Billag-Debatte
Mehr Mut, bitte!

SRF sucht einen Unterhaltungschef. SonntagsBlick zeigt, wo er aufräumen muss.
Publiziert: 01.10.2017 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 01:18 Uhr
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Flaggschiff des ZDF: Oliver Welke und seine «Heute-Show».
Foto: ZDF/Willi Weber
Peter Padrutt und Tom Wyss

Wenn SRF-Abteilungsleiter Christoph Gebel (58) Ende Jahr seinen Sender verlässt, steht die Unterhaltung im Schweizer Fernsehen vor grossen Herausforderungen. Und wenn das Volk dann auch noch über die Billag-Initiative abstimmt, mit der die Gebühren für Radio und Fernsehen entfallen sollen, werden Shows, Quiz- und Castingsendungen erneut zu reden geben.

Zum einen geht es da um Bereiche, bei denen ähnlich wie beim Sport jeder mitreden kann. Zum anderen behaupten SRG-Kritiker seit langem, dass solche Programme ins Privatfernsehen gehörten.

Unterhaltung gehört zum Programmauftrag

Dabei ist im Radio- und Fernsehgesetz festgelegt: Die SRF-Unterhaltung gehört zum Programmauftrag der SRG. Sie vermittelt kulturelle Werte und ist identitätsbildend, heisst es darin.

Sie ist auch nicht so teuer wie oft beklagt: Von 447 Millionen Franken, die das SRF-Fernsehen 2016 kostete, betrugen die Ausgaben der Unterhaltung rund 50 Millionen Franken.

Parlamentarisch scheint der Status quo vorerst gesichert: Nach dem Ständerat hat diese Woche auch der Nationalrat die No-Billag-Initiative deutlich zur Ablehnung empfohlen. Das gibt der SRG – und damit auch der Unterhaltung – politisch Luft. Aber Verlass ist darauf nicht: Eine erste Umfrage unter 1000 Stimmberechtigten zeigte kürzlich, dass sich 47 Prozent die Billag-Gebühren sparen wollen. Nur 37 Prozent würden die Initiative ablehnen oder eher ablehnen. Das Volk ist zumindest derzeit skeptischer als die Politiker.

Vermehrt Kostengünstiges am Samstagabend

Immerhin: Gebel hat gespart. Für den Samstagabend setzte er vermehrt auf kostengünstige Koproduktionen wie «Spiel für dein Land», das auch gestern wieder Wissenswertes über die Schweiz lieferte. Und er förderte samstägliche Langversionen bestehender Formate wie «Mini Beiz, dini Beiz» oder von werktäglichen Quizshows. In Gebels Amtszeit wurden Sendungen wie «Benissimo», die «Miss-Schweiz-Wahlen» oder der «Swiss Award» abgesetzt, was ihm den Ruf eintrug, er habe ein Streichkonzert organisiert.

Der Marktanteil der Unterhaltungssendungen am Samstagabend liegt im Augenblick bei rund 30 Prozent – das sind gute Zuschauerwerte. Sendungen wie «Happy Day», «Hello Again!», «Viva Volksmusik», «100% Schweizer Musik», «SRF bi de Lüt – Live» oder Kilchspergers «Jass-Show» sind solide gemacht und geniessen bei den Zuschauern hohe Akzeptanz.

Keine TV-Show, die Aufsehen erregte

Wenn man den Erfolg genauer betrachtet, wird aber klar: In Gebels Ära gab es nie eine neue, grosse TV-Show, die wirklich Wellen schlug. Zu oft rannte man ausländischen Formaten hinterher – zuletzt mit der Tanzshow «Darf ich bitten?».

Oft beruft man sich ­darauf, es seien immerhin Eigenkreationen. Wahr ist, dass nur drei werktägliche Quizsendungen Lizenzproduktionen sind, ebenso wie «Ich schänke dir es Lied», «Die grössten Schweizer Talente», «Mini Beiz, dini Beiz» und «Jobtausch». Anderes ist zwar nicht eingekauft, wirkt aber abgekupfert oder zusammengeschustert.

