was für Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt verantwortungslos ist, ist für Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner zwingend. Das Streitgespräch.
Publiziert: 21.08.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 14:45 Uhr
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Die AHV-plus-Initiative will Renten um zehn Prozent erhöhen. Was für Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt (links) verantwortungslos ist, ist für Paul Rechsteiner, den obersten Gewerkschafter des Landes (rechts), zwingend.
Foto: Sabine Wunderlin
Von Marcel Odermatt und Simon Marti

SonntagsBlick: Herr Rechsteiner, Sie wollen 4,1 Milliarden mehr an die Rentner verteilen, 200 Franken pro Monat und Rentner. Geht es den Schweizer AHV-Bezügern derart schlecht?
Paul Rechsteiner:
Uns geht es in erster Linie um jene, die in Zukunft pensioniert werden. Die Ansprüche aus den Pensionskassen schrumpfen. Dagegen ist eine Erhöhung der AHV das beste Mittel. Und das günstigste.

Auf Konfrontationskurs mit FDP und SVP: Valentin Vogt, Präsident des Arbeitgeberverbands.
Foto: Sabine Wunderlin

Sind die Alten denn die Armen im Land?
R:
Im Rentenalter sind soziale Gegensätze noch grösser als zuvor. Rentner haben seit Jahren keinen echten Lohnausgleich mehr erhalten. Zugleich steigen die Krankenkassenprämien jährlich massiv. Das müssen wir ausgleichen.
Valentin Vogt: Die Altersarmut ist nicht mehr das Hauptproblem, wie bei der Einführung der AHV 1948. Zwei Millionen Rentner erhalten heute AHV. Davon beziehen rund 200000 Ergänzungsleistungen. Wir haben also bereits ein Instrument, um den Rentnern, die von der Altersvorsorge nicht leben können, zu helfen. In den nächsten Jahren werden die Babyboomer pensioniert. Das wird schon ein Milliardenloch in die AHV-Kasse reissen. Eine zusätzliche Erhöhung der Renten um zehn Prozent ist völlig unverantwortlich.

«Sie haben die AHV nicht verstanden», sagt Paul Rechsteiner, Gewerkschaftsboss.
Foto: Sabine Wunderlin

2030 werden noch zwei Berufstätige einen Rentner finanzieren. Wie soll Ihr Begehren, Herr Rechsteiner, dieser Herausforderung begegnen?
R:
Nur die AHV kann die steigende Lebenserwartung kostengünstig finanzieren. Wir zahlen seit 1975 die gleichen Lohnbeiträge, für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind es je 4,2 Prozent. Obwohl in den letzten 40 Jahren die Zahl der Rentner von 900000 auf über zwei Millionen gestiegen ist. Warum? Weil alle, auch die höchsten Ge­hälter, Beiträge zahlen. Das ist die Grundlage der AHV.
V: Die AHV ist eine hochsoziale Altersvorsorge. Die Lohnbeiträge sind gleich hoch geblieben, weil noch nie so viele Menschen gearbeitet haben wie heute. Jährlich werden heute in der Schweiz 350 Milliarden Franken an Löhnen ausbezahlt! Wer heute in Rente geht, ist meistens finanziell gut gestellt. Nur drei Prozent der Neurentner benötigen Ergänzungsleistungen, 15 Prozent der Rentner sind Millionäre. Daher macht die Initiative auch keinen Sinn. Ich zum Beispiel brauche keine höhere AHV.
R: Der Reiche braucht die Altersvorsorge nicht, aber die AHV braucht den Reichen. Herr Vogt, Sie haben die AHV nicht verstanden.

200'000 Rentner sind auf Ergänzungsleistungen angewiesen. Die aber haben nichts von Ihrer Initiative, weil bei einer AHV-Erhöhung ebendiese Ergänzungsleistungen sinken. Ausgerechnet die Ärmsten erhalten nicht mehr. Ein Konstruktionsfehler.
R:
Die Abhängigkeit von Ergänzungsleistungen sinkt. Das ist eine gute Sache.

