Seit den Terroranschlägen stellt sich die Frage: Kommen potenzielle Terroristen als Asylsuchende getarnt über die Flüchtlingsrouten nach Europa? «Wie die Reisewege von einzelnen Tätern der Anschläge in Paris gezeigt haben, ist die Infiltration von Dschihadisten in den Migrationsströmen real», sagt Isabelle Graber vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB). «Zurzeit liegen uns aber keine Hinweise vor, dass Dschihadisten als Flüchtlinge getarnt in die Schweiz gekommen wären.»
Klar ist: Angesichts der Terrorgefahr hat der Geheimdienst sein Sicherheitsdispositiv schon seit längerem hochgefahren. So nimmt der NDB verdächtige Asyldossiers systematisch unter die Lupe. Dabei werden die verdächtigen Personen durch eine Abfrage in den NDB-Datenbanken sowie allenfalls in anderen externen Datenbanken überprüft.
Im letzten Jahr waren das so viele wie noch nie! «Im Jahr 2015 wurden 4910 Asylgesuche vom NDB überprüft», nennt Graber die neusten Zahlen. «Davon hat der NDB neun Gesuche zur Ablehnung empfohlen.» Dies bei rund 39'500 Asylgesuchen im vergangenen Jahr.
Neun potenzielle Terroristen also? «Nein, es handelt sich um Personen, welche die innere oder äussere Sicherheit verletzt haben oder gefährden könnten», sagt Graber. Mehr will sie dazu nicht sagen. Denkbar ist aber, dass es sich bei den Betroffenen zum Beispiel um islamistische Extremisten, Angehörige einer Terrororganisation oder aber um andere Gewaltextremisten handelt. Was aber nicht zwingend heissen muss, dass diese etwa Anschläge in der Schweiz oder in Europa geplant hätten.
Geheim bleiben nicht nur die genauen Ablehnungsgründe, sondern auch, aus welchen Ländern die überprüften Asylsuchenden stammen. Klar ist, es gibt eine Liste mit Herkunftsländern, bei welchen die Gesuche systematisch durchleuchtet werden. Offiziell genannt wird Syrien. Weitere Risikostaaten wie Irak, Afghanistan, Somalia oder Jemen dürften ebenfalls auf dieser Liste stehen. Graber sagt nur soviel: «Die Liste wurde letztes Jahr um einige Länder erweitert. Sie ist klassifiziert und wird vom Bundesrat genehmigt.»
Diese Erweiterung ist mit ein Grund, weshalb die Zahl der überprüften Gesuche im letzten Jahr massiv angestiegen ist. Insbesondere in den letzten Monaten. Bis Ende Juli hatte der NDB nämlich erst 1682 Asylgesuche zur Überprüfung erhalten.
Auch im Vergleich zu den Vorjahren ist der Anstieg markant: 2014 wurden 2488 Dossiers überprüft, dabei wurde kein einziges Gesuch zu Ablehnung empfohlen. 2013 waren es 661 Dossiers und drei Nein-Empfehlungen. 2012 wurde eines von 297 Dossiers zur Ablehnung empfohlen und 2011 drei von 549. Mit relativ hohen Zahlen sticht 2010 hervor – damals wurden 1870 Dossiers überprüft und elf zur Ablehnung empfohlen.
Jedenfalls geht der NDB weiterhin nicht davon aus, dass Terroristen ausgerechnet die typischen Flüchtlingsrouten als prioritäres Einfallstor nach Europa wählen. Graber: «Der NDB stuft andere Reisewege und Methoden, nach Europa zu kommen, als wahrscheinlicher – da weniger riskant, sicherer und schneller – ein.»