BLICK: Sie kämpfen mit Herzblut für die Unternehmenssteuerreform III, die im Februar zur Abstimmung kommt. Ihre Partei kämpft genauso heftig dagegen. Was ist los bei der SP?
Eva Herzog: Tja, wo soll man da anfangen? Die SP sagt zwar auch, dass es eine Reform braucht. Die Partei erweckt aber den Eindruck, man könne auch nichts machen. Und man spricht viel von den Steuerausfällen. Da ist es manchmal gut, an die Anfänge zu erinnern.
Auf Druck des Auslands musste die Schweiz die privilegierte Besteuerung von Holdinggesellschaften anpassen.
Den Druck gab es schon lange. 2012 hat Eveline Widmer-Schlumpf die Kantone an den Tisch geholt. Von dem System mit Statusgesellschaften hat die Schweiz enorm profitiert. Es war immer klar, dass der Ersatz nicht genauso gut ist, dass wir künftig nicht genauso attraktiv sein werden und dass es Steuerausfälle gibt. Die Ausfälle sind mit der aktuellen Reform aber begrenzt, und die Kantone erhalten eine Kompensation des Bundes. Ein Mangel ist die fehlende Gegenfinanzierung. Doch eine Kapitalgewinnsteuer ist politisch leider nicht realistisch.
Dennoch: Christian Levrat erwartet von Ihnen, «dass sie der Bevölkerung erklären, warum wir Roche und Novartis Hunderte von Millionen Franken schenken sollen, während die Krankenkassenprämien wieder um fünf Prozent steigen».
Jetzt muss ich schon sagen: Diese Aussage ist komplett falsch. Die grossen internationalen Unternehmen profitieren mit dieser Reform nicht. Forschungsintensive Unternehmen zahlen ungefähr gleich viel. Firmen, die nicht vom Steuerkonstrukt Patentbox profitieren, wie Handelsgesellschaften, werden nach der Reform mehr bezahlen.
Roche und Novartis profitieren nicht?
Nein, die grossen Pharmafirmen bezahlen künftig gleich viel oder mehr Steuern. Die Steuerausfälle kommen von den heute ordentlich besteuerten Firmen. Ich muss also der Bevölkerung keine Steuergeschenke an internationale Grossfirmen erklären, da es diese nicht gibt. Das scheinen die Reformgegner noch nicht verstanden zu haben.
Der SonntagsBlick zitiert eine Studie der Reformgegner, wonach ein Prozent der Unternehmen – darunter Roche oder Novartis – durch die neue Unternehmenssteuerreform 2,14 Milliarden Franken weniger Steuern zahle.
Ich kenne diese Studie nicht. Aber die Aussage stimmt schlicht nicht. Die ausserordentlich besteuerten Statusgesellschaften zahlen heute acht bis elf Prozent. Sie werden künftig mit einer Patentbox zehn oder elf Prozent zahlen.
«Am Schluss bekommen Scheiche vom Golf Millionen, weil sie grosse Teilhaber hiesiger Firmen sind. Das ist doch total absurd», sagt SP-Nationalrätin Jacqueline Badran im SonntagsBlick.
Es ist falsch zu behaupten, die internationalen Grosskonzerne würden entlastet. Weniger Steuern zahlen künftig inländische grosse und mittlere Unternehmen, die heute ordentlich besteuert werden. Die haben wohl nicht viele Scheiche im Aktionariat.
Laut Ihrer Partei wird der Mittelstand auch die Ausfälle mit Leistungsabbau und höheren Steuern berappen müssen.
Erstens weiss man das noch nicht, zweitens ist es nicht so einfach: Wenn man nichts machen würde, müsste eine internationale Firma künftig in Basel bis zu 22 Prozent statt nur 8 Prozent zahlen. Da wird sie den Hauptsitz vielleicht verlegen.
Diese Drohung hört man immer wieder. Ziehen Novartis oder die Ems-Chemie wirklich aus der stabilen Schweiz weg, wenn sie ein wenig mehr Steuern zahlen müssen?
Seit der Unternehmenssteuerreform I von 1998 haben wir die Statusgesellschaften und sind steuerlich so international konkurrenzfähig. Ich behaupte nicht, dass Roche 2018 die Koffer packt und geht, falls die Reform an der Urne scheitert. Aber den Firmenausbau, den sie jetzt bei uns machen, kann man auch anderswo machen. Wir sind ein Land der Hauptsitze und nicht der Produktion. Das müssen wir langfristig sichern. Ich setze mich lieber jetzt dafür ein, dass die Unternehmen hier bleiben, als dass ich in den kommenden Jahren immer wieder auf einem Holzkistchen bei einer Demonstration sagen muss: Ich finde es eine Sauerei, dass nun 400 Stellen gestrichen werden.
Die Patentbox ist laut Ihrer Partei überrissen: Mit schwammigen Formulierungen wie «nicht patentierbaren Erfindungen» sei diese eine Goldgrube für Steuerberater.
Die Patentbox wird in der OECD diskutiert. Wir wollen nur, was international zulässig ist. Sie ist nicht ein Schlupfloch, sondern hat klare Bedingungen. Man darf dann Erträge über die Box abrechnen, wenn man hier am Standort Schweiz Forschung und Entwicklung hat. Nur dann profitiert man von der Box. Zudem gibt es eine Entlastungsbegrenzung: 20 Prozent der Gewinne müssen die Firmen immer besteuern. Das ist mehr als Holdings heute bezahlen, also eine Verbesserung zu heute.
Die SP will nach einem Volks-Nein die Reform schnell im Parlament abspecken und wieder bringen. Warum ist das für Sie kein gangbarer Weg?