Aber unter dem Strich bleibt nach der Reform für diese Leute nicht mehr im Porte­monnaie.
R:
Bei den Ärmsten sinkt der Anteil der Ergänzungsleistungen, und die AHV steigt. Es bleibt neutral. Aber das ist ein Nebengleis. Wer gearbeitet hat, soll von AHV und Pensionskasse anständig leben können. Dafür braucht es einen Zuschlag bei der AHV. Das hat auch der Ständerat erkannt. Wir können das Rentenniveau nur halten, wenn wir die AHV erhöhen.

Also sind 70 Franken pro Monat, wie sie der Ständerat fordert, genug?
R
: Nein. Es braucht mehr. Weil die Renten der Pensionskassen quer durch die Schweiz sinken. Aber immerhin hat sich der Ständerat in die richtige Richtung bewegt.
V: In den letzten sieben Jahren hatten wir in der Schweiz eine nega­tive Teuerung. Daraus resultierte ein Kaufkraftgewinn auch für die Rentner.

Herr Vogt, die Umwandlungs­sätze der Pensionskassen sinken und sinken. Wenn die zweite Säule weniger hergibt, muss die erste Säule mehr bezahlen, sonst gehen die Renten zurück. Wollen Sie, dass die Pensionäre weniger Geld im Portemonnaie haben?
V:
Wir stehen zum Drei-Säulen-Prinzip. Jede der drei Säulen hat ihre Berechtigung und hat sich bewährt. Es ist gefährlich, das zu vermischen.

Sie beantworten die Frage nicht. Den Pensionskassen geht es nicht gut. Wie sollen die Ein­nahmenausfälle kompensiert werden?
V:
Die Altersreform 2020 sieht eine Rentengarantie für Leute zwischen 55 und 64 im BVG auf heutigem Niveau vor. Die Leute müssen zusätzlich mehr Kapital ansparen. Das heisst mehr und länger einzahlen. Dann gibt es auch bei tieferen Umwandlungssätzen gleich viel Rente.

«Renten-Erhöhung ist unverantwortlich», sagt Valentin Vogt, Arbeitgeberpräsident.
Foto: Sabine Wunderlin

Ist das wirklich Ihr Ernst? Wie soll das gelingen?
V:
Das müssen die einzelnen Pensionskassen entscheiden. Sie sind paritätisch zusammengesetzt. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sitzen am gleichen Tisch.
R: Kostengünstig können wir die Rentenverluste nur via AHV ausgleichen. Geben Sie es doch zu: Sie sind gegen eine starke AHV. Lieber hätscheln Sie Banken und Versicherungen, die viel Geld mit dem Pensionskassengeschäft verdienen.

Tatsächlich machen auch Banken und Versicherungen beim Arbeitgeberverband mit. Führen Sie, Herr Vogt, einen ideologischen Kreuzzug gegen die AHV, weil Sie die privaten Pensionskassen stärken wollen?
V:
Nein, definitiv nicht. Der grösste Teil des Vorsorgekapitals wird von paritätischen Vorsorgestiftungen verwaltet und nicht von Banken und Versicherungen. Wir wollen das heutige Rentenniveau sichern und keinen Ausbau der AHV wie die Gewerkschaften. Das wäre verantwortungslos.
R: Die Rentenverluste aus der zweiten Säule müssen kompensiert werden. Das ist kein Ausbau.
V: Das ist lächerlich. Im Parlament haben Sie noch von einem Ausbau gesprochen. Jetzt geht es plötzlich um Kompensation. Diese Wahlkampfmasche nehme ich Ihnen nicht ab.

Werden die Renten um 70 Franken erhöht, wie es der Ständerat will, kostet uns dies 1,4 Milliarden Franken jährlich. Sind Ihnen das die Rentner nicht wert, Herr Vogt?
V:
1,4 Milliarden Franken sind es am Anfang. Gehen die Babyboomer in Rente, wird sich dieser Betrag schnell verdoppeln.
R: Die Arbeitgeberbeiträge sind in den letzten Jahren um 0,7 Prozent gesunken. AHV plus kostet die Arbeitgeber nur 0,4 Prozent. Das ist sehr wenig, um nachhaltig die Renten zu verbessern.
V: Schön mit der Giesskanne.
R: Was haben Sie gegen die Giesskanne?
V: Es ist doch unvernünftig, allen Geld zu geben – unabhängig davon, ob sie es brauchen oder nicht.

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