Was Olivier Kessler mit seiner Initiative wirklich will
«Billag ist eine Bevormundung!»

Am 4. März 2018 entscheidet das Stimmvolk über die No-Billag-Initiative. Und damit über das Ende der TV- und Radio-Empfangsgebühren. Die Gegner befürchten damit das Aus für die SRG und einen massiven Abbau bei einigen privaten Sendern. Im grossen BLICK-Interview erklärt nun Mitinitiant Olivier Kessler (30), wie er sich die Schweizer Medienlandschaft nach einem Ja zu No Billag vorstellt – und was das für die SRG bedeuten würde.
Publiziert: 28.12.2017 um 23:46 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 22:10 Uhr
Interview: Sermîn Faki und Ruedi Studer

Es ist gar nicht so einfach, ein Interview mit Olivier Kessler (31) zu bekommen. Viele Journalisten haben sich an diesem Vorhaben die Zähne ausgebissen. Der Mann, der als Gesicht der No-Billag-Initiative von SRG-Kader über Politiker bis zu TV-Fans allen das Fürchten lehrt, macht sich rar im Abstimmungskampf. Er will – warum auch immer – das Feld seinen Mitstreitern überlassen, die dennoch alle in seinem Schatten stehen. BLICK kann Kessler dennoch überreden. Er schlägt als Treffpunkt ein Nobelhotel nahe dem Zürcher Paradeplatz vor. Doch weil dort aus Rücksicht auf die Privatsphäre der Gäste keine Fotos gemacht werden dürfen, findet ein Teil des Gesprächs in einem Strassencafé statt.

BLICK: Herr Kessler, haben Sie Kinder?
Olivier Kessler:
Leider noch nicht.

Aber Steuern zahlen Sie?
Selbstverständlich.

Finden Sie es nicht unerträglich, dass Sie gezwungen sind, Steuern für Schulen zu zahlen, deren Leistungen Sie gar nicht in Anspruch nehmen?
Für die Bildungsqualität ist Wettbewerb, Markt und Wahlfreiheit in der Tat sehr wichtig. Aber ich dachte, hier ginge es um die No-Billag-Initiative. Schulen und die Billag haben ja nicht viel miteinander zu tun.

Eigentlich schon. Sie finden, man solle Radio und TV dem Markt überlassen. Schulen auch. Da fragen wir uns, wozu es überhaupt noch einen Staat braucht.
Etwas dem Markt zu überlassen heisst, den Bürgern selbst die Entscheidung zu überlassen. Politiker wissen nicht besser als Sie oder ich, welche Schule für unsere Kinder oder welche Medien für uns die besten sind. Wer kein SRF schaut, soll dafür nicht Billag-Zwangsgebühren bezahlen müssen.

No-Billag-Initiant Olivier Kessler: «Geringverdiener und Studenten müssen die Billag-Zwangsgebühr bezahlen und können sich darum kein Zeitungs-Abo leisten, obwohl sie das eventuell lieber hätten. Das ist Bevormundung.»

Ist ein gewisser medialer Service public nicht wichtig, besonders für eine direkte Demokratie?
Die Bundesverfassung garantiert in Artikel 17 die Medienfreiheit. Das ist wichtig für die Demokratie. Damit Sie schreiben können, was Sie für richtig halten. Aber den Bürgern jedes Jahr mehrere Hundert Franken aus der Tasche zu ziehen und damit einen staatlich privilegierten Medien-Quasimonopolisten aufzubauen, der Konkurrenten aus dem Markt verdrängt und die Medienvielfalt unterminiert, ist demokratiepolitisch bedenklich und aus Sicht der Bürger eine Bevormundung.

Wo ist hier die Bevormundung?
Politiker entscheiden anstelle der Bürger, welche Medien sie zu finanzieren haben. Sie nehmen ihnen die Wahlfreiheit. Geringverdiener und Studenten müssen die Billag-Zwangsgebühr bezahlen und können sich darum kein Zeitungs-Abo leisten, obwohl sie das eventuell lieber hätten. Das ist Bevormundung.

No Billag stellt uns vor die Wahl: Weiter wie bisher mit einer möglicherweise überteuerten SRG oder ohne. Mit einem Ja wird die SRG abgeschafft.
Überhaupt nicht! In unserer Initiative wird die SRG mit keiner Silbe erwähnt. Wir sind nicht gegen die SRG, sondern gegen die Zwangsfinanzierung der Medien.

No-Billag-Initiant Olivier Kessler: «Wir sind nicht gegen die SRG, sondern gegen die Zwangsfinanzierung der Medien.»

