Ueli Maurer schäumt und zweifelt an «Seriosität» von Widmer-Schlumpfs USR III-Kritik
«Ein grosser Fehler» – «Völlig falsch» – «Schon eine Weile im Abseits»

Ex-Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf zerpflückte im BLICK die Unternehmenssteuerreform III. Nun schlägt ihr Nachfolger Ueli Maurer zurück – und wie. Das ganze Interview.
Publiziert: 25.01.2017 um 08:30 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 17:42 Uhr
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Skeptisch liest Ueli Maurer im BLICK-Interview mit seiner Amtsvorgängerin.
Foto: Peter Mosimann
Christof Vuille und Nico Menzato (Interview) und Peter Mosimann (Foto)

Herr Finanzminister, Sie haben im Frühling gesagt, Sie hätten keine Probleme, Ihre Vorgängerin um Rat zu fragen. Wann haben Sie zum letzten Mal mit Eveline Widmer-Schlumpf gesprochen?
Ueli Maurer:
(Überlegt lange) Ich kann es nicht genau sagen. Es ist aber Monate her. In den letzten zwei Tagen haben wir jedenfalls nicht zusammen telefoniert.

Im BLICK hat sich Frau Widmer-Schlumpf von der USR III distanziert. Sind Sie enttäuscht von ihr?
Meine erste Reaktion auf das Interview war: Hoffentlich passiert mir das nie, dass mir nach meinem Rücktritt ein solcher Faux-pas unterläuft. Sich als ehemaliges Mitglied der Landesregierung von der Seitenlinie derart prominent in einen Abstimmungskampf einzumischen, ist ein grosser Fehler.

Andere alt Bundesräte melden sich auch immer wieder gerne zu Wort. Allen voran Ihr Parteikollege Christoph Blocher.
Die Art der Einmischung von Frau Widmer-Schlumpf ist schon speziell. Christoph Blocher wurde abgewählt, das ist ein bisschen eine andere Ausgangslage.

Ihre Vorgängerin findet, die Reform sei «aus der Balance» geraten.
Das ist völlig falsch. Die vom Parlament verabschiedete Vorlage kostet uns weniger als jene, die Frau Widmer-Schlumpf aufgegleist hat. Das Parlament hat die Abschaffung der Emissionsabgabe herausgestrichen und die in der Vernehmlassung von Widmer-Schlumpf angeregte zinsbereinigte Gewinnsteuer reingenommen. Dazu hat das Parlament eine Maximalgrenze für alle Abzüge festgelegt. Bei ihrer Vorlage hätte man bis zum Gehtnichtmehr abziehen können. Es war eine Blackbox.

Die Ex-Finanzministerin hat einiges ins Rollen gebracht. Mit Christian Wanner (FDP) hat sich der langjährige Chef der Finanzdirektoren ebenfalls von der Reform distanziert. Das muss Ihnen wehtun. 
Ich stelle fest, dass die beiden sehr weit von der Aktualität weg sind und die Vorlage nicht mehr kennen. Alle Kantone haben der Vorlage zugestimmt, nur Neuenburg enthält sich. Es ist eine Vorlage, bei der grosse Einigkeit herrscht unter jenen Leuten, die sich in den letzten zwei Jahren damit beschäftigt haben. Ich bin nicht sicher, ob die Beurteilung von Widmer-Schlumpf und Wanner die nötige Seriosität hat.

Die bürgerlichen Politiker Widmer-Schlumpf und Wanner kennen diese Vorlage so gut wie sonst kaum jemand und können offen darüber sprechen. Irgendetwas muss an diesem Paket einfach faul sein.
Man muss einfach abwägen. Es gibt rund 150 Regierungsräte, sieben amtierende Bundesräte und alle bürgerlichen Parteichefs und alle Steuerexperten des Parlaments, die sich für die Reform aussprechen. Als Stimmbürger würde ich jenen trauen, die den Kompromiss ausgehandelt haben. Und nicht  zwei Ex-Politikern, die schon eine ganze Weile im Abseits stehen.

Wenn Sie frei wählen könnten: Würden Sie die ursprüngliche Vorlage des Bundesrats gegenüber jener des Parlaments mit den zusätzlichen Entlastungen für Firmen bevorzugen?
Ganz eindeutig: Nein. Das Parlament hat Widmer-Schlumpfs Vorlage verbessert und entschärft, indem man die Abschaffung der Emissionsabgabe gestrichen hat. Die zinsbereinigte Gewinnsteuer kostet im Moment praktisch nichts, da sie sich am aktuellen Zinsniveau misst. Wenn Frau Widmer-Schlumpf das Ganze mit ihrem Sachverstand genau analysiert hätte, wäre sie zum gleichen Schluss gekommen.

