70 Jahre nach Kriegsende: Ukraine-Krise, islamischer Terror. Euro-Schwäche: Wo liegt die Zukunft Europas?
Der Schlüssel liegt in Russland

70 Jahre ist es her, seit der Zweite Weltkrieg zu Ende gegangen ist. Nach einer langen Phase der Stabilität sind die Zeiten wieder unsicherer geworden.
Publiziert: 14.05.2015 um 18:41 Uhr
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Aktualisiert: 09.10.2018 um 00:32 Uhr
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Die Russen befreiten die Deutschen: Historiker Heinrich August Winkler.
Foto: AFP
Von René Lüchinger

Grosse Gedenktage bedingen grosse Reden. Als der deutsche Historiker Heinrich August Winkler am vergangenen 8. Mai im Deutschen Bundestag zum 70. Gedenktag des Kriegsendes sprach, wurde der Wissenschaftler diesem Anspruch gerecht. Wohl auch deshalb, weil er von dieser Geschichte persönlich betroffen ist. Im zweitletzten Kriegsjahr flüchtete der vaterlose, damals fünfjährige Winkler mit seiner Mutter von Ostpreussen nach Süddeutschland in die spätere Bundesrepublik. Der «Gang nach Westen», so lautet auch der Titel einer zweibändigen Monografie des späteren Wissenschaftlers Winkler über die deutsche Geschichte von der Reichsgründung 1871 bis zur Wiedervereinigung 1990. Der Mann weiss also, wovon er spricht.

Zum Gedenktag im Bundestag formuliert er wichtige, wahre Sätze. Etwa diesen: «Der von den alliierten Soldaten, und nicht zuletzt denen der Roten Armee, unter schwersten Opfern erkämpfte Sieg über Deutschland hatte die Deutschen in gewisser Weise von sich selbst befreit – befreit im Sinne der Chance, sich von politischen Verblendungen und von Traditionen zu lösen, die Deutschland von den westlichen Demokratien trennten.»

In Jalta, dem Badeort auf der ukrainischen Halbinsel Krim, beschlossen die grossen drei der alliierten Kriegssieger – Englands Winston Churchill, US-Präsident Franklin Roosevelt und Russlands Josef Stalin – im Februar 1945 die Teilung Deutschlands: der Keim des Kalten Krieges. 70 Jahre später sagt der Historiker Winkler im Deutschen Bundestag: «Das Jahr 2014 markiert eine tiefe Zäsur: Durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim ist die Gültigkeit der Prinzipien der Charta von Paris radikal in Frage gestellt – und mit ihr die europäische Friedensordnung, auf die sich die einstigen Kontrahenten des Kalten Krieges damals verständigt hatten.»

Am 21. November 1990, knapp sieben Wochen nach der deutschen Wieder­vereinigung, verständigen sich in Paris 34 Staaten auf das Ende des Kalten Krieges und der Teilung Europas, verpflichten sich zu Demokratie und der Gewährleistung von Menschenrechten und Grundfreiheiten gegenüber den Völkern in den unterzeichnenden Staaten. Auch Russland hat dieses Dokument unterschrieben und damit anerkannt.

Russland. Immer wieder Russland. Kürzlich an einer Management-Konferenz des Ringier-Verlags, der auch den BLICK he­rausgibt, spricht auch der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Causa Russland. «Mit der Krise in der Ukraine», urteilt dieser, «ist die Frage von Krieg und Frieden auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt.» Und nun stelle sich die Frage: Wie kann Europa eine enge und friedliche Beziehung aufrechterhalten zu jenem Land, welches für die Befreiung Europas von Faschismus und Na­tionalsozialismus von allen Krieg führenden Nationen den mit Abstand höchsten Blutzoll zu bezahlen hatte? Jener Nation auch, deren Intelligenzia bereits im 18. Jahrhundert eher Französisch als Russisch sprach und somit euro­päisch ausgerichtet war. «Russland», sagt Schröder heute, «hat weitreichende Interessen und Traditionen. Sie reichen vom Alten Kontinent bis nach Asien.» Das ehemals kommunistische Land, urteilt der Altkanzler, sehe sich als euro­päisches Land. Aber Russland verfüge eben auch über eine zweite starke Option: sich auf die sogenannte eurasische Region auszurichten und auch die Partnerschaft mit China weiter zu vertiefen.

Für Europa wäre dies eine Entwicklung mit weitreichenden Folgen. In der multipolaren Welt des 21. Jahrhunderts entsteht ein neues Kraftzentrum in Asien – auf das sich auch die Amerikaner immer stärker ausrichten. Für Europa heisst dies: Geht Russland verloren, stehen wir praktisch allein in einer komplexen Welt.

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