Aber die SRG erhält heute 94 Prozent der Gebührengelder – rund 1,2 Milliarden Franken jährlich. Ohne diese Gelder ist die SRG de facto tot.
Die Gebührengelder könnte man durch andere Einnahmen ersetzen. Die SRG hat gute Zuschauerzahlen und verdient zudem jedes Jahr rund 300 Millionen Franken an Werbung. Da lassen sich doch alternative Modelle finden. Es ist unverständlich, dass die SRG-Führung bis heute keinen Plan B vorgelegt hat.

Sie sprechen von guten Zuschauerzahlen. Aber wie viele Haushalte würden künftig noch freiwillig 365 Franken Empfangsgebühren bezahlen?
Ich habe keine Kristallkugel. Aber wenn die SRG kostenbewusster wird und nicht mehr 238 Mitarbeiter an eine Bundesratswahl entsendet, könnte der Abo-Betrag stark sinken. Zudem existiert gerade in der direktdemokratischen Schweiz eine Nachfrage nach seriösen Informationen. Da dürfte es für die SRG kein Problem sein, beliebte Angebote weiterzuführen.

Das ist reine Spekulation.
Nein. Die SRG ist eine bekannte Marke, die sich pflegen lässt. Entscheidend ist das künftige Finanzierungsmodell – und dafür gibt es verschiedene Varianten. Eine Möglichkeit wäre, dass TV-Provider gegen einen geringen Aufpreis ein SRG-Grundangebot anbieten, das der Konsument aber abbestellen kann. Beliebte Sendungen könnten zudem abonniert oder einzeln gekauft werden. Die «Tagesschau» kostet derzeit pro Zuschauer nur 9 Rappen pro Sendung.

Heisst: Allein für die «Tagesschau» 32 Franken im Jahr. «10vor10» ist nicht dabei, keine «Rundschau», keine «Arena». Vom «Bestatter» ganz zu schweigen. Alles zusammen kommt teurer als die Billag. Sie ziehen uns das Geld aus dem Sack!
Ach was! Wenn No Billag angenommen wird, wird es für die meisten billiger, weil die SRG endlich haushälterischer mit dem Geld umgehen müsste. In allen Sprachregionen. Für jährlich nur 105 Stunden rätoromanisches TV auf SRF 1 braucht es ganze 167 Mitarbeiter. Dies riecht eher nach einem staatlichen Beschäftigungsprogramm als nach effizienter Arbeit.

No-Billag-Initiant Olivier Kessler: «Wenn No Billag angenommen wird, wird es für die meisten billiger, weil die SRG endlich haushälterischer mit dem Geld umgehen müsste. In allen Sprachregionen.»

Ohne die SRG würden bestimmte Minderheiten zwischen Stuhl und Bank fallen. Nicht nur Rätoromanen, sondern auch etwa Gehörlose.
Sicher nicht! Bei Netflix ist jede Serie, jeder Film untertitelt. Das zeigt: Der Markt sorgt dafür, dass vorhandene Bedürfnisse befriedigt werden. Und wenn nicht, kann immer noch die Zivilgesellschaft einspringen, etwa mit einer Stiftung.

Würden Sie eine Stiftung unterstützen, die ein rätoromanisches Radio- und TV-Programm finanziert?
Das müsste ich mir noch überlegen. Wohl eher nicht, zumal die Rätoromanen ja nicht in einem Drittweltland wohnen, nicht an Hunger leiden und dank der Abschaffung der Billag-Zwangsgebühr selbst über das nötige Geld verfügen, ein entsprechendes Programm zu finanzieren. Da helfe ich lieber jemandem, der wirklich in Not ist. Rätoromanen sollten aber keine Angst um ihr Programm haben. Notfalls könnte immer noch der Kanton einspringen. Dies verbietet die Initiative nicht.

Vergessen Sie’s. Stattdessen wird nur noch im Angebot sein, was sich rechnet.
Das glauben wir nicht. Aber grundsätzlich gilt schon: Was niemand sehen will, muss auch nicht produziert werden! Alles andere ist eine Verschwendung knapper Ressourcen, die besser eingesetzt werden könnten, etwa zur Entlastung der Bürger und zur Bezahlung steigender Krankenkassenprämien.

Dann sagen Sie uns konkret wo! Welche Sendungen soll die SRG streichen?
Das sollen die Zuschauer entscheiden, nicht ich. Was die Leute sehen wollen, bleibt bestehen.