Ein Blick auf das Gesamtprogramm in den letzten Jahren zeigt: Man wollte nichts falsch machen. Nach dem Erfolg von «Happy Day» multiplizierte man das Rezept der Überraschungen durch Ableger wie «Ich schänke dir es Lied» oder «Lebe deinen Traum». Auch das Muster der «Heimatformate», wie sie mit Nik Hartmann (45) funktionieren, wurde in «Landfrauenküche», «Hüttengeschichten» oder «Familiensache» überstrapaziert. Die «SRF bi de Lüt»-Formate setzen im Übermass auf ein Postkarten-Image der Schweiz.

Nik Hartmann wird in die Idylle gedrängt. Er könnte auch urban unterwegs sein.
Foto: Marcus Gyger

Urbane, freche Formate fehlen

Es fehlt die Vielfalt in der Unterhaltung, die Erkenntnis, dass Emotionen mehr sein können als Heimat und Happy Days. Es fehlen urbane, freche Formate. Neu lancierte Sendungen wie «Heimatland» zeigen innovative Ansätze, schwierig wird es trotzdem: Die ganz Jungen, die ohnehin kaum noch lineares Fernsehen schauen, dürften kaum für die SRG stimmen.

So könnten die Rechtsbürgerlichen zusammen mit den jüngeren Städtern zu ­einer Gefahr für das Schweizer Fernsehen werden. Denn das urbane Publikum verlangt Sendungen, die auf seine Bedürfnisse zugeschnitten sind. Ein TV-Insider warnte bereits hinter vorgehaltener Hand vor einem knappen Ausgang der Billag-Initiative: «Es braucht jetzt intellektuelle Ansätze und Denkprozesse, die zu spannenden, kontroversen Formaten führen.»

Live-Events forcieren

Was ist zu tun? Das lineare, herkömmliche Fernsehen kann vor allem von Live-Events profitieren – man sollte sie noch mehr forcieren. Castingshows und Tränendrüsenformate reichen nicht mehr aus. Ein weiterer Trend: Unterhaltung und Sport wachsen zusammen. Wettkämpfe wie «Ninja Warrior» sind beim jüngeren Publikum Riesenhits.

Ganz wichtig: SRF fehlt nach dem Ende von «Benissimo» das Starpersonal auf der Bühne. Es braucht mehr Plattformen für internationale und Schweizer Künstler – nicht nur im Schlagerbereich. Eine Livesendung mit Platz für Schräges und Kontroverses wäre wünschenswert. Nik Hartmann (45) könnte damit endlich beweisen, dass er mehr kann als Geranien präsentieren.

Warum man Ideen aus dem Ausland kopiert, dabei aber nicht an clevere Formate wie «Höhle der Löwen» denkt, ist unerklärlich. In diesem Format stellen Unternehmer innovative Produkte vor. Schliesslich fehlt nach dem Ende von «Giacobbo/Müller» Satire auf vergleichbarem Niveau oder eine Lachsendung nach dem Vorbild der ZDF-«Heute-Show». SRF braucht auch wieder eine richtig gute Kochshow: etwas wie «Kerners Köche» im ZDF.

Gruppen-Talkshows wie in Deutschland fehlen

Noch eine Leerstelle: SRF sendet neben «Aeschbacher» keine unterhaltsamen Gruppen-Talkshows wie «Lanz» (ZDF) oder die NDR-Talkshow.

Das alles kostet zwar eine Stange Geld, aber für einmal könnte man damit skeptische Gebührenzahler ködern. Gebels Nachfolger braucht deshalb vor allem mehr Mut. Und eine klare Vision davon, was Service public heute bedeutet.

Klar ist: Falls die Billag-Initiative wider Erwarten angenommen wird, dürften die Verantwortlichen alles daransetzen, dass die SRG in reduzierter Form bestehen bleibt. Für die Unterhaltung aber könnte es eng werden.

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