An BLICK on tour ist alles aufgebrochen
Energiewende zerreisst die Wirtschaft

Im Kampf um die Energiestrategie von CVP-Bundesrätin Doris Leuthard ist die Wirtschaft zerstritten wie selten zuvor. Der Riss geht durch sämtliche Branchen.
Publiziert: 05.04.2017 um 16:50 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 18:31 Uhr
Doris Leuthard (CVP) attackierte ihren Gegenpart und Referendumsführer Albert Rösti (SVP) scharf.
Ruedi Studer und Matthias Halbeis

Bei BLICK on tour attackierte Energieministerin Doris Leuthard (CVP) ihren Gegenpart und Referendumsführer Albert Rösti (SVP) scharf: Rösti vertrete als Swissoil-Präsident die Interessen «der Öligen», stichelte sie. Damit zielte sie auf den Riss, der sich beim Energiegesetz tief durch die Wirtschaft zieht. Bündnispartner aus sämtlichen Branchen duellieren sich im Bruderkampf.

Meinungsstreit in MEM-Industrie

Zum Beispiel in der Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie (MEM). Ihr Spitzenverband Swissmem kämpft an vorderster Front gegen die Vorlage. «Das Gesetz baut auf Subvention statt auf Markt und sagt dennoch nicht, wie die gesteckten Ziele erreicht werden sollen», kritisiert Präsident Hans Hess. Und: «Es liefert keine Antworten auf die Versorgungssicherheit und verteuert nur den Strom.»

Swissmem-Präsident Hans Hess: «Das Energiegesetz liefert keine Antworten auf die Versorgungssicherheit und verteuert nur den Strom.»
Foto: Keystone

Gegensteuer gibt der Chef des Werkzeugherstellers Fraisa, Josef Maushart. Der Präsident des Solothurner Industrieverbands sieht Vorteile im Gesetz: «Die Energiestrategie geht in die richtige Richtung. Erneuerbare Energien werden ausgebaut, die Isolationsbranche gestärkt und stromintensive Unternehmen entlastet.»

Zudem werde die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) befristet. «Natürlich bleiben einige Fragen unbeantwortet, doch daran ändert auch ein Nein nichts», sagt der neugewählte CVP-Kantonsrat.

Fraisa-Chef Josef Maushart: «Die Energiestrategie geht in die richtige Richtung: Erneuerbare Energien werden ausgebaut, die Isolationsbranche gestärkt und stromintensive Unternehmen entlastet.»
Foto: Keystone

Graben in der Gastrobranche

Ein tiefer Graben geht auch durch die Gastrobranche. Während die Hoteliers auf der Seite von Leuthard für ein Ja weibeln, kämpfen die Wirte für ein Nein.

«Wir sind nicht grundsätzlich gegen die Energiewende, aber es fehlen verlässliche Zahlen, was uns diese kostet», sagt Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer. «Wir sind bereits heute einem hohen Kostendruck ausgesetzt, steigende Energiekosten können wir uns nicht leisten.»

Andreas Züllig von Hotelleriesuisse hält dagegen: «Wir gewichten den ökologischen Aspekt stärker als den ökonomischen. Nachhaltigkeit und eine gesunde Umwelt sind für uns als Tourismuszweig von grosser Bedeutung.» Langfristig zahle sich das aus.

Bruch im Baugewerbe

Nicht minder pikant ist die Ausgangslage in der Bauindustrie. Die Baubranche tritt mehrheitlich für ein Ja ein. Die Phalanx reicht von grossen Baufirmen wie Losinger über den Architektenverband SIA bis hin zur Dachorganisation Bauen Schweiz, der Branchenverbände wie Infra Suisse (Strassen- und Tiefbau), Suissetec (Gebäudetechnik) oder Lignum (Holzwirtschaft) angehören.

Im Gegenkomitee der Energievorlage sitzt dafür der Baumeisterverband. «Firmen aus dem Baunebengewerbe sind grosse Nutzniesser, wenn in der Energiestrategie die Sanierung von Gebäudehüllen und -technik subventioniert werden soll», sagt Baumeister-Vizedirektor Martin A. Senn. «Im Bauhauptgewerbe gewichten wir günstige Energiepreise und die Versorgungssicherheit höher und empfehlen darum ein Nein zur Vorlage.» 

Allerdings sei die Parolenfassung der Baumeister denkbar knapp erfolgt, spotten die Befürworter der Energiewende: Im Vorstand habe ein Patt geherrscht, worauf Präsident Gian-Luca Lardi den Stichentscheid zum Nein gefällt habe. Senn bestätigt: «Der Entscheid zur Nein-Parole fiel tatsächlich knapp. Wir haben auch in unserem Verband eine grosse Fraktion, die Ja sagen will.»

Er geht allerdings davon aus, dass grosse Firmen aus PR-Gründen Angst hätten, sich für ein Nein zu engagieren. «Auch deshalb, weil die Ja-Seite alles versucht, um die Gegner in die Ecke der SVP und der Spinner zu stellen.»

Sogar Energiebranche uneinig

Selbst diejenigen, welche die Energiestrategie an vorderster Front umsetzen müssen, sind entzweit: die Energieversorger. Der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen wie auch die grossen Stromkonzerne Alpiq und BKW stellen sich hinter das Gesetz.

Gegen die Vorlage kämpft hingegen der Dachverband Schweizer
Verteilnetzbetreiber, der sie als «unsicher, unsolidarisch und überreguliert» ablehnt. Dasselbe tut der Brennstoffhändler-Verband Swissoil.

«Ich habe die Wirtschaft noch selten so gespalten erlebt wie bei dieser Abstimmung», sagt Unternehmer Maushart. Er schätzt, dass zwei Drittel der Wirtschaftsvertreter zum Ja-Lager gehören, ein Drittel zum Nein-Lager. Für den Solothurner ist klar: «Im Nein-Lager sind vor allem noch jene, welche sich von der Option Kernenergie nicht verabschieden können. Doch eigentlich muss allen klar sein: Die Ära der Kernenergie in der Schweiz läuft ab.»

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