Naturkatastrophen sind eine grosse Gefahr für die Kernkraftwerke. Seit Jahrzehnten warnen die Gegner der Atomenergie davor. 2011, als ein Erdbeben und ein Tsunami in Fukushima zum GAU führten, bekamen sie recht.
Jetzt warnen die Atombefürworter plötzlich vor der Gefahr von Naturkatastrophen. Nicht für die AKW, sondern für die alternativen Energien: Ein Vulkanausbruch könnte die Solaranlagen lahmlegen.
Kein Sonnenlicht wegen Vulkanasche
«Ein grösserer Vulkanausbruch der Stärke 7 hätte schlimme Folgen für die Menschheit und würde die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien für Monate, wenn nicht gar Jahre möglicherweise fast ganz zum Erliegen bringen», so das neue Argument im Abstimmungskampf.
Es stammt von der Stiftung Energy for Humanity. Diese setzt sich laut eigenen Angaben für eine eigenständige und sichere Energieversorgung mit einem realistischen und sinnvollen Energiemix ein. Kämpft also gegen ein AKW-Verbot.
«Es ist ein Extremfall, aber wir müssen uns dazu Gedanken machen», sagt Wolfgang Denk von Energy for Humanity. Schliesslich sei das Szenario schon einmal eingetreten. Vor 200 Jahren.
Die Tambora-Katastrophe
Der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien im April 1815 verdunkelte den ganzen Planeten über Jahre. Die Sonnenenergie, die auf die Erde traf, schwächte sich stark ab. «Die Schweizer mussten Gras essen», so der von Hugo Beck verfasste Artikel, der heute auf der Homepage vonEnergy for Humanity aufgeschaltet worden ist.
Die Wissenschaft stützt dies Aussage: Die vulkanischen Aerosole «vermindern das Sonnenlicht und waren die primäre Ursache der auf den Tamboraausbruch folgenden globalen klimatischen Auswirkungen», heisst es etwa in der Studie «Tambora und das Jahr ohne Sommer 1816» der Universität Bern.
«Supervulkane um die Ecke»
Auf der Erde sind rund 25 Supervulkane aktiv. Dazu gehören die Phlegräischen Felder bei Neapel (Italien) – «für die Schweiz sozusagen meteorologisch um die Ecke», so die Warnung. Vulkanausbrüche seien weder lang- noch mittelfristig zuverlässig vorhersagbar. Allein in diesem Jahrtausend habe es neun Vulkanausbrüche der Stärke 4 gegeben, so Energy for Humanity, und erinnert an den Ausbruch des isländischen Vulkans Eyjafjallajökull und die in der Folge tagelange Einstellung des Flugbetriebs.
Nicht nur die Speicherung müsse als eine grosse Herausforderung für die wetterabhängige Stromversorgung aus Photovoltaik und Wind angesehen werden, sondern auch Sonderfälle wie ein grosser Vulkanausbruch, verlangt die Stiftung. «Eine Nation mit hohem Industrieanteil wie die Schweiz braucht deshalb einen möglichst ausgewogenen Energiemix.»
«Zuerst Märchen, jetzt Science-Fiction»
Grünen-Präsidentin Regula Rytz kann über das neuste Nein-Argument nur schmunzeln. «Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vulkan die Schweizer Solaranlagen lahmlegt, ist etwa so gross wie ein Meteorit, der alle Öltanks dieser Welt zerstört.»
Das Argument passe aber gut zur Atomlobby, die bislang Märchen erzählte und nun zu Science-Fiction übergehe. Reale Gefahren wie ein Erdbeben für AKW blende sie stattdessen konsequent aus.