Bald weihnachtet es wieder in den Schweizer Zirkuszelten – und der Konkurrenzkampf zwischen den festlichen Shows beginnt. Es ist ein Kampf um jeden Zuschauer.
Deshalb bricht der Zirkus Gasser-Olympia jetzt ein Tabu: Erstmals tritt der Sohn des Direktors Dominik Gasser (61) mit seiner Löwenfamilie in die Manege. «Wir wollen uns mit der Nummer von den anderen Weihnachtsshows in der Schweiz abheben und etwas anderes bieten», erklärt Gasser.
Sohn Dominikus Gasser (29) ist seit vielen Jahren mit den Löwen Kalif, Tara, Clarence, Pepsi und Cola im Ausland unterwegs. «Seine Nummer ist einzigartig und sehr gefragt», so Gasser. Dass sein Sohn gerade jetzt in die Schweiz kommt, bezeichnet er als «glücklichen Zufall und eine kleine Sensation». Er habe nur positive Reaktionen bekommen auf die Ankündigung, dass in seinem Zelt bald wieder Löwengebrüll zu hören sei. Zudem werde die Haltung der Tiere genau kontrolliert, betont der Direktor. «Bei uns haben sie sogar mehr Platz und Auslauf, als gesetzlich vorgeschrieben ist.»
Genau überprüfen will dies Zoologin Sara Wehrli (34) vom Schweizer Tierschutz: «Wir werden die Löwen-Show und die Tierhaltung unter die Lupe nehmen.» Grundsätzlich ist sie aber der Meinung, dass Grosskatzen nicht in den Zirkus gehören. «Eine wirklich tiergerechte Haltung auf Tournee ist kaum machbar.»
Gemäss Wehrli gelten ausgerechnet für Zirkusse nicht einmal die Mindeststandards der Tierschutzverordnung. «Das ist skandalös! Denn diese definieren nur die Grenze zur Tierquälerei und garantieren noch lange keine artgerechte Haltung.»
Richtig «verwundert» über die Rückkehr der Raubkatzen ins Zirkuszelt ist Himmel-auf-Erden-Mediensprecher Marc Lindegger (60): «Wir sind zwar Show- und nicht Zirkusleute und somit keine Experten», sagt er. «Ich glaube aber nicht, dass das Publikum Raubtiere in Weihnachtsshows fordert. Der Trend ist eigentlich ein anderer.»
Das bestätigt auch ein Blick ins Ausland. In vielen Ländern Europas sind Wildtiere in Manegen bereits verboten: unter anderem in Belgien, Dänemark, den Niederlanden, Österreich, Polen und Portugal. Dort wäre Gassers Löwennummer definitiv nicht mehr möglich.
Keinen Platz für Wildtiere hat auch Salto-Natale-Direktor Gregory Knie (38) in seiner Weihnachtsshow. Er setzt auf einen «modernen Event-Zirkus». «Wir arbeiten stetig an unserem Gesamtpaket, vom Show- bis zum Cateringkonzept. Bei uns kann man Privat- oder Firmenanlässe in einem gediegenen Rahmen durchführen – das hebt uns von den Mitbewerbern ab», erklärt Knie. Die neue Löwennummer der Konkurrenz empfindet er aber nicht unbedingt als Tabubruch. «Solange es den Tieren gut geht, ist das doch wunderbar.»
Ähnlich tönt es beim Pionier der Weihnachtszirkusse, Conelli auf dem Zürcher Bauschänzli. «Wenn die Bedingungen stimmen, müssen wir dem Schweizer Publikum Wildtiere zeigen können», sagt Conelli-Geschäftsführer Erich Brandenberger (52).
Bei Raubkatzennummern im Zirkus ist vor allem die Unterbringung der Tiere ein grosses Problem. Deshalb verzichtet der Schweizer National-Circus Knie seit 2004 auf Grosskatzen in der Manege. «Wegen des oft beschränkten Platzangebotes vor Ort wäre eine optimale Raubtierhaltung nur an sehr wenigen der jährlich rund 40 Gastspielorte möglich», so Fredy Knie jun. (69). «Zudem benötigt unser Zirkus mittlerweile eine Fläche von rund 30 000 Quadratmetern. Das entspricht sechs Fussballfeldern!»
Das Revival der Löwen im Zirkus-Sägemehl dürfte von kurzer Dauer sein. Denn selbst Zirkusdirektor Dominik Gasser rechnet damit, dass in ein paar Jahren Wildtiere in Schweizer Manegen verboten werden – und sein Sohn mit den fünf publikumserfahrenen Königen der Tiere nicht mehr in die Heimat zurückkehren wird. «Deshalb züchten wir in Zukunft auch keine Löwen mehr nach.»