Abkommen mit EU liegt endlich vor – Links und Rechts sind dagegen
Der Vertrag, den niemand will

Der Bundesrat legt die Karten im EU-Poker auf den Tisch. Sein Blatt vermag niemanden zu überzeugen – und der Gegner pokert hoch.
Publiziert: 08.12.2018 um 00:50 Uhr
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Aktualisiert: 10.12.2018 um 09:01 Uhr
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Der Bundesrat – hier das offizielle Bundesratsfoto 2018 – hat entschieden, er werde das Rahmenabkommen vorerst nicht unterzeichnen.
Foto: Stephane Schmutz
Pascal Tischhauser, Nico Menzato und Julien Duc

Mit Bundespräsident Alain Berset (46), Aussenminister Ignazio Cassis (57) und Finanzminister Ueli Maurer (68) nahmen gestern gleich drei Bundesräte zum Rahmenabkommen mit der EU Stellung. Sie deckten das ganze Meinungsspektrum ab.

Der SPler Berset, der beim Lohnschutz keine Einbussen hinnehmen will – und den Vertrag ablehnt. Der SVP-Bundesrat Maurer, der sich von Brüssel nichts vorschreiben lassen will – und darum gegen den Vertrag ist. Und der freisinnige Cassis, der den bilateralen Weg sichern und dafür so manche Kröte schlucken will.

Weg des geringsten Widerstands

Um niemanden blosszustellen und Brüssel nicht zu brüskieren, wählten sie – wie BLICK vorhersagte – den dritten Weg zwischen einem Ja oder Nein : Man wertet den Vertragsentwurf nicht, sondern gibt das Abkommen in Konsultation. Dazu wurde der – sehr technische, französischsprachige –  Text gestern veröffentlicht.

Bis im Frühjahr will der Bundesrat in einer Konsultation mit den «betroffenen Kreisen» herausfinden, wie der Entwurf bewertet wird. Damit speist er den Text in den normalen politischen Prozess ein – und hofft herauszufinden, ob Anpassungen am Mandat und eine Zustimmung zum Vertrag möglich sind.

Bislang sieht es nicht danach aus: Unia-Präsidentin Vania Alleva (49) machte gegenüber BLICK klar, dass sich die Gewerkschaften beim Rahmenabkommen keinen Millimeter bewegen werden: «Die EU hat festgelegt, dass es in der Union gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort geben muss. Ihre Instrumente genügen aber nicht, um dies durchzusetzen.» Sie macht klar: «Wir werden deshalb unseren Schutz nicht auf das EU-Niveau senken. Das Abkommen in dieser Form müssen wir bekämpfen.»

Wo links und rechts sich treffen

Auch die SVP lehnt den Vertragsentwurf als Aushöhlung der direkten Demokratie ab und will ihn weiter bekämpfen. Und Parteivordenker Christoph Blocher (78) sagte schon gestern auf Teleblocher: «Der Bundesrat weiss genau: Er bringt diesen Vertrag nicht durchs Volk.» Damit ist er nah bei SP-Chef Christian Levrat (48). «Es wäre sinnlos, mit dem Kopf durch die Wand zu wollen. In der gegenwärtigen Form fände das Abkommen weder im Parlament noch in der Bevölkerung eine Mehrheit.»

Während die FDP das Abkommen nun auf Herz und Nieren prüfen will, kritisiert CVP-Präsident Gerhard Pfister (56) die freisinnigen Bundesräte: Diese hätten den sozialpartnerschaftlichen Konsens «ohne Not aufs Spiel gesetzt». Der CVP-Chef verlangt vom Bundesrat Klarheit darüber, in welchen Punkten Diskussionsspielraum mit der EU bestehe.

EU zieht Powerplay auf

Wie sich zeigt, ist dieser sehr klein: Die Europäische Kommission unter Jean-Claude Juncker (63) teilte gestern mit, dass das vorliegende Verhandlungsresultat «das bestmögliche Ergebnis» sei. Brüssel werde den Prozess nun genau verfolgen, wobei die Erwartung klar sei: «Wir hoffen auf ein positives Ergebnis.»

Um dem noch etwas Nachdruck zu verleihen, kündigte die Kommission an, die neue Situation voraussichtlich am kommenden Dienstag zu bewerten – «einschliesslich der Entscheidung», ob die Gleichwertigkeit der Schweizer Börse auch 2019 gewährt wird.

Bundesrat informierte zum EU-Rahmenabkommen
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Pressekonferenz in voller Länge:Bundesrat informierte zum EU-Rahmenabkommen

Darum geht es beim Rahmenabkommen

Das Dossier liegt seit Jahren auf dem Tisch – und ist mittlerweile ein tonnenschwerer Papierstapel. Für alle, die die Übersicht verloren haben, macht BLICK die Auslegeordnung im EU-Poker:

Der Bundesrat will den bilateralen Weg weitergehen und neue Abkommen schliessen, die unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt erleichtern. Er hat zugestimmt, ein Rahmenabkommen zu verhandeln. Das – geheime – Mandat wurde im Mai 2014 verabschiedet.