Frau Widmer-Schlumpf kritisiert die zinsbereinigte Gewinnsteuer. Damit sollen Firmen die Möglichkeit erhalten, auf einem Teil des Eigenkapitals fiktive Zinsen von den Steuern abzuziehen. Wie wollen Sie dieses Zückerli für Unternehmen dem Volk erklären?
«Zinsbereinigte Gewinnsteuer» ist ein fürchterliches Wortgebilde, doch sie heisst halt so (lacht). Aber andere Länder machen das auch so! Gerade bei Banken etwa verlangen wir ein relativ hohes Eigenkapital, damit sie nicht beim ersten Sturm weggefegt werden. Es ist nur fair, wenn sie davon einen kalkulatorischen Zins abziehen. Das sorgt für Stabilität und Sicherheit in Krisenzeiten. Von diesen Reserven kann auch für Investitionen etwas übrig bleiben – und es schafft Raum, das Personal besser zu stellen. Die zinsbereinigte Gewinnsteuer passt gut zur Schweiz. Und immerhin war es Frau Widmer-Schlumpf selber, welche diese zinsbereinigte Gewinnsteuer in der Vernehmlassung vorgeschlagen hat.

Sie war aber in ihrer Vorlage mit einer Kapitalgewinnsteuer gegenfinanziert. Das fehle nun, moniert sie.
Das ist nochmal falsch. Die Kapitalgewinnsteuer ist bereits in der Vernehmlassung gescheitert 

Sie persönlich haben zur zinsbereinigten Gewinnsteuer im Nationalrat (am 16. März) Folgendes gesagt: «Wenn Sie die zinsbereinigte Gewinnsteuer jetzt in der Vorlage einfügen, belasten Sie diese natürlich mit zusätzlichen Ausgaben – das ist eine Gefahr.» Und sie warnten: «Sie müssen die politischen Konsequenzen abwägen: Wenn Sie der Aufnahme zustimmen, kann die Vorlage aus dem Gleichgewicht geraten.» Das ist genau, was Widmer-Schlumpf meint.
Das Parlament hat im Gegenzug die Emissionsabgabe rausgenommen und somit meinen Bedenken Rechnung getragen. Hätte man beide Elemente in der Vorlage belassen, wäre die Reform tatsächlich «aus der Balance» geraten. Ich bin dem Ständerat dankbar, dass er hier interveniert hat.

Was kostet uns die zinsbereinigte Gewinnsteuer?
Praktisch nichts, weil sie sich nach der Rendite 10-jähriger Bundesobligationen richtet, und die liegen aktuell ungefähr bei null. Sollten diese mal wieder auf drei Prozent steigen, und das würde etliche Jahre dauern, würde sie etwa gleich viel kosten wie die Emissionsabgabe. 

Das heisst: Es kann teuer werden.
Rein theoretisch schon. Aber wenn Sie die Zinspolitik der Nationalbanken anschauen, wird das im nächsten Jahrzehnt nicht der Fall sein. Und wenn doch, haben wir Wirtschaftswachstum, und dann wäre es zu verkraften. 

Sagen Sie mal konkret: Wie teuer kommt uns die Reform zu stehen?
Wir geben 1,1 Milliarden den Kantonen. Aber entscheidend werden die Unternehmen sein. Wir sind mit der Vorlage am obersten Limit, was die Steuerbelastung anbelangt. Schauen Sie mal, was Grossbritannien im Rahmen des Brexit für Senkungen der Unternehmenssteuern ankündigt. Oder Donald Trump, der auf 15% runter will. Da muss ich sagen: UK und USA wären damit deutlich attraktivere Standorte als die Schweiz. Deshalb müssen wir uns die Frage stellen, ob wir genug machen mit dieser Vorlage. 

Geht die USR III also zu wenig weit?
Der Kanton Zürich dürfte für Firmen künftig doppelt so teuer sein wie die USA. Da werden sich internationale Unternehmen schon fragen, warum sie in Zürich bleiben sollen. Wie viel weiter man politisch hätte gehen können, weiss ich nicht. Aber die vorliegende Lösung ist vernünftig, ich kann sie jedem Bürger auf der Strasse gut verkaufen und sagen: Alle werden von einem Ja profitieren.

1,1 Milliarden Franken sind schon mal sicher weg. Da kann man doch nicht von profitieren sprechen.
Doch, doch. Erste Steuerausfälle kommen frühestens 2019 auf uns zu. Bis dann wachsen die Steuereinnahmen des Bundes um rund vier bis fünf Milliarden Franken. Davon «investieren» wir einen Viertel in einen attraktiven Wirtschaftsstandort. Dann kommen auch neue Firmen ins Land, und jene, die schon hier sind, werden weiter investieren.

