Die Prognosen sind düster. Die Langzeitfolgen der Corona-Krise auf die Sozialhilfe seien schwer abzuschätzen. Aber es sei davon auszugehen, dass ein Teil der Menschen im Land mittel- und langfristig Unterstützung brauche, führte die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (Skos) am Donnerstag vor den Medien aus.
Die Skos rechnet bis 2022 mit rund 57'800 zusätzlichen Menschen in der Sozialhilfe, rund 21 Prozent mehr als 2019. Die Sozialhilfequote würde von derzeit 3,2 auf 3,8 Prozent steigen. Im Mai hatte die Skos mit einem Anstieg von 28,2 Prozent gerechnet. 2019 bezogen rund 271'400 Menschen Sozialhilfe.
Zusatzkosten bis zu einer Milliarde
Diese Zahlen stammen aus dem mittleren Szenario der Skos. Das optimistische geht von 12 Prozent mehr Unterstützten und einer Sozialhilfequote von 3,5 Prozent aus. Das pessimistische dagegen rechnete mit einer Sozialhilfequote von 4,0 Prozent und Zusatzkosten von rund einer Milliarde Franken.
Insgesamt sind die Fallzahlen laut Skos wegen Covid-19 zwar bisher nicht gestiegen. Doch einzelne Regionen weichen ab: In der Stadt Luzern war die Zahl der Fälle im November 8 Prozent höher als im Mittel von 2019. Dort arbeiteten viele Menschen im auf derzeit fehlende ausländische Gäste ausgerichteten Tourismus.
In Genf, wo internationale Gäste wegen der Pandemie ebenfalls ausblieben, war die Fallzahl im November gar um 8,5 Prozent höher. In Genf werden allerdings auch Personen mitgezählt, die als Selbständige einen erweiterten Zugang zur Sozialhilfe haben.
Als besonders gefährdet, von Sozialhilfe abhängig zu werden, erachtet die Skos Langzeitarbeitslose. Sie erwartet, dass sich ab 2021 zunehmend Ausgesteuerte beim Sozialamt melden.
Neue Ansätze gefordert
Eine «kritische Phase» ist laut der Skos die Zeit zwischen der Aussteuerung und dem Gang aufs Sozialamt. In dieser Zeit brauchten viele Betroffene ihre finanziellen und persönlichen Ressourcen auf. Sie büssten damit so viel an Selbstwertgefühl ein, dass ihre Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt enorm schwierig werde.
Die Konferenz fordert daher neue Ansätze. Sie nennt ausbaubare Instrumente der Arbeitslosenversicherung und die in der Verfassung verankerte Möglichkeit einer Arbeitslosenfürsorge.
Doch auch Selbständige mit tiefen Einkommen könnten künftig Geld von der Sozialhilfe benötigen. Wegen der Pandemie dürften sich mehr von ihnen bei den Sozialämtern melden – Selbständige wurden bisher kaum unterstützt. Die zuständigen Stellen müssten sich neu auf die Bedürfnisse dieser Menschen ausrichten und prüfen, wie ihnen geholfen werden kann, etwa bei Umschulungen.
Hilfsmassnahmen bis zum Ende der Pandemie nötig
In den Augen der Skos und ihres Präsidenten Christoph Eymann (69) ist es «dringend nötig», dass der Bundesrat die Massnahmen für die Unterstützung der Wirtschaft bis zum Ende der Pandemie weiterführt: «Ein zu frühes Ende würde zwangsläufig zu einer Überlastung der Sozialhilfe als letztes Netz der sozialen Sicherheit führen.»
Von der Arbeitslosen- und der Invalidenversicherung fordert die Konferenz Unterstützung, damit nicht zusätzlich Fälle in die Sozialhilfe verlagert werden. Auch der Bund muss in den Augen der Skos helfen bei der beruflichen und sozialen Integration.
Folgen der Flüchtlingswelle
Angesetzt werden müsste laut Skos aber auch bei der Aus- und Weiterbildung. Junge Leute müssten trotz Krise ins Berufsleben einsteigen können und Erwerbstätige für den digitalen Wandel fit gemacht werden. Die Skos rechnet wegen der Pandemie mit einem beschleunigten Strukturwandel im Arbeitsmarkt.
Mehr Sozialhilfe-Fälle erwartet die Skos nicht allein wegen der Pandemie, sondern auch, weil für Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene, die 2014 bis 2016 in die Schweiz kamen, neu Kantone und Gemeinden zuständig sind. Bis 2022 könnten gemäss dem mittleren Szenario der Skos zusätzliche 17'000 Geflüchteten Sozialhilfe benötigen. Sie fordert deshalb einen Ausgleichsmechanismus.