Vor der Abstimmung über fremde Richter heikle Sätze entfernt
Die SVP frisiert ihr Argumentarium

Die SVP hat heikle Sätze aus dem Abstimmungsmaterial für ihre Initiative entfernt: Plötzlich bekennt man sich zur Menschenrechtskonvention.
Publiziert: 11.11.2018 um 01:21 Uhr
|
Aktualisiert: 15.11.2018 um 22:46 Uhr
1/5
Der Architekt: Professor und Nationalrat Hans-Ueli Vogt.
Foto: Thomas Meier
Bildschirmfoto 2024-04-02 um 08.40.24.png
Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Die SVP krönt ihren Kampf des Jahrzehnts mit einer ganzen Reihe spektakulärer Verrenkungen.

Man lässt auf Plakaten das Parteilogo weg. Man taucht die Parolen in blasses Orange statt ins SVP-Grün. Man zitiert Sozialdemokraten (Micheline Calmy-Rey). Man lädt mit Vorliebe Jusos auf Podien ein – statt Bürgerliche und Wirtschaftsvertreter.

Das Doppelspiel geht allerdings noch erheblich weiter als bisher bekannt. Stillschweigend haben die SVP-Strategen das Argumenta
rium für ihre Selbstbestimmungs-Initiative weichgespült. Heikle Sätze wurden gestrichen, Passagen abgeschwächt und Standpunkte verdreht. Von der Selbstzensur betroffen sind vor allem Textstellen zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Es geht um die Frage, ob die SVP-Vorlage zu einem Austritt führt oder nicht.

Plötzlich wird die EMRK «weiterhin respektiert»?

In der Erklärung zur Initiative hiess es in der Version vom 7. April auf der SVP-Homepage noch: «Die Kündigung der EMRK ist nicht das Ziel der Selbstbestimmungs-Initiative, doch sie nimmt eine Kündigung in Kauf, falls es zu wiederholten und grundlegenden Konflikten mit der Verfassung kommt.»

In der neuesten Version des Argumentariums ist die Inkaufnahme einer Kündigung ersatzlos gestrichen. Auch der Hinweis, dass die Schweiz bei einem EMRK-Austritt lediglich nicht mehr Mitglied des Europarates sei und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweizer Justiz nicht mehr «überstimmen» könne, wurde gelöscht.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Die Initianten um den Zürcher SVP-Nationalrat und Rechtsprofessor Hans-
Ueli Vogt (48) gehen sogar noch weiter. Entgegen einer älteren Version ist in der aktuell aufgeschalteten Begründung der SVP plötzlich von Schweizer Asbestopfern die Rede. Die dürften «auch nach der Annahme der Initiative in Strassburg klagen». Vogt und Co. beteuern: «Die EMRK wird weiterhin respektiert.»

Trommelfeuer gegen Menschenrechtskonvention

Dabei hatte derselbe Hans-Ueli Vogt noch am 13. April 2015 in einem NZZ-Gastkommentar jenes Strassburger Urteil kritisiert, das einem Schweizer Asbestopfer recht gab. Vogt bezeichnete dieses Urteil als wirtschaftsfeindlich – und pries die Selbstbestimmungs-Ini­tiative als Mittel zur Verteidigung der freiheitlichen Wirtschaftsordnung an.

Tatsächlich war der Widerstand gegen die Menschenrechtskonvention von Anfang an das Hauptmotiv für die SelbstbestimmungsInitiative. Die SVP baute die EMRK über Jahre zum Feindbild auf.

Begonnen hatte alles am 12. Oktober 2012:

Das Bundesgericht in Lausanne kippte den Thurgauer Ausweisungsentscheid gegen einen 19-jährigen Drogenkurier. Der besass zwar einen mazedonischen Pass, war aber in der Schweiz aufgewachsen. Die Richter urteilten, eine Ausweisung sei in diesem Fall unverhältnismässig, und stützten sich dabei auf die EMRK.

