Abtretender Zollchef Rudolf Dietrich im Interview
«Schengen-Austritt wäre ein Rückfall in die Steinzeit»

Im exklusiven Interview mit BLICK spricht Rudolf Dietrich, der nach 21 Jahren als Oberzolldirektor in Pension geht, über Grenzkontrollen, Terrorismus und Flüchtlinge.
Publiziert: 01.12.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 00:19 Uhr
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Schloss die Bürotür gestern nach 21 Jahren zum letzten Mal: Rudolf Dietrich.
Foto: Peter Mosimann
Von Christoph Lenz (Interview) und Peter Mosimann (Fotos)

BLICK: Herr Dietrich, nach 21 Jahren als Oberzolldirektor gehen Sie in Pension. Ist es angesichts von Flüchtlingskrise und Terror schwierig, das Schiff zu verlassen?
Rudolf Dietrich:
Der Abschied fällt sicher nicht leicht. Aber die Situation ist für uns gar nicht so aussergewöhnlich. Wir hatten ja nicht 20 Jahre lang Ruhe und dann kamen 2015 plötzlich die Flüchtlinge und die Terroristen. Es gab immer viel zu tun.

Aber die Lage an der Grenze ist doch dramatisch!
Wir haben rund 50 Prozent mehr Migranten als 2014. Das ist keine Flüchtlingskrise. Mit Verstärkungseinsätzen und der richtigen Prioritätensetzung können wir unsere Arbeit machen.

Viele Politiker fordern mehr Grenzwächter und mehr Kontrollen. Was halten Sie davon?
Diese Forderung gibt es schon seit etlichen Jahren. Aber leider bleibt es bei der Forderung.

Wo klemmt es denn?
Die Politiker, die mehr Grenzwächter fordern, kneifen, wenn es darum geht, die Stellen zu bewilligen.

Die Rede ist von systematischen oder gar lückenlosen Grenzkontrollen. Sind das plausible Forderungen?
Lückenlose Kontrollen gab es noch nie. Und sie wären auch nicht machbar. Schon allein wegen der 750'000 Grenzgänger, die täglich in die Schweiz kommen, um hier zu arbeiten. Und wir haben mit den Zollkontrollen auch heute einen guten Filter.

Zum Beispiel?
2014 haben wir an der Grenze 3500 Personen festgehalten, die ein Ein­reiseverbot für die Schweiz gehabt hätten, und über 5000, die zur Verhaftung ausgeschrieben waren. Unsere Kontrollen wirken.

Die Flüchtlingssituation hat den Eindruck verstärkt, dass das Schengen-Abkommen gescheitert ist. Teilen Sie diese Einschätzung?
Nein. Schengen hat grosse Vorteile. Die Pariser Anschläge haben mir das erneut vor Augen geführt. Die internationale Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsbehörden hat hervorragend geklappt. Wir hatten blitzartig die Fahndungsmeldungen aus Frankreich. Ohne Schengen wäre die Terrorbekämpfung viel schwieriger.

Die Auns sammelt für eine Initia­tive, die wohl den Schengen-Austritt zur Folge hätte.
Ein Schengen-Austritt wäre ein Rückfall in die Steinzeit. Und würde der Schweiz auch in der Flüchtlingsfrage nicht helfen.

Die Zollverwaltung nimmt rund 23 Milliarden Franken pro Jahr ein, rund ein Drittel des Bundesbudgets. Doch niemand spricht darüber. Enttäuscht?
Nicht enttäuscht. Wir tun unsere Arbeit ja nicht wegen der Anerkennung, sondern weil wir von der Wichtigkeit unserer Aufgabe überzeugt sind. Zum Frust wird es dann, wenn wie aktuell schon wieder eine Abbaurunde auf uns zukommt.

Was bedeutet das Sparpaket für den Zoll?
Wir müssen 2016 beim zivilen Zoll 44 Stellen einsparen. In diesem für die Wirtschaft sehr wichtigen Bereich haben wir in den letzten zehn Jahren schon über 400 Stellen abgebaut. Trotz immer neuen Aufgaben, steigendem Handelsvolumen und wachsendem Tempo.

Was sind die Folgen des Sparens?
Wir werden Zollstellen schliessen müssen. Das kostet unsere Kunden Zeit und verursacht Mehrverkehr an den ohnehin schon überlasteten anderen Übergängen. Viele Unternehmen und Kantonsregierungen protestieren bereits bei uns. Zudem wird der Schmuggel zunehmen, wenn unsere Kontrolldichte noch weiter sinkt.

Mit einer Anhebung der Freigrenze im Reiseverkehr, die derzeit bei 300 Franken liegt, könnte der Zoll stark entlastet werden. Die Einkaufstouristen würden es Ihnen danken!
Das stimmt. Im Jahr 2000 hat die Zollverwaltung vorgeschlagen, diesen Freibetrag zu verdoppeln. Doch aus verständlichen Gründen will das inländische Gewerbe eine möglichst tiefe Grenze, um den Anreiz für den Einkaufstourismus zu reduzieren. Es geht dem Zoll eben nicht nur um Einnahmen, sondern auch um gleich lange Spiesse im Wettbewerb zwischen Schweizer und ausländischen Anbietern.

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