BLICK erklärt die Atomausstiegs-Initiative
Das müssen Sie wirklich wissen

«Atomkraft? Nein, danke!» So lautet seit Jahrzehnten der Slogan der AKW-Gegner. Wenn Ende November genügend Bürger Ja stimmen, rückt dieses Ziel näher.
Publiziert: 01.11.2016 um 15:22 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 16:17 Uhr
Der Anti-AKW-Kampf dauert schon Jahrzehnte. Am 27. November entscheidet das Schweizer Stimmvolk einmal mehr über den Atomausstieg.
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Ruedi Studer

Am 27. November entscheidet das Stimmvolk, ob den Schweizer AKW bis spätestens 2029 der Stecker gezogen wird. BLICK erklärt, was Sie über die Atomausstiegs-Initiative wissen müssen.

Was verlangt die Initiative?

Die von den Grünen lancierte Volksinitiative «für den geordneten Ausstieg aus der Atomenergie (Atomausstiegs-Initiative)» verbietet den Neubau von AKW und verlangt, dass das AKW Beznau I im Jahr nach der Abstimmung und die anderen Schweizer Atomkraftwerke spätestens nach einer Laufzeit von 45 Jahren vom Netz gehen.

Die drei ältesten AKW, neben Beznau I auch Beznau II und Mühleberg, würden damit 2017 abgeschaltet. Gösgen würde noch bis 2024 und Leibstadt bis 2029 Strom produzieren.

Andererseits soll der Bund dafür sorgen, dass weniger Energie verbraucht, die Energieeffizienz erhöht und erneuerbare Energien gefördert werden.

Sind die Schweizer AKW sicher?

Die Beantwortung dieser Frage wird zur Gratwanderung. Technisch gesehen gelten die Schweizer AKW bisher als sicher. Allerdings sind Mängel, Sicherheitsrisiken durch menschliches Versagen oder Naturkatastrophen sowie technische Nachrüstungen ein ständiges Thema.

Die grossen AKW-Katastrophen von Tschernobyl 1986 oder Fukushima 2011 zeigen, dass ein Restrisiko bleibt. Ein schwerer Atomunfall wäre für die dicht besiedelte Schweiz eine riesige Katastrophe.

Mit dem 1969 in Betrieb genommenen AKW Beznau I verfügt die Schweiz über einen eigentlichen AKW-Dinosaurier – den ältesten Atommeiler der Welt. Allerdings betonen die Betreiber, dass in die Sicherheit der Schweizer AKW Milliarden von Franken investiert worden sind. 

Unter dem Strich bleibt die Frage der Sicherheit also für viele schlicht eine Glaubens- und Vertrauensfrage. 

Die Atomkraftwerke Beznau I und II (Bild) gehören zusammen mit Mühleberg zu den ältesten Meilern der Welt. Bei einem Ja zur Initiative werden diese drei AKW 2017 vom Netz genommen.
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Droht bei einem Ja eine Stromlücke?

Was die Stromversorgung insgesamt betrifft: nein. Denn die Schweiz ist eng mit dem europäischen Stromnetz verbunden und kann bei Bedarf Strom aus dem Ausland importieren. Das tut sie auch heute schon.

Das heisst aber auch: Die einheimische Stromproduktion durch erneuerbare Energien wie Wasser, Sonne oder Wind reicht noch nicht aus, um die Atomstrom-Lücke zu füllen.

Bei einem Ja stiege der Druck, diese Lücke schneller als bisher geplant durch einheimischen Strom und Energiesparmassnahmen zu schliessen.

Importiert die Schweiz mehr dreckigen Kohlestrom?

Fakt ist: Im europäischen Ausland produzieren zahlreiche Kohlekraftwerke (insbesondere Deutschland) und Atomkraftwerke (insbesondere Frankreich) Strom.

Fakt ist: 2015 importierte die Schweiz 42,3 Milliarden Kilowattstunden Strom. Den grössten Teil aus Frankreich, gefolgt von Deutschland und Österreich.

Fakt ist aber auch: Welche Art von Strom in die Schweiz importiert wird, lässt sich nicht genau sagen. Beim gehandelten Strom wisse man nicht, wie viel davon aus erneuerbaren Energiequellen stamme, «weil an der Börse grundsätzlich Graustrom gehandelt wird», wie etwa die BKW in Bern erklären.

Allerdings ist klar, dass zumindest ein Teil des Importstroms aus ausländischen Kohle- und Atomkraftwerken stammt – auch wenn sich der Anteil nicht genau beziffern lässt.

Zahlt die Schweiz Schadenersatz?

Rechtlich gesehen ist es möglich, dass die AKW-Betreiber Schadenersatzklagen einreichen, wenn der Abschalttermin politisch beschlossen wird.

Die AKW-Betreiber drohen denn auch jetzt schon mit Klagen in Milliarden-Höhe.

Das sei eine leere Drohung, entgegnen die Initianten. Atomstrom rentiere seit einigen Jahren nicht mehr – die Gestehungskosten überstiegen die Erträge längst. Das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» rechnete jüngst in einem Artikel vor, dass den AKW-Betreibern jährlich Verluste von rund einer halben Milliarde Franken pro Jahr entstehen könnten. 

Pochen die AKW-Betreiber auf Schadenersatz, müssen sie einen entsprechenden Schaden vor Gericht aber auch belegen können. Aus heutiger Sicht ist fraglich, ob und in welcher Höhe Klagen Erfolg haben werden.

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Was ist mit der Energiestrategie 2050?

In wichtigen Punkten sind sich die Initianten und das Parlament mit seiner Energiestrategie 2050 einig. Neue AKW sollen verboten werden. Die Schweiz soll auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz setzen. Ziel ist der Atomausstieg.

Der grosse Unterschied: Die Initiative nennt konkrete Abschalttermine. Mit der Energiestrategie 2050 hingegen bleibt offen, wie lange die bestehenden AKW noch laufen. Diese dürfen am Netz bleiben, solange sie «sicher» sind. Der definitive Ausstieg würde damit um einige Jahre hinausgeschoben – möglicherweise bis in die 2040er-Jahre.

Wer unterstützt die Initiative?

Die Atomausstiegs-Initiative wurde von den Grünen lanciert, eine breite Allianz unterstützt sie. Bei den Parteien gehören neben den Grünen auch SP, GLP, EVP und CSP zu den Befürwortern. Vereinzelt wird die Initiative auch von bürgerlichen Kantonalparteien unterstützt. So hat etwa die CVP Genf die Ja-Parole beschlossen.

Für die Initiative setzen sich auch Gewerkschaften sowie zahlreiche Natur- und Umweltverbände ein. Zu den prominentesten Befürwortern gehört der Komiker Peach Weber.

Hier geht es zur Homepage der Befürworter: 
www.geordneter-atomausstieg-ja.ch

Wer ist dagegen?

Eine ebenfalls breite Allianz stellt sich gegen die Initiative. SVP, FDP, CVP, EDU und BDP sagen Nein. Auch die Wirtschaftsorganisationen Economiesuisse, Swissmem und der Gewerbeverband sind dagegen.

Hier geht es zur Homepage der Gegner:
www.ausstiegsinitiative-nein.ch

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