Er ist zurzeit mehr Politiker als Medienmacher: der neue SRG-Generaldirektor Gilles Marchand (55). Gleich zu Beginn seiner Amtszeit muss er um nichts Geringeres kämpfen als um die Existenz der SRG. Kommt die No-Billag-Initiative durch, wäre das deren Ende. Marchand empfängt den SonntagsBlick in Bern zum Interview, um zu erklären, wie er ein Abstimmungsdebakel verhindern will und wie er als Romand um die Herzen der Deutschschweizer buhlt.
SonntagsBlick: Im März stimmt die Schweiz über die Abschaffung der Billag-Gebühren ab. Wagen Sie eine Prognose?
Gilles Marchand: Dafür ist es zu früh. Wir dürfen die Stimmung in der Bevölkerung aber nicht unterschätzen.
Laut ersten Umfragen liegen die Befürworter der No-Billag-Initiative vorn.
Es könnte eng werden, keine Frage. Wir haben nun knapp fünf Monate Zeit, diesen Trend umzukehren.
Wie wollen Sie das machen?
Mit Aufklärung. Die Leute müssen verstehen, was die Initiative wirklich bedeutet. Es geht nicht um die Frage Gebühren ja oder nein, sondern um die Frage SRG ja oder nein. No Billag heisst No SRG. Und nicht nur das: Auch Dutzende privater Fernsehen und Radios sind von den Gebühren abhängig. Das müssen wir dem Stimmvolk erklären.
Das tönt gut, dürfte aber kaum reichen. Haben Sie keinen Schlachtplan, der über blosse Aufklärung hinausgeht?
Sehen Sie, die SRG kann keine Kampagne machen. Unsere Redaktionen sind unabhängig. Sie werden über die Vorlage berichten wie über jede andere auch.
Auf dem Sender, ja. Aber gerade Sie als Generaldirektor müssen gegen aussen doch einen Abstimmungskampf führen. Immerhin geht es um Ihre Existenz!
Das tu ich ja. Ich sitze hier im Interview mit Ihnen und warne vor den Konsequenzen der Initiative.
Wie viel Geld investieren Sie in den Abstimmungskampf?
Keines. Das ist nicht unsere Aufgabe. Die privaten Komitees, die sich in den letzten Wochen aus Kulturschaffenden, Politikern und Vertretern des unabhängigen Journalismus gebildet haben, werden hingegen sicherlich Mittel aufbringen.
Letzte Woche ist Ihnen Medienministerin Doris Leuthard zu Hilfe geeilt: Sie senkt die Billag-Gebühren für Haushalte von 451 auf 365 Franken pro Jahr. Ein kluger Schachzug?
Vor allem ein vorhersehbarer Schritt. Der Bundesrat hatte ihn 2015 nach der Abstimmung zum Radio- und Fernsehgesetz bereits angekündigt.
Für die SRG bedeutet der Beschluss vor allem eines: Sparen.
Ich will nichts beschönigen, das sind tatsächlich harte Einschnitte. Wir müssen in Zukunft mit 50 Millionen Franken pro Jahr weniger auskommen. Ich hoffe aber, dass wir einen guten Weg finden, das Geld einzusparen. Zum Beispiel mit Anpassungen bei den Verwaltungskosten. Abstriche in der Programmqualität will ich auf jeden Fall verhindern. Das wäre fatal und würde unserer Glaubwürdigkeit schaden.
Ihre Glaubwürdigkeit leidet vor allem in der Deutschschweiz. Können Sie als Romand das Vertrauen der Deutschschweizer überhaupt gewinnen?
Ich bin ja nicht alleine, wir arbeiten als Team.
Klar, aber Sie sind der Botschafter der SRG, das Gesicht des Unternehmens. Nur kennt man dieses Gesicht in der Deutschschweiz kaum. Ganz im Gegensatz zu Ihrem Vorgänger Roger de Weck, der eine bekannte Figur war.
Ich versuche mein Bestes. Ich bin mit meiner Familie nach Bern gezogen und lerne fleissig Deutsch. Aber ich bin nun mal nicht mein Vorgänger und mache gewisse Dinge anders.
Was zum Beispiel?
