«In meiner Stimme waren immer Gefühle,
denn diese Gefühle waren verbunden mit dem Leben,
das ich gelebt habe.
Und kamen mir auf der Bühne die Tränen,
dann waren sie echt und kein Hollywood.»
Am Tag unserer Trauung im Jahr 1962 fühlte ich mich nicht wie auf einer Hochzeit. Ich zog mich an und setzte mich neben Ike auf die Rückbank des Autos. Duke, der gewöhnlich unseren Bus fuhr, sass am Steuer und würde uns über die Grenze nach Mexiko bringen. Weil Duke und seine Frau Birdie, die unsere Jungs betreute, wenn wir auf Tournee waren, sozusagen zur Familie gehörten, fand ich es schön, ihn bei diesem Trip dabeizuhaben.
Ike hatte immer irgendwelche raffinierten Pläne. Jedenfalls hatte er herausgefunden, Tijuana sei der ideale Ort für eine Blitzhochzeit, ohne dass man dort nach einer Heiratserlaubnis oder dem obligatorischen Bluttest gefragt wurde. Womöglich wäre die Ehe nicht einmal gültig. Aber es hatte keinen Sinn, seine Entscheidungen anzuzweifeln. Er würde wieder nur ausrasten, und die Folge davon wäre eine weitere Attacke mit einem Kleiderbügel, einem Schuhspanner oder was Ike sonst gerade in die Finger fiel. Und ich wollte ganz bestimmt nicht mit einem blauen Auge vor den Altar in Tijuana treten.
«Weder bewegt noch glücklich»
Tijuana war in jenen Tagen eine schäbige Stadt mit einem noch schäbigeren Ruf. Wir überquerten die Grenze und fuhren dann eine staubige Strasse entlang – mein Gott, dieser Staub! – zur mexikanischen Variante eines Friedensrichters. In einem schmuddeligen kleinen Büro schob mir ein Mann einige Papiere über den Schreibtisch zu, die ich unterschreiben musste. Das wars. Auch ohne grosse Erfahrung, was Hochzeiten betraf, wusste ich, dass man in einem solchen Moment irgendwie bewegt und glücklich sein sollte. Ich war es aber nicht. Kein «Sie dürfen die Braut jetzt küssen!». Kein Glas Sekt zum Anstossen. Keine Glückwünsche. Kein Wort über den «Bund fürs Leben».
Aber es kam noch schlimmer. Ike wollte Spass haben in Tijuana, und zwar Spass nach seinem Geschmack. Was machten wir also? Gingen geradewegs in ein Bordell. In unserer Hochzeitsnacht! Ich habe noch nie davon erzählt, weil ich es einfach zu beschämend fand.
Mit der Braut in der Sexshow
Niemand kann sich wirklich vorstellen, wie Ike war. Welcher Mann geht mit seiner Frau gleich nach der Trauung in ein Puff, um sich dort live eine komplett pornografische Sexshow anzugucken? Aber da sass ich nun in diesem Drecksschuppen, musterte meinen sogenannten Ehemann aus den Augenwinkeln und fragte mich dabei: Gefällt ihm das wirklich? Kann das sein, so schrecklich, wie es ist?
«Mit ihr machen, was ich will»
Das Leben mit Ike war ein Drahtseilakt. Ich musste mich ungeheuer vorsehen und aufpassen, was ich sagte oder wie ich ihn ansah. Seine Stimmung konnte jederzeit kippen; er war stets auf Kampf eingestellt, wie ein Hund, der wütend losbeisst, sobald man ihn von der Leine lässt. Ich konnte nirgendwo anders hingehen, hatte keine eigenen Mittel, nicht einmal ein paar Dollar Taschengeld.
Um an Bargeld zu kommen, war ich gezwungen, mir heimlich ein paar Scheine aus der Geldrolle in Ikes Portemonnaie zu nehmen. Wenn er gute Laune hatte, durfte ich einkaufen gehen, aber das geschah auch unter dem Aspekt, mich in den Augen der anderen möglichst gut aussehen zu lassen, weil er selbst dadurch gut dastand. Die Spuren der Verletzungen hingegen, die er mir zufügte – das blaue Auge, die aufgeplatzte Lippe, die gebrochene Rippe, die geschwollene Nase –, waren für ihn der perverse Beweis, dass ich sein Besitz war, nach dem Motto: «Sie gehört mir, und ich kann mit ihr machen, was ich will.»
Fluchtversuch, Suizidversuch
Ich wusste, dass ich ihn verlassen musste, hatte aber keine Ahnung, wie ich es anstellen sollte. Als ich einmal versuchte fortzulaufen, scheiterte ich kläglich. Weil ich nicht wusste, wo ich hingehen könnte, stieg ich in einen Bus nach St. Louis, um Ma zu besuchen. Ike brauchte nicht lange, um mein Reiseziel herauszufinden. Er passte mich unterwegs an einer Haltestelle ab und befahl mir, mit ihm zurückzufahren.
