Die Energiegesetzgegner warnten vor kalten Duschen und Bananenverboten. Sie befürchteten gar Vulkanausbrüche, welche Solaranlagen lahmlegen würden.
Solchen Horrorszenarien stand Bundespräsidentin und Energieministerin Doris Leuthard entgegen. Geliebt im Volk, geachtet im Bundeshaus, gefürchtet beim politischen Gegner – und erfolgreich an der Urne.
Auch diesen Sonntag wieder: 58,2 Prozent der Stimmenden sagten Ja zur Energiewende und wählten die CVP-Magistratin damit zur Sonnenkönigin der Schweiz.
Einst war sie die «Atom-Doris»
Hell wie die Sonne glänzte auch die goldene Tasche, mit welcher Leuthard gestern zur Medienkonferenz erschien. «Die Bevölkerung hat sich sechs Jahre nach Fukushima für eine Neuausrichtung der Energiepolitik entschieden», so die Bundespräsidentin. Damit sei die Basis für eine moderne Energiezukunft gelegt – und zwar ohne Kernkraftwerke.
Ausgerechnet die einst als «Atom-Doris» verschrieene Aargauerin erhält grünes Licht für den schrittweisen Atomausstieg und eine ökologische Energiewende. Damit sichert sich Leuthard einen Platz in den Geschichtsbüchern.
Es ist ihr grösster Erfolg in einer ganzen Reihe von Abstimmungssiegen. Als Chefin des gewichtigen Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation brachte sie die zweite Gotthardröhre, den Bahnfonds Fabi, den Strassenfonds NAF, das Raumplanungsgesetz und das revidierte Radio- und TV-Gesetz ins Trockene. Gleichzeitig bodigte sie die Pro-Service-public-Initiative sowie die beiden grünen Volksbegehren für einen raschen Atomausstieg und eine grüne Wirtschaft.
Daneben sind ihre zwei Tolggen im Reinheft verblasst – die Niederlagen bei der Zweitwohnungs-Initiative und bei der 100-Franken-Vignette.
Auf dem Höhepunkt ihrer Karriere
Als amtsälteste Bundesrätin ist die 54-Jährige auf dem Höhepunkt ihrer politischen Karriere angelangt. Leuthard überstrahlt alle, wickelt Freund wie Feind um den Finger. So kommentiert sie die neue, subventionierte Solaranlage von Nein-Kampagnenleiter und SVP-Nationalrat Toni Brunner süffisant mit einem charmanten «Merci».
«Sie kennt ihre Dossiers ausgezeichnet, ist gradlinig und sehr engagiert im Kampf», zollt SP-Fraktionschef Roger Nordmann Leuthard Respekt. Diesmal kämpfte er mit ihr auf der Ja-Seite und ist froh darum. «Man hat sie lieber im eigenen Lager.»
Dass Leuthard so erfolgreich ist, sieht Nordmann in ihrer Fähigkeit, breite Koalitionen zu schmieden. Das betont auch Grünen-Präsidentin Regula Rytz: «Sie beherrscht die Kunst, mehrheitsfähige Kompromisse zu zimmern, und macht gezielt Päckli.»
In Leuthards Vorlagen hat es meist für viele etwas drin. Zum Ärger ihrer Gegner. «Ihr Geschäftsmodell ist einfach», sagt FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen (BE). «Nach grossen Ankündigungen kommen Widerstände auf und diese werden mit Subventionen auf alle Seiten beseitigt. Mit möglichst viel Geld an möglichst viele Kreise kauft sie sich die Mehrheit.»
Der einzige Kitt der Energiestrategie seien die Subventionen. Das Energiegesetz sei denn auch ein Paradebeispiel für Leuthards Klientelpolitik.
«Sie bleibt länger sitzen, um zu diskutieren»
Trotz solcher Kritik kommt Leuthard beim Volk gut an. In Beliebtheitsumfragen besetzt sie regelmässig den ersten Platz. Nicht von ungefähr, wie Regula Rytz meint: «Sie ist volksnah und bleibt nach Veranstaltungen länger sitzen, um mit den Leuten zu diskutieren.»
Klar ist auch: Die Energiestrategie ist Leuthards wichtigstes Vermächtnis. Ein guter Zeitpunkt, auf der Höhe der Macht bald einmal abzutreten? Sie beantwortet die Frage mit einem breiten Lachen. «Es gibt noch ein paar Baustellen, wo ich etwas beitragen kann», sagt sie.