Die SVP reagierte damals mit beispiellosem Trommelfeuer gegen die Menschenrechtskonvention. Parteiintern nahm das Projekt, aus der verhassten EMRK auszutreten, Formen an.

Kündigung der EMRK angesichts der Urteilsbegründung «naheliegend»

Am 15. Februar 2013 wird der damalige Parteipräsident Toni Brunner (44) in der «Aargauer Zeitung» deutlich: «Eine Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention ist angesichts der Urteilsbegründung naheliegend.»

Am 25. Oktober 2014 beschliessen die SVP-Delegierten in Rothenthurm SZ die Selbstbestimmungs-Initiative.
Am 19. November 2014 erreicht der Kampf gegen Strassburg die Regierungsebene: Ueli Maurer (67) beantragt im Bundesrat erfolglos die Kündigung der EMRK. Der SVP-Magistrat argumentiert mit dem Widerspruch zwischen der Souveränität und der Konvention. Tags darauf titelt die NZZ: «Frontalangriff auf Strassburg».

Heute tönt es ganz anders: Am Freitag, dem 
9. November, redet Parteipatron Christoph Blocher (78) auf seinem Sender von einer EMRK, «wo gar niemert wott künde».

Wie aber erklärt die SVP ihren Rückwärtssalto? Was gilt jetzt? «Die Europäische Menschenrechtskonvention ist nicht das Problem, deshalb muss man sie nicht kündigen», beginnt Blochers wortreiche Antwort auf eine Anfrage von SonntagsBlick.

Verzicht auf SVP-Logo im Abstimmungskampf

«Das Problem ist der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, welcher den Geltungsbereich der Menschenrechtskonvention ohne direktdemokratische Bestimmung der Mitgliedsländer ständig erweitert.» Es sei daher «dringend notwendig, dass die Schweiz Urteile, die dermassen störend – ja sogar menschenrechtswidrig – sind, nicht vollstreckt, wie dies beispielsweise England tut.» Oder, so Blocher, dass man das Urteil nur akzeptiere, wenn die schweizerische Gesetzgebung entsprechend geändert werde – «das tut Deutschland».

Und warum verzichtet man im Abstimmungskampf auf das SVP-Logo? Für die Plakatkampagne sei das Komitee «Ja zur Selbstbestimmung» verantwortlich, so Blocher weiter. «Ihm gehören nicht nur die SVP, sondern auch Unternehmer und Mitglieder anderer Parteien an.» Darum könne nicht mit «SVP» unterzeichnet werden; «auch Nicht-SVP-Mitglieder zahlen an diese Kampagne».

Dass seine Partei aus Abstimmungstaktik lieber Jusos als bürgerliche Schwergewichte auf die Podien lädt, bestreitet er: «Meine Erfahrung: FDP- und CVP-Schwergewichte weigern sich, an Podiumsgesprächen anzutreten. Dann akzeptiert man halt Jusos oder SP-Politiker, wenn die anderen nicht den Mut haben zu kommen.»

Der Kampf «für Schweizer Recht statt fremde Richter» hat in der SVP höchste Priorität, wie Ems-Chefin und Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher (49) im Juni via SonntagsBlick klarmachte: Die Abstimmung sei «wichtiger als die Wahlen».

Das will die Vorlage

Die SVP-Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter», über die am 25. November ab­gestimmt wird, will
die Bundesverfassung partout über internatio­nales Recht stellen. Dazu gehören die Europäische Menschenrechtskonven­tion (EMRK), deren rechtsprechendes Organ der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg (F) ist, aber auch Hunderte internationaler Verträge wie die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU oder WTO-Handelsverträge. 

Die SVP-Volksinitiative «Schweizer Recht statt fremde Richter», über die am 25. November ab­gestimmt wird, will
die Bundesverfassung partout über internatio­nales Recht stellen. Dazu gehören die Europäische Menschenrechtskonven­tion (EMRK), deren rechtsprechendes Organ der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Strassburg (F) ist, aber auch Hunderte internationaler Verträge wie die bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU oder WTO-Handelsverträge. 

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?