Frau Widmer-Schlumpf warnt aber vor «Mindereinnahmen, die man heute noch gar nicht sieht». Genau wie bei der Unternehmenssteuerreform II, die zu massiv mehr Steuerausfällen geführt hat als prognostiziert.
Die USR II war und ist eine Erfolgsstory. Internationale Firmen zahlen heute mehr Steuern als früher. Und die Steuereinnahmen von Firmen sind seither stärker gewachsen als jene von natürlichen Personen, auch gegenüber dem BIP. Eine Reform der Unternehmenssteuer ist ein Signal an Firmen: kommet und bleibet! Das war bei der USR II so und wird auch bei der USR III so sein. Ein Nein ist hingegen ein deutliches Signal: die Schweiz ist für Firmen nicht mehr interessant und sie verlassen uns.

Dass es eine Reform braucht, ist unbestritten. Selbst bei linken Parteien. Sie könnten doch bei einem Volks-Nein relativ rasch eine neue, weniger umstrittene Vorlage ausarbeiten?
Nein, auf das Signal des Neins reagieren Firmen sofort. Investitionsentscheidungen oder Entscheide, die Schweiz zu verlassen, fallen in den ersten Monaten nach der Abstimmung. Bis eine neue Reform ins Parlament kommt, bräuchte es mindestens drei Jahre. Im Normalfall sogar vier. In dieser Zeit wandern Firmen ab – und die Schweiz verliert massiv Steuereinnahmen. Um wieder attraktiv zu werden, müsste die Schweiz dann die Steuern stärker senken, was zu weiteren Ausfällen führen würde. Die Zeche wird dann von allen Steuerzahlenden beglichen!

Wieso glauben Sie den Drohungen der Firmen, sie werden die Schweiz verlassen? Schliesslich ist die Schweiz nicht einzig wegen der Steuern so attraktiv für Firmen aus aller Welt.
Der internationale Steuerwettbewerb ist heute knallhart. Es ist eine Illusion zu glauben, die Schweiz könne nun ein paar Jahre warten – und die ganze Welt wartet auf die Schweiz. Da werden wir international ausgelacht und zum Fasnachts-Sujet rund um den Globus. Die Gegner der USR III begreifen diese Dynamik und den internationalen Wettbewerbsdruck einfach nicht.

Bei jeder wirtschafts- oder steuerpolitischen Abstimmung drohen Firmen mit Wegzug. Sind das nicht auch leere Drohungen?
Wenn nur die Hälfte eintritt, was ich nun von Firmenchefs höre, wird es ungemütlich. Wenn der erste Multi die Schweiz aus steuertechnischen Gründen verlässt, kann dies einen Domino-Effekt haben, indem weitere Firmen folgen könnten. Deshalb dürfen wir nicht in einen Negativ-Trend hineingeraten. Die CEOs sind keine Schweizer Bünzlis, die um jeden Preis hier bleiben wollen. Die können ihren Aktionären nicht erzählen, sie möchten in der Schweiz bleiben, weil es hier so schön ist.

Befürworter der Reform behaupten, bei einem Nein komme die Schweiz auf eine schwarze Liste der OECD und müsse mit Vergeltungsmassnahmen rechnen. Nun sagte der OECD-Steuerverantwortliche Pascal Saint-Amans, dass die Schweiz nach einem Nein nicht auf eine schwarze Liste gelangt. Eine weitere leere Drohung also?
Ich glaube auch nicht, dass wir sofort auf eine schwarze Liste kämen. Zudem hat die Schweiz dies noch immer problemlos verkraftet. Die Gefahr ist eher, dass Doppelbesteuerungsabkommen gekündigt werden und Firmen dann in zwei Ländern Steuern bezahlen müssten und deshalb die Schweiz verlassen.

Können Sie garantieren, dass nicht der Mittelstand für die Geschenke an die Firmen bezahlen muss?
Grundsätzlich Ja. Ich schliesse nicht aus, dass in einzelnen Gemeinden vorübergehend eine Steuererhöhung notwendig wird. Ein Ja ergibt eine leichte Delle. Diese fangen wir mit dem Wirtschaftswachstum auf. Ein Nein hingegen führt zu Steuerausfällen von jährlich einem hohen einstelligen Milliardenbetrag. Tendenz steigend. Dann blutet der Mittelstand richtig.

Herr Maurer, Ihre grösste Niederlage als Bundesrat war bisher das Nein zum Kampfjet Gripen. Droht nun auch der USR III das Grounding?
Ich schliesse nicht aus, dass wir diese Abstimmung verlieren. Leider. Es wäre wie beim Gripen. Im Nachhinein würde man das Nein bereuen und sich ein Jahr später sagen, was waren wir blöd, wir hätten Ja sagen sollen!

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