Doch es war Brüssel, das ein Rahmenabkommen verlangt hat. Es hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts in den bislang 120 Verträgen mit übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Doch dem Vernehmen nach hat man sich auf eine Lösung geeinigt, mit der die EU leben kann, und von der der Bundesrat überzeugt ist, die Schweizer Stimmbürger überzeugen zu können.

Der Bundesrat hat rote Linien für die Verhandlungen definiert. Das sind sie:

  • Die Schweiz wird die EU-Bürgerschaftsrichtlinie nicht übernehmen. Diese würde EU-Bürgern ein Niederlassungsrecht in der Schweiz und damit uneingeschränkten Zugang zur Sozialhilfe geben.
  • Auch über die flankierenden Massnahmen – den Schutz der hohen Schweizer Löhne – verhandelt die Schweiz nicht. Das hatte der Bundesrat im Sommer nochmals bestätigt, nachdem Aussenminister Ignazio Cassis (57) mit der Idee, sie doch als Verhandlungsmasse einzubringen, vorgeprescht war.

Das Rahmenabkomen ist wichtig, weil es ohne dieses keine neuen Verträge gibt, die Schweizer Unternehmen Zugang zum EU-Markt geben. Darauf drängt vor allem der Finanzplatz. Bis heute müssen unsere Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter eine Filiale in der EU haben, wenn sie mit dortigen Kunden geschäften wollen. Diese Hürde würde wegfallen.

Seit 2013 nimmt die Nettozuwanderung von Personen aus den EU/Efta-Staaten fortlaufend ab. (Symbolbild)
Seit 2013 nimmt die Nettozuwanderung von Personen aus den EU/Efta-Staaten fortlaufend ab. (Symbolbild)
KEYSTONE/GAETAN BALLY

Das Dossier liegt seit Jahren auf dem Tisch – und ist mittlerweile ein tonnenschwerer Papierstapel. Für alle, die die Übersicht verloren haben, macht BLICK die Auslegeordnung im EU-Poker:

Der Bundesrat will den bilateralen Weg weitergehen und neue Abkommen schliessen, die unserer Wirtschaft den Zugang zum EU-Markt erleichtern. Er hat zugestimmt, ein Rahmenabkommen zu verhandeln. Das – geheime – Mandat wurde im Mai 2014 verabschiedet.

Doch es war Brüssel, das ein Rahmenabkommen verlangt hat. Es hat genug von der «Rosinenpickerei» der Schweiz und fordert: Wenn ihr neue Abkommen wollt, dann müssen wir sicherstellen, dass ihr Änderungen des EU-Rechts in den bislang 120 Verträgen mit übernehmt. Es soll nicht bei jedem Abkommen nachverhandelt werden, sondern das soll automatisch passieren.

Das Rahmenabkommen soll die bilateralen Verträge in einen Rahmen einbetten. Dieser regelt:

  • Wie Abkommen angepasst werden, wenn sich das EU-Recht entwickelt.
  • Wer überwacht, dass beide Seiten die Abkommen richtig anwenden.
  • Wie wird sichergestellt, dass beide Seiten die Abkommen gleich auslegen.
  • Wer richtet, wenn es Streit über diese Fragen gibt.

Umstritten ist vor allem der letzte Punkt. In der Schweiz will man nicht, dass EU-Richter, also «fremde Richter» Streitfragen entscheiden. Doch dem Vernehmen nach hat man sich auf eine Lösung geeinigt, mit der die EU leben kann, und von der der Bundesrat überzeugt ist, die Schweizer Stimmbürger überzeugen zu können.

Der Bundesrat hat rote Linien für die Verhandlungen definiert. Das sind sie:

  • Die Schweiz wird die EU-Bürgerschaftsrichtlinie nicht übernehmen. Diese würde EU-Bürgern ein Niederlassungsrecht in der Schweiz und damit uneingeschränkten Zugang zur Sozialhilfe geben.
  • Auch über die flankierenden Massnahmen – den Schutz der hohen Schweizer Löhne – verhandelt die Schweiz nicht. Das hatte der Bundesrat im Sommer nochmals bestätigt, nachdem Aussenminister Ignazio Cassis (57) mit der Idee, sie doch als Verhandlungsmasse einzubringen, vorgeprescht war.

Das Rahmenabkomen ist wichtig, weil es ohne dieses keine neuen Verträge gibt, die Schweizer Unternehmen Zugang zum EU-Markt geben. Darauf drängt vor allem der Finanzplatz. Bis heute müssen unsere Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter eine Filiale in der EU haben, wenn sie mit dortigen Kunden geschäften wollen. Diese Hürde würde wegfallen.

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