900'000 Bürger wurden überwacht – Wahnsinn
Anruf von Frank A. Meyer: Skandal

Der Kopp-Skandal war der Türöffner, um endlich die Bundespolizei zu durchleuchten. Ans Tageslicht kam ein noch viel grösserer Skandal. Dank einer Idee von Ringier-Journalist Frank A. Meyer.
Publiziert: 19.11.2019 um 23:03 Uhr
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Helmut Hubacher, Ex-SP-Chef Schweiz.
Foto: Thomas Buchwalder
Helmut Hubacher

Vor 30 Jahren, am 22.11.1989, präsentierte die Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) einen Bericht zum Fichenskandal. Sie stiess auf das bisher geheime Überwachungssystem der Bundespolizei. 900‘000 Leute wurden observiert, auf einer Karteikarte, Fiche genannt, notiert und archiviert.

Auslöser war der Rücktritt von FDP-Bundesrätin Elisabeth Kopp vom 12. Januar 1989. Hans W. Kopp präsidierte die Shakarchi AG. Dort würde Mafiageld gewaschen, vernahm seine Frau. Sie telefonierte ihrem Hans, er solle sofort zurücktreten. Später bestritt sie den Anruf. Weil sie von Amtes wegen das nicht hätte machen dürfen. Ihre Sekretärin überführte sie. Die Herren Kollegen verlangten gnadenlos ihre Demission. Sie habe gelogen.

Ringier-Bundeshausredaktor Frank A. Meyer rief mich an, der Fall Kopp müsse untersucht werden. «Du musst als SP-Präsident eine PUK verlangen.» Effektiv, um endlich die Dunkelkammer der Bundespolizei zu durchleuchten. Getreu dem Motto: Die Gelegenheit ist günstig. Frank war in seinem Büro im Hotel Bellevue in Schrittnähe zum Bundeshaus nahe am Tatort.

Meyer hatte das Vorgehen mit bürgerlichen Schwergewichten vorbesprochen. Ich bat die Fraktionschefs von CVP, FDP, SVP zu einer Aussprache, um das Projekt PUK zu beschliessen. Für das Präsidium schlug ich Nationalrat Moritz Leuenberger vor. Alle stimmten zu. Die PUK nahm ihre Arbeit am 1. Februar 1989 auf.

Fichiert wurden Linke, Frauen für den Frieden, AKW-Gegner, Armeekritiker, liberale Unbequeme usw. 900‘000. Wahnsinn.

Am 1. Mai 1972 referierte ich in Biel. Zuerst begrüsste ich den Mann im Regenmantel und Schlapphut als Vertreter der Bundespolizei. Mit Pfiffen und Jubel rannte er zum Saal hinaus. «Hubacher hat nicht bemerkt, dass noch ein Zweiter im Saal war», las ich in der Fiche.

Eine 1.-Mai-Kundgebung wurde überwacht, als ob die Gefahr bestanden hätte, dass die Revolution mit Staatsstreich ausgerufen würde. Der kommunistische Buchhändler Theo Pinkus in Zürich muss der gefährlichste Mann im Staat gewesen sein. Er hatte am meisten Fichen: 240 Bundesordner.

Mit dem Fall Kopp ist der Fichenskandal an den Tag gekommen. Dank der Idee von Frank A. Meyer mit der PUK.

Helmut Hubacher (93) war von 1975 bis 1990 Präsident der SP Schweiz. Er schreibt jeden zweiten Mittwoch im BLICK.

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