Für ein Gespräch mit Anhängern von Donald Trump (74) empfiehlt sich eine Taktik aus der Paartherapie: die ausgestreckte Hand.
Okay, die Medien gingen zum Teil extrem hart mit dem US-Präsidenten ins Gericht. Sicher, Trump hat politisch Pflöcke eingeschlagen. Natürlich ist es sein gutes Recht, gegen das Wahlresultat zu klagen. Einverstanden, Hitler-Vergleiche sind hanebüchen. Und gewiss sind auch die Demokraten in Erklärungsnot, nachdem von der penetrant beschworenen Russland-Connection juristisch nichts hängen geblieben ist.
Also alles in Ordnung, wie Trumps Fürsprecher es darstellen? Nur zwei politische Lager, die einander nichts schenken?
Nein. Trump und seine Getreuen gehen einen Schritt weiter. In der wichtigsten Demokratie der Welt läuft derzeit ein Schauspiel, das man sonst von Entwicklungsländern kennt. Der Flurschaden für die politische Kultur lässt sich noch nicht abschätzen.
Eine Softwarefirma im Visier
Dass Wahlresultate angezweifelt werden, ist weder neu noch unberechtigt. Doch sieht die Elite der Grand Old Party gerade zu, wie Trump und Co. die amerikanische Öffentlichkeit aus parteitaktischem Kalkül mit unbestätigten oder frei erfundenen Fällen von Wahlbetrug überfluten. Man gibt sich nicht mit einzelnen Unregelmässigkeiten zufrieden, die es vielleicht gegeben hat. Man wittert die ganz grosse, planmässige Verschwörung des Gegners.
Ziel dieser Operation ist es, Joe Bidens (77) Amtszeit den Makel der «gestohlenen Präsidentschaft» anzuhängen. Was bei einem stattlichen Teil des Publikums zu verfangen scheint.
Da sind zum Beispiel die Vorwürfe gegen Dominion, eine US-Firma für Abstimmungssoftware. Fox-News-Moderator und Trump-Liebling Sean Hannity (58) bemühte diese Woche einen Fall aus Michigan, wo Dominion in einem Wahlkreis 6000 Stimmen, die für Trump abgegeben worden waren, dessen Konkurrenten Biden zugeordnet haben soll.
Der Noch-Präsident verbreitete die Nachricht munter weiter. Und setzte auf Twitter noch einen drauf: «Dominion vernichtete 2,7 Millionen Trump-Stimmen!» Eifrig sekundiert von seinem Sohn Donald Jr. (42), der schon mal vorsorglich gegen Parteifreunde giftelte, die seinen Vater nicht unterstützen.
Michigan-Fall als Fake entlarvt
Schon bald entlarvten Faktenchecker den Michigan-Fall als kompletten Fake. Am Donnerstag teilten die US-Agentur für Cybersicherheit sowie sämtliche Wahlbehörden mit, man habe nach intensiver Abklärung – bis jetzt – keinerlei Hinweise auf gelöschte oder falsch zugeordnete Stimmzettel gefunden. Auch nicht bei Dominion.
Das lässt die Fans des 45. US-Präsidenten kalt. Laut «New York Times» hat Radiolegende Rush Limbaugh (69) in den acht Tagen seit dem Urnengang 204-mal den Wahlbetrug zum Thema gemacht. Und Aussenminister Mike Pompeo (56) faselt vom Übergang «zu einer zweiten Trump-Regierung».
Die Sowjets erfanden einst ein zweigleisiges Konzept des politischen Kampfs und nannten es «Agitprop»: Der Propagandist vermittelt der Bevölkerung via Medien angebliche oder tatsächliche Ungerechtigkeiten, der Agitator hetzt bei seinen Auftritten die Massen emotional auf. Nun also Agitprop von rechts. Lenin wäre beeindruckt.
Wie vergiftet die Stimmung ist, zeigt die Reaktion des Trump-Lagers, nachdem bei Fox News ein kleines Wunder geschehen war – beim Sender ertönten zum Thema auch andere Stimmen. Moderator und Demokraten-Hasser Tucker Carlson (51) zum Beispiel sagte am Dienstag: «Seien wir ehrlich – es gibt zu wenige Betrugsfälle, um das Wahlresultat noch zu ändern.» Jetzt wird gegen den Murdoch-Sender Stimmung gemacht: «Fox News ist tot!» Hartgesottene Trumpisten wechseln bereits zu alternativen Stationen wie Newsmax oder OANN.
Köppel: «Es war ein Witz»
Nun könnte man das Ganze als US-Kuriosität abtun. Doch ist Nordamerika stets wichtiger Impulsgeber für hiesige Entwicklungen. So stimmen manche auch in der Schweiz munter in den Chor mit ein. Am prominentesten SVP-Nationalrat und «Weltwoche»-Verleger Roger Köppel (55). Zeitweise feuert der Journalist im Stakkato Beiträge ins Netz – manchmal geht es daneben. Am Montag vertwitterte Köppel eine Titelseite der «Washington Times» aus dem Jahr 2000, die vorschnell Wahlverlierer Al Gore (72) zum Präsidenten ausgerufen haben soll.
Bloss: Das Zeitungscover war eine freie Erfindung aus dem Trump-Lager. Den Tweet hat Köppel mittlerweile gelöscht. Was aber bringt einen intelligenten Debattierer dazu, so was weiterzuverbreiten?
Köppel fasst es nicht: «Es war ein Witz, Kollegen. Wollt ihr bei Trump jetzt auch noch den Humor verbieten?», sagt er zu SonntagsBlick. Dann wechselt er schnell auf eine allgemeine Ebene: Es gehe ihm um das «lächerliche Mediengeschrei» über den Untergang der Demokratie in den Staaten. «Trump ist kein Diktator und er ist bis jetzt auch keine Gefahr für den Rechtsstaat. Überhaupt nicht. Er ist einfach ein Politiker, den die Medien nicht mögen. Und weil sie ihre Abneigung, ja ihren Hass so fürchterlich und humorlos ernst nehmen, machen sie aus ihm das grosse Monster ihrer Fantasie.»
Die «Mainstream-Medien» hätten für Köppel viel Glaubwürdigkeit verloren. «Wo alle loben, muss man kritisieren. Wo alle kritisieren, muss man loben», laute sein Grundsatz.
Auch in seinem Fall würde sich die ausgestreckte Hand sicher bewähren.