Ich halte mich vielleicht manchmal etwas mehr im Hintergrund, habe nicht ganz so viele Ecken und Kanten. Dafür polarisiere ich dadurch auch weniger.
Die SRG-Feinde dürften trotzdem eine gehässige Abstimmungskampagne fahren. Befürchten Sie dadurch einen langfristigen Schaden für die SRG?
Dieses Risiko besteht. Ich hoffe aber, dass unsere Gegner fair bleiben. Die Abstimmung bietet uns auch die Chance, uns zu erklären, den Dialog mit dem Publikum zu intensivieren. Insofern hat das Ganze auch positive Seiten.
Sie geben sich erstaunlich gelassen. Selbst wenn die Initiative scheitert, wird der Druck auf die SRG zunehmen.
Daran haben wir uns gewöhnt. Der Service public ist seit Jahren unter Beschuss. Auch deshalb ist es so wichtig, den Leuten immer wieder klarzumachen, wie wichtig die SRG ist. Für den Zusammenhalt der Landesteile, für ein Programm, das Private nicht leisten können.
Das war jetzt der Werbespot. Fakt ist: Die SRG fischt im Teich der Privaten und gibt 360 Millionen Franken pro Jahr für Unterhaltung aus. Gehört das wirklich zum öffentlichen Auftrag?
Auch Unterhaltungsformate können Informationen liefern und unser Land und unsere Gesellschaft weiterbringen.
In der neuen SRF-Youtube-Sendung «Dr. Bock» geben Hipster dem Publikum Masturbationstipps. Eine Trash-Sendung. Was daran bringt unser Land weiter?
Haben Sie die Sendung gesehen? Sie spricht Junge an, klärt auf. Beides gehört zu unserem Auftrag.
Sie scheinen kritikresistent. Können Sie sich denn gar nicht vorstellen, dass die SRG auch Dinge falsch macht?
Natürlich. Wir sind offen für Kritik, solange diese fair ist. Leider ist sie jedoch oft destruktiv und nicht lösungsorientiert. Wir arbeiten jeden Tag daran, uns zu verbessern. Um billiger zu produzieren, etwa mit mehr Koproduktionen. Auch unser Programm überdenken wir regelmässig. Ich bin jedoch ganz klar der Meinung, dass die SRG ein Vollprogramm bieten muss. Dazu gehört auch Unterhaltung.
Wo liegen für Sie die Grenzen des Service public?
Ich will keine rein voyeuristischen Formate. Sendungen, in denen Leute lächerlich gemacht und blossgestellt werden – da hört es für mich auf.
Die Aussage des neuen SRG-Generaldirektors Gilles Marchand im Interview mit SonntagsBlick ist eine Drohung: «No Billag heisst No SRG.» Marchand hat recht. Trotzdem ist es auch ein gefährliches Statement. Wir leben in Zeiten, in denen der Argwohn gegen Grossorganisationen so stark ist wie nie. Oft genug schaltet Misstrauen die Hirne aus und führt zu fatalen Entscheiden.
Die Briten haben den Brexit gewählt, da eine Mehrheit nicht mehr an die Europäische Union glaubte – nun aber, wo die Folgen sichtbar werden, bereuen viele ihr Votum. Und in Katalonien haben sich die Separatisten auf ein gefährliches Vabanque-Spiel eingelassen: Ausgang ungewiss.
«Alles oder nichts»
Ähnliche Verhärtungen sollte die SRG-Spitze im Billag-Abstimmungskampf tunlichst vermeiden. Der Aufbau einer Drohkulisse nach dem Motto «Alles oder nichts», könnte im Nichts enden. Deshalb ist jetzt ein geschmeidiges, vielleicht sogar bescheidenes Auftreten gefragt.
Es ist klar, dass die SRG zahlreiche Feinde hat. Den politischen unter ihnen ist das eher linksgerichtete Fernsehprogramm schon lange ein Dorn im Auge. Für sie bietet die Billag-Abstimmung eine willkommene Gelegenheit, um Zugriff auf die bedeutendsten elektronischen Medien im Land zu bekommen.
«No Billag heisst No SRG»
Dann gibt es die, denen die Zwangsgebühren einfach zu hoch sind. Und manche andere spüren ein diffuses Missbehagen gegenüber der SRG. Der Slogan «No Billag heisst No SRG» bestärkt diese heterogene Wählerschar in ihrer ablehnenden Haltung.
Es braucht eine smarte Strategie, die aufzeigt, dass der Wunsch nach weniger SRG erkannt ist, die aufzeigt, was er bedeuten kann: den Rückzug auf schweizerische Themen in Politik, Unterhaltung, Kultur oder Sport und die schweizerische Film- oder Musikförderung. Ein solcher Service-public-Auftrag ist anspruchsvoll genug und sollte von der SRG aktiv kommuniziert und umgesetzt werden. Ebenso wie das stärkste Argument zum Erhalt der SRG: eine solche Aufgabe könnten Private niemals finanzieren.
Die Aussage des neuen SRG-Generaldirektors Gilles Marchand im Interview mit SonntagsBlick ist eine Drohung: «No Billag heisst No SRG.» Marchand hat recht. Trotzdem ist es auch ein gefährliches Statement. Wir leben in Zeiten, in denen der Argwohn gegen Grossorganisationen so stark ist wie nie. Oft genug schaltet Misstrauen die Hirne aus und führt zu fatalen Entscheiden.
Die Briten haben den Brexit gewählt, da eine Mehrheit nicht mehr an die Europäische Union glaubte – nun aber, wo die Folgen sichtbar werden, bereuen viele ihr Votum. Und in Katalonien haben sich die Separatisten auf ein gefährliches Vabanque-Spiel eingelassen: Ausgang ungewiss.
«Alles oder nichts»
Ähnliche Verhärtungen sollte die SRG-Spitze im Billag-Abstimmungskampf tunlichst vermeiden. Der Aufbau einer Drohkulisse nach dem Motto «Alles oder nichts», könnte im Nichts enden. Deshalb ist jetzt ein geschmeidiges, vielleicht sogar bescheidenes Auftreten gefragt.
Es ist klar, dass die SRG zahlreiche Feinde hat. Den politischen unter ihnen ist das eher linksgerichtete Fernsehprogramm schon lange ein Dorn im Auge. Für sie bietet die Billag-Abstimmung eine willkommene Gelegenheit, um Zugriff auf die bedeutendsten elektronischen Medien im Land zu bekommen.
«No Billag heisst No SRG»
Dann gibt es die, denen die Zwangsgebühren einfach zu hoch sind. Und manche andere spüren ein diffuses Missbehagen gegenüber der SRG. Der Slogan «No Billag heisst No SRG» bestärkt diese heterogene Wählerschar in ihrer ablehnenden Haltung.
Es braucht eine smarte Strategie, die aufzeigt, dass der Wunsch nach weniger SRG erkannt ist, die aufzeigt, was er bedeuten kann: den Rückzug auf schweizerische Themen in Politik, Unterhaltung, Kultur oder Sport und die schweizerische Film- oder Musikförderung. Ein solcher Service-public-Auftrag ist anspruchsvoll genug und sollte von der SRG aktiv kommuniziert und umgesetzt werden. Ebenso wie das stärkste Argument zum Erhalt der SRG: eine solche Aufgabe könnten Private niemals finanzieren.
Am 1. Oktober hat Gilles Marchand (55) sein Amt als SRG-Generaldirektor angetreten. Er folgte auf Roger de Weck (64). Für den neuen Job ist der studierte Soziologe mit seiner Familie von Genf nach Bern gezogen. Marchand wuchs als Sohn eines französischen Vaters aus Lyon und einer waadtländischen Mutter in Paris auf. Ab 1998 amtete er als Direktor von Ringier Romandie, ab 2001 stand er an der Spitze des Westschweizer Fernsehens.
Am 1. Oktober hat Gilles Marchand (55) sein Amt als SRG-Generaldirektor angetreten. Er folgte auf Roger de Weck (64). Für den neuen Job ist der studierte Soziologe mit seiner Familie von Genf nach Bern gezogen. Marchand wuchs als Sohn eines französischen Vaters aus Lyon und einer waadtländischen Mutter in Paris auf. Ab 1998 amtete er als Direktor von Ringier Romandie, ab 2001 stand er an der Spitze des Westschweizer Fernsehens.