Ich bin nicht sicher, was die Reformgegner vorhaben. Ich glaube nicht, dass das Parlament innerhalb eines Jahres wieder eine neue Reform beschliessen würde. Warum braucht es die Unsicherheit, obwohl auch bei einer Ablehnung nicht viel mehr herausschaut? Nehmen wir lieber das, was wir nun haben.
Die zinsbereinigte Gewinnsteuer macht Ihnen keine Bauchschmerzen?
Nein. Das Instrument ist klar begrenzt. Eine Entlastungsbegrenzung verhindert, dass die Ausfälle ins Bodenlose fallen.
Basel hat viele ausländische Unternehmen, für Sie ist die Reform wichtig. Daniel Leupi, Finanzdirektor von Zürich, ist hingegen weniger erfreut über die Reform. Sie habe zu viele Ausnahmefälle und Schlupflöcher. Wieso gibt es diese Unterschiede zwischen den Städten?
Daniel Leupi hat es sehr gut gemacht. Er hat seinem Regierungsrat bereits entlocken können, wie viel Kompensation die Stadt Zürich erhalten wird. Seiner Meinung nach sind aber die Berechnungen des Bundes zu tief. Aber mal angenommen, sie sind korrekt: Dann wird Zürich etwa 200 Millionen weniger einnehmen, während die Hälfte bereits durch die Kompensation gedeckt ist. Basel bewegt sich etwa im gleichen Rahmen. Allerdings hat Zürich ein gut doppelt so grosses Budget. Ebenfalls muss man beachten, dass die Schwankungen der Steuereinnahmen durch juristische Personen schnell einmal 50 bis 100 Millionen Franken ausmachen können. Deshalb muss man die Kritik auch in Relation sehen. Und wenn man kritisiert, sollte man auch einen besseren Vorschlag machen. Bei keinem mir bekannten Vorschlag würden jedoch Kantone und Gemeinden mehr Geld erhalten als bei der Unternehmenssteuerreform III.
Beim kleinen Steuerzahler schwelt bei Steuerreformen immer die Angst mit, dass die Massnahmen ein Geschenk für findige Steuerberater sind.
Das ist falsch. Seit 1998 haben sich die Steuereinnahmen verdreifacht. Als die erste Reform die Statusgesellschaften einführte, haben die Steuereinnahmen enorm zugenommen. Klar, die zweite Reform war ein Fehler. Statt Unternehmen entlastete man die Aktionäre. Trotzdem: Es gibt derzeit keine bessere Alternative. Das Referendum gegen die Unternehmenssteuerreform III zu ergreifen, ist darum ein Spiel mit dem Feuer.
Die Kapitalgewinnsteuer war in der ursprünglichen Fassung der Reform enthalten, wurde aber vom Parlament gestrichen. War das in Ihrem Sinn?
Nein, ich befürworte die Kapitalgewinnsteuer. Bundesrätin Widmer-Schlumpf und zwei Kantone waren für die Kapitalgewinnsteuer. Es handelt sich um eine Steuerlücke, schliesslich gibt es sie schon lange im Ausland.
Sie sind für die Reform, Ihre Partei dagegen: Warum sind Sie trotzdem eine gute Sozialdemokratin?
Weil meine Partei und ich das gleiche Ziel verfolgen. Nur haben wir eine Meinungsverschiedenheit, was der beste Weg wäre. Der SP wie auch mir ist wichtig, dass die Steuereinnahmen nicht einbrechen. Die SP hat Angst, dass mit der Unternehmenssteuerreform III die Ausfälle grösser sind als die Einnahmen. Ich aber bin der Meinung, dass wir mit ihr eine gute Lösung haben, ich sehe jedenfalls keine bessere Alternative. Dank dieser Lösung können Kantone weiterhin auch selbst Schwerpunkte setzen. Heute wird fälschlicherweise häufig behauptet, dass die Vorlage überladen sei. Aber praktisch alle Zähne, die der Nationalrat in die Vorlage gepackt hat, wurden vom Ständerat wieder gezogen – bis auf die zinsbereinigte Gewinnsteuer. Dafür wurde eine Entlastungsbegrenzung aufgenommen.
Die grosse Unbekannte bleibt, wie gross die Ausfälle sein werden. Wieso sind Sie sich so sicher, dass es gut kommt?
Niemand kann sich sicher sein. Die Reform ist komplex. Mit Steuersenkungen haben wir Erfahrung, diese können wir gut berechnen. Die Unternehmenssteuerreform III ist aber ein totaler Systemumbau. Jene Firmen, die heute vom System profitieren, müssen sich auf Änderungen einstellen. Das ist dem Bund und den Kantonen bewusst. Es wäre aber schwierig, wenn Unternehmen plötzlich viel mehr Steuern zahlen müssten. Nichts machen und zuschauen, wie die ersten Firmen abwandern, ist keine Option.
Ist das SP-Papier zur Wirtschaftsdemokratie nach Ihrem Gusto?
Das SP-Papier wurde oft falsch diskutiert. Weder steht die Überwindung des Kapitalismus drin noch die Abschaffung des Privateigentums. Im Papier stehen Forderungen, die absolut nachvollziehbar sind. Zum Beispiel das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmenden – in Deutschland schon lange eingeführt. Insgesamt finde ich das Papier aber nicht sonderlich aktuell. Es klingt zu altmodisch für mich und geht zu wenig auf die aktuellen Herausforderungen ein.
Was für Herausforderungen meinen Sie?
Die Digitalisierung wird massive Veränderungen bringen, ebenfalls die Share Economy im Hinblick auf Arbeitnehmerschutz. Grosse Fragen, die man aber auch mit diesem Papier weiter diskutieren kann.