1 Million Flüchtlinge sitzen im nordafrikanischen Staat fest
Welche Folgen hat das Libyen-Chaos für die Migration?

Etwa eine Million Flüchtlinge sitzen in Libyen fest. Europa bezahlt die Regierung in Tripolis dafür, dass sie nicht übers Mittelmeer kommen. Doch nun droht das Regime zu ­fallen.
Publiziert: 20.04.2019 um 23:59 Uhr
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Aktualisiert: 28.04.2020 um 14:10 Uhr
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Der libysche Ministerpräsident Fayez al-Sarraj.
Foto: AP
Johannes von Dohnanyi

Anang April kam der Uno-Generalsekretär nach Li­byen, um persönlich Frieden zu stiften. António Guterres wollte mit dem international anerkannten Präsidenten Fayez al-­Sarraj und mit Vertretern der von ­General Chalifa Haftar geführten Gegenregierung verhandeln.

Der ölreiche nordafrikanische Staat versinkt im Chaos, seit Aufständische 2011 mit Hilfe einer ­internationalen Militärallianz das Regime von Diktator Muammar al-Gaddafi stürzten.

Doch die Uno musste die Friedenskonferenz absagen, Guterres das nordafrikanische Land fluchtartig verlassen! Denn am 4. April setzte Chalifa Haftar überraschend seine Libysche Nationalarmee (NLA) in Marsch. Der Befehl des von Russland, Ägypten und Saudi-Arabien unterstützten starken Mannes mit Sitz in der ostlibyschen Stadt Tobruk: die Hauptstadt Tripolis und den Rest des Landes zu «befreien», Präsident al-Sarraj mit seiner «terroristischen Bande» zu verjagen.

Während Libyen erneut an der Schwelle zur Selbstzerfleischung steht, findet der UN-Weltsicherheitsrat – wieder einmal – keine gemeinsame Position. Mehrfach verhinderte die Vetomacht Russland eine Resolution, die Haftar zur Einstellung der Kämpfe und zur Rückkehr an den Verhandlungstisch auffordert.

Lob von Trump für den abtrünnigen General

Nun hat sich auch noch Donald Trump auf die Seite des Generals geschlagen. Schon zu Beginn der Krise hatten die USA ihr kleines Militärkontingent aus Libyen abgezogen. Der Präsident telefonierte mit dem abtrünnigen General, lobte ihn für seinen Kampf gegen den Terrorismus und die Kontrolle der Ölfelder. Die beiden hätten intensiv über die Zukunft des Wüstenstaats diskutiert, hiess es in einer ­Erklärung des Weissen Hauses.

Damit sind aber nicht nur die Friedensbemühungen der Vereinten Nationen gescheitert. Auch die Libyen-Politik der Europäischen Union liegt in Trümmern.

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Und: Mit der internationalen ­Libyen-Politik droht nun auch die europäische Flüchtlingspolitik unterzugehen. Denn zur Abwehr des Flüchtlingsstroms über das Mittelmeer hatte Brüssel in den letzten Jahren auf die Regierung al-Sarraj gesetzt und dabei sehr viel Geld in den Aufbau und die Ausrüstung der libyschen Küstenwache gesteckt.

Italiens rechtspopulistischer Innenminister Matteo Salvini erzwang nicht nur das Ende der Bergung von Schiffbrüchigen. Auch die Seenotrettung durch die Kriegsschiffe der europäischen Sophia-Mission ist beendet. Den Auftrag, die meist überfüllten Schlauchboote der Migranten abzufangen, hat Europa den libyschen Küstenwächtern übertragen. Die aber müssen sich jetzt gegen die vor­rückenden Truppen von General Haftar wehren. Für die Rettung Schiffbrüchiger haben sie keine Zeit mehr.

Auf bis eine Million wird die Zahl der Kriegsflüchtlinge und ­der afrikanischen Migranten geschätzt, die von der libyschen Küste nach Europa übersetzen wollen. Die Küstenwache hat viele von ihnen in Internierungslager gesperrt. Dort steht ihnen pro Person höchstens ein Quadratmeter Platz zur Verfügung, es fehlt an Nahrung, Berichte über Folterungen und Sklavenarbeit häufen sich.

Noch schlimmer sind die Zustände in Privatgefängnissen, die von ­libyschen Milizen und kriminellen Schlepperbanden betrieben werden.

Frauen und Mädchen als Sklavinnen verkauft

An diesen Orten des Grauens ist nicht nur die Vergewaltigung von Frauen und Mädchen Routine, viele von ihnen werden auch als Sklavinnen verkauft. Immer wieder kommt es zu Hinrichtungen. Alle Versuche, wenigstens die extremsten Verbrechen zu unterbinden, sind gescheitert – was auch daran liegt, dass die Täter mit Offizieren der Küstenwache kooperieren.

Gestärkt von Trumps Kurswechsel, glaubt der selbst ernannte ­General Haftar nun, auf nichts und niemanden mehr Rücksicht nehmen zu müssen. Seine Truppen ­haben bereits die Vororte von Tripolis erreicht. Der Flughafen der Hauptstadt bleibt geschlossen. Im Stadtzentrum schlagen immer ­wieder Geschosse ein. Mehr als 200 Menschen kamen bisher ums ­Leben. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht von über 1000 Verletzten. Mindestens 20 000 Einwohner der Hauptstadt sind auf der Flucht.

«Das Schweigen der internationalen Gemeinschaft ist frustrierend», kommentiert Präsident al-Sarraj die Grabenkämpfe im Weltsicherheitsrat der Uno in New York (USA). Und er warnt vor der Rückkehr islamistischer Terrorgruppen, die sich das politische Vakuum zunutze machen könnten. Aus dem Osten Libyens wurden bereits erste Anschläge des sogenannten Islamischen Staats (IS) und ­Al-­Kaida-naher Organisationen ­gemeldet.

Für den Fall, dass NLA-Chef Chalifa Haftar nicht gestoppt wird, befürchtet al-Sarraj den Zusammenbruch der letzten Reste staatlicher Kontrolle. Dann aber, droht der Präsident, «werden sich nicht nur die Flüchtlinge in den libyschen ­Lagern, sondern auch die Libyer selbst auf den Weg nach Europa machen».

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