Und wenn das nicht funktioniert und die SRG ganz verschwindet? Dann haben wir nur noch Tele Züri für die ganze Schweiz?
Es wird funktionieren. Aber selbst wenn nicht: Was ist das Problem, wenn die Leute nur noch für jene Medien bezahlen, die sie auch tatsächlich bestellt haben? Sollte sich die SRG tatsächlich als unfähig erweisen, den Wandel ins digitale Zeitalter zu schaffen und den Übergang auf ein zeitgemässes Finanzierungsmodell zu meistern, so werden andere Anbieter in die Bresche springen.

No-Billag-Initiant Olivier Kessler: «Vor 2007 haben die Privaten gar keine Gebührengelder erhalten. Das hat funktioniert. Und jetzt soll es plötzlich nicht mehr gehen?»

Ihre Initiative bedroht nicht nur die SRG. Auch vielen regionalen TV- und Radiosendern droht ein massiver Abbau oder sogar das Aus, wenn Gebührengelder fehlen.
Vor 2007 haben die Privaten gar keine Gebührengelder erhalten. Das hat funktioniert. Und jetzt soll es plötzlich nicht mehr gehen? Jene, die nun behaupten, ohne Zwangsfinanzierung gehe alles den Bach runter, tun dies aus egoistischen Motiven, um sich weiterhin bequem am Gebührentopf bedienen zu können. Sie sollten sich stattdessen an jenen orientieren, die ohne Gebühren auskommen wie Radio Energy, Radio Sunshine oder Tele Züri.

Vor zehn Jahren konnten Verlage ihre Regionalsender noch selber quersubventionieren. Das wird immer schwieriger. No Billag führt zu einer Verarmung der Medienlandschaft.
Schon heute ist doch das Gegenteil der Fall: Wir leiden eher an einer Informationsflut als an einer Verarmung. Im Internet hat man eine Riesenauswahl an Informationsquellen, Nachrichtenportalen, Blogs. No Billag führt vielleicht zu einer Verschiebung hin zu zeitgemässeren Plattformen, aber sicher nicht zu einer Verarmung.

Der Bund soll keine TV- und Radiostationen mehr subventionieren. Wie sieht es mit einzelnen Sendungen aus? Soll der Staat Fördergelder an die «Arena» zahlen dürfen, um den Meinungsbildungsprozess zu gewährleisten?
Medien sollen den Politikern kritisch auf die Finger schauen und nicht von diesen finanziell abhängig sein. Deshalb soll sich der Staat da raushalten. Es funktioniert auch ohne Zwangsfinanzierung.

No-Billag-Initiant Olivier Kessler im Gespräch mit Politik-Chefin Sermîn Faki und Bundeshaus-Redaktor Ruedi Studer.

Wenn das so einfach ist, weshalb bietet dann etwa der TV-Sender 3+ zwar Unterhaltungsformate wie «Bauer, ledig, sucht...» oder «Der Bachelor» an, aber keine Nachrichtensendung oder politische Diskussionssendung?
3+ setzt auf Unterhaltung. Und der Sonntalk von Tele Züri wird auch nicht vom Billag-Gebührentopf finanziert. Oftmals steht den Privaten aber der Quasi-Monopolist SRG vor der Nase. Indem der Staat den Bürgern einen Grossteil ihres Medienbudgets wegnimmt und diese Gelder grossmehrheitlich einem einzigen Player zuspielt, entstehen Marktverzerrungen. In einem freien Wettbewerb würde das anders aussehen.

Würden nicht einfach ausländische Medienkonzerne in die Bresche springen und Schweizer Werbegelder abzügeln?
Ein freies Land muss damit leben können, wenn manchmal Geld ins Ausland fliesst. Das Geld käme dann ja auf anderen Wegen wieder zu uns zurück, weil wir viele hervorragende Produkte und Dienstleistungen anbieten. Mich überrascht, welche Kreise nun plötzlich einen auf Nationalismus machen.

Kritiker sehen in Ihrer Initiative nur den Hebel, finanzstarken Mäzenen den Einstieg ins Fernsehgeschäft zu erleichtern. Im Klartext: Blocher-TV für alle!
Die Zukunft gehört nicht knappen Sendeplätzen, die von Milliardären ersteigert werden können. Sondern dem Streaming via Internet, wo unzählige Sendeplätze zur Verfügung stehen. Konzessionen sind praktisch irrelevant geworden. Wir wollen, dass jeder Bürger selbst entscheiden kann, wofür er sein Geld ausgeben möchte. Jeder ist dann frei, ob er die Programme von Milliardären unterstützen möchte oder nicht. Das ist echte Demokratie.

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