Mein Fluchtversuch bekam mir schlecht. In meiner Verzweiflung erkannte ich nur einen Ausweg: den Tod. Er erschien mir überhaupt nicht schrecklich, denn ich sah keinen Sinn mehr in meinem Leben. Deshalb unternahm ich einen Selbstmordversuch. Dass mir an einem ganz gewöhnlichen Tag im Jahr 1968 alles zu viel wurde, lag daran, dass zu jener Zeit drei Frauen im Haus wohnten und Ike mit ihnen allen Sex hatte. Und alle hiessen sie Ann. So etwas kann man nicht erfinden: Ike brauchte sich tatsächlich nur einen Namen zu merken.
Raus aus der Dunkelheit
Ein Journalist, der über mein Leben schrieb, bezeichnete meine Erlebnisse mit Ike einmal als «dantisch». Damals verstand ich das vermutlich noch nicht, aber nachdem ich inzwischen Dante gelesen habe, weiss ich, was er meinte: Ich bin wortwörtlich durch die Hölle gegangen. In der Göttlichen Komödie wandert Dante durch Hölle und Fegefeuer, bevor er schliesslich das Paradies erreicht.
Dichtkunst säumt den Weg, doch im Wesentlichen ist es eine Reise vom Schmerz zum Frieden, von der Dunkelheit in die Erleuchtung. Ike lebte in einer Welt der Dunkelheit, und ich war seine Gefangene. So blieb es lange Zeit, doch nach meinem Suizidversuch begannen sich die Dinge zu verändern. Die ersten sieben Jahre meiner Ehe mit Ike fragte ich mich, wo ich da hineingeraten war, die letzten sieben Jahre versuchte ich, einen Weg hinaus zu finden.
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Vielleicht einen Monat nach den Grammy Awards trat ich mit David Bowie in einem Duett auf. Ich bekomme noch heute eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Wir waren nach jenem Abend im Ritz Club in Kontakt geblieben und entwickelten eine besondere Freundschaft – ein Miteinander, das auf gegenseitiger Zuneigung, Bewunderung und gemeinsamen Interessen beruhte. Er war wie ich Buddhist. Er witzelte, dass es einen Punkt in seinem Leben gegeben hätte, an dem er sich entscheiden musste: Wollte er buddhistischer Mönch oder Rockstar werden?
Ich hörte ihm gerne zu, wenn er redete, und häufiger fragte ich: «David, woher weisst du das alles?» Er kannte sich nämlich in unheimlich vielen Bereichen aus – nicht nur in der Musik. Zu wirklich jedem Thema hatte er etwas zu sagen, sei es Kunst, Religion oder sonst etwas. Lachend antwortete er: «Ich lerne nie aus, Tina.» Er war ein Schüler des Lebens, ein Universalgelehrter, allerdings keiner von der anstrengenden Sorte. Wenn ich an David denke, kommt mir ein Lichtstrahl in den Sinn. Man konnte seinen Heiligenschein fast sehen.
Vielleicht einen Monat nach den Grammy Awards trat ich mit David Bowie in einem Duett auf. Ich bekomme noch heute eine Gänsehaut, wenn ich daran denke. Wir waren nach jenem Abend im Ritz Club in Kontakt geblieben und entwickelten eine besondere Freundschaft – ein Miteinander, das auf gegenseitiger Zuneigung, Bewunderung und gemeinsamen Interessen beruhte. Er war wie ich Buddhist. Er witzelte, dass es einen Punkt in seinem Leben gegeben hätte, an dem er sich entscheiden musste: Wollte er buddhistischer Mönch oder Rockstar werden?
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Mick ist einfach frech, und was zwischen uns abläuft, ist ein Spiel. Bei unserem ersten gemeinsamen Bühnenauftritt versuchte er, mir das Mikrofon zwischen die Beine zu schieben. Er hat etwas von diesem bösen Jungen, den es an jeder Schule gibt. Für mich sind die Rolling Stones einfach Jungs, und Jungs treiben nun mal gern ihre Spielchen. Wer Söhne aufgezogen hat, weiss das. Bei Mick musste man immer auf der Hut sein, denn man wusste nie, welchen Streich er als Nächstes ausheckte. Aber er ist für mich wie ein Bruder. Deshalb war es auch nicht so, als würde mir irgendein dahergelaufener Typ den Rock ausziehen, sondern ein Junge, den ich kannte … ein ziemlich alter «Junge».
Mick hat eine scharfe Zunge. Ich weiss noch, wie ich ihn direkt nach meiner Trennung von Ike nach einem Konzert in seiner Garderobe besuchte. «Kein Eintritt für Frauenrechtlerinnen», frotzelte er als Erstes. Man sah ihm an, dass er sich für mich freute und dass er die wichtigen Veränderungen in meinem Leben würdigte, aber er drückte es auf seine Weise aus – mit einem trockenen, launigen Seitenhieb.
Ein Jahr nach Live Aid traf ich Mick zufällig bei einem Prince-Konzert im Wembley-Stadion in London. Weil er sich gern mit anderen mass, ähnelten unsere Unterhaltungen stets einem Pingpong-Spiel. Ich sagte so etwas wie: «Oh, Mick, dein Haar sieht toll aus!» Ohne nur einen Moment zu zögern, erwiderte er: «Ja, und es ist sogar meins.» Natürlich war das eine Anspielung auf meine Perücken. Das ist Mick, