BLICK: Die Altersvorsorge ist eines der Kernthemen der SP, ausgerechnet hier vertraut das Volk der Linken nicht. Was machen Ihre Genossen falsch?
Helmut Hubacher: Ich bin sehr enttäuscht. Aber das Nein zu dieser Reform ist kein linkes Versagen. Auch die FDP hat 2004 mit Bundesrat Couchepin und 2010 mit Burkhalter ein Nein kassiert. Diese Vorlage ist vom Volk wegen des AHV-Ausbaus nicht goutiert worden, sie ist am «Zückerchen 70 Franken» gescheitert. Diese Rentenerhöhung hatte Alain Berset in der ursprünglichen Vorlage nicht drin. Das Abstimmungsergebnis erinnert mich an das Nein des Volkes zu einer Woche mehr Ferien. Die Schweizer Mentalität lehnt sogar Geschenke ab. Im Ausland versteht man das nicht.
Ist das Abstimmungsresultat nicht auch ein Nein zum Frauenrentenalter 65?
Das hat sicher eine Rolle gespielt. Man vergisst oft, dass 1948 das Rentenalter 65 für Mann und Frau entschieden wurde. Die Frau war damals aber als Anhängsel des Mannes in der Altersvorsorge sehr benachteiligt, darum hat Bundesrat Tschudi das Rentenalter für Frauen reduziert. Heute leben wir aber alle länger, und das kostet – ich bin mit 91 ja das beste Beispiel.
Hat Bundesrat Berset zu viel gewollt, indem er die AHV und die Pensionskasse als Paket reformieren wollte?
Das muss man erst noch genau analysieren. Ich nehme zur Kenntnis, dass auch die SVP die Renten nicht kürzen will. Sicher ist: Die AHV braucht jetzt dringend Geld. Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt spricht jetzt schon von Rentenalter 67, das hat niemals Chancen beim Volk! Unsere Wirtschaft ist nicht bereit, Leute ab 55 anzustellen, und Vogt will eine Erhöhung des Rentenalters – das ist doch absurd. Die Schweiz ist eines der reichsten Länder, da werden wir doch – gopfertori! – unsere AHV finanzieren können.
In Deutschland ist die AfD mit knapp 13 Prozent drittstärkste Partei im Bundestag, die SPD im historischen Tief. Das muss Sie schmerzen.
Ja, für einen linken Politiker ist das ein wahnsinniger Schlag. Es ist das schlechteste Resultat der SPD aller Zeiten. Willy Brandt schaffte 1972 seine Wiederwahl mit 40 Prozent, jetzt ist die SPD bei der Hälfte.
Inwiefern hängt der Aufstieg der AfD mit Merkels Flüchtlingspolitik zusammen?
Sie ist der Grund des AfD-Erfolgs. Zum Zeitpunkt von Merkels «Wir schaffen das» war die AfD zerstritten und als Partei am Boden. Aber Merkel hat mit ihrer Entscheidung, 2015 eine Million Flüchtlinge, darunter auch Terroristen, unkontrolliert ins Land zu lassen, die Menschen vollkommen überfordert. Es war zwar eine grossartige Geste. Diese Million ist jetzt aber im Land, Probleme sind nicht gelöst, und Merkel hat ihre Flüchtlingspolitik verdrängt. Sie merkte: «Wir schaffen das nicht.» Ausgesprochen hat es aber die AfD. Man muss bedenken: Hier sind Menschen aus Drittweltländern mit völlig anderen Kulturen in Massen nach Deutschland gekommen, sie sind für die Deutschen sehr fremd. Es hat viel mit Bauchgefühl zu tun, wie viel Fremdes der Mensch verträgt. Das hat der AfD geholfen.
Wieso verlieren die Sozialdemokraten, wenn die CDU-Kanzlerin doch die Entscheidung traf?
Warum Merkel immer wieder gewählt wird, kann man rational nicht erklären. Ein Versuch ist dieser: Sie hat der SPD die Themen weggenommen und ihren konservativen Flügel zum Teil verloren. Enttäuschte finden ihre Antworten bei der AfD.
Die Sozialdemokratie schafft es nicht, beim Thema soziale Sicherheit die Führung zu behalten.
Die SPD hat die Politik von Ex-Kanzler Gerhard Schröder nie verkraftet. Durch seine Agenda 2010, mit der er Arbeiter dazu zwang, Zweitjobs anzunehmen, um den Lebensunterhalt zu bestreiten, hat die SPD die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Auch in der Schweiz haben wir viele Arbeiter an die SVP verloren …
Aber Gerhard Schröder ist schon lange weg. Wieso konnte Martin Schulz bei den klassischen SPD-Wählern nicht punkten?
Schulz war eine Fehlbesetzung, der kam ja fast schon aus Verzweiflung nach 20 Jahren Brüssel zurück. Die deutsche Sozialdemokratie bräuchte einen Willy Brandt, der die Menschen mitreisst. Für Schulz kann man sich doch nicht langfristig begeistern.
Mit der AfD seien erstmals seit 1945 Nazis im Bundestag, sagte SPD-Mann Sigmar Gabriel. Ihre Genossen in Deutschland schwingen also die Nazi-Keule.
Man muss hier sehr aufpassen! Die AfD hat sehr unangenehme Mitläufer, die rassistisch sind und an Neonazis erinnern. Aber in Deutschland sind sicher nicht 13 Prozent der Wähler Nazis. Alle zu diffamieren, hilft niemandem. Migros-Kassiererinnen, Bauarbeiter, Chauffeure wählen bei uns SVP wegen der Flüchtlingspolitik der Linken.
Sie werfen SVP und AfD in den gleichen Topf?
Auch die SVP hat mit Ulrich Schlüer beispielsweise einen Rechtsextremen in den eigenen Reihen, schliesslich war er Sekretär des Faschisten James Schwarzenbach. Ich stufe die SVP nicht als rechtsextreme Partei ein, sondern als rechtsbürgerliche. Wohl aber als eine, die andere diffamiert.
AfD-Spitzenkandidat Alexander Gauland sagte gestern, die AfD würde «Merkel jetzt jagen».
Diese Aussage ist unheimlich. Die AfD muss jetzt beweisen, dass sie nicht nur jagen, sondern rechtsbürgerliche Politik betreiben kann, ohne in den Extremismus abzudriften. Sonst ist sie in vier Jahren nirgends mehr. Ich erinnere an die Piratenpartei – die ist nirgends mehr. Die anderen Parteien können jetzt aber auch nicht einfach sagen, mit denen reden wir nicht. Zu diesem Dialog muss eine Demokratie fähig sein.
Helmut Hubacher wurde 1926 im Kanton Bern geboren. Nach einer Lehre als SBB-Stationsbeamter wurde er 1953 Gewerkschaftssekretär des VPOD und 1963 Chefredaktor der «Basler AZ». Er sass von 1963 bis 1997 im Nationalrat und war von 1975 bis 1990 Präsident der SP Schweiz.
Helmut Hubacher wurde 1926 im Kanton Bern geboren. Nach einer Lehre als SBB-Stationsbeamter wurde er 1953 Gewerkschaftssekretär des VPOD und 1963 Chefredaktor der «Basler AZ». Er sass von 1963 bis 1997 im Nationalrat und war von 1975 bis 1990 Präsident der SP Schweiz.
Helmut Hubacher wurde 1926 im Kanton Bern geboren. Nach einer Lehre als SBB-Stationsbeamter wurde er 1953 Gewerkschaftssekretär des VPOD und 1963 Chefredaktor der «Basler AZ». Er sass von 1963 bis 1997 im Nationalrat und war von 1975 bis 1990 Präsident der SP Schweiz.
Helmut Hubacher wurde 1926 im Kanton Bern geboren. Nach einer Lehre als SBB-Stationsbeamter wurde er 1953 Gewerkschaftssekretär des VPOD und 1963 Chefredaktor der «Basler AZ». Er sass von 1963 bis 1997 im Nationalrat und war von 1975 bis 1990 Präsident der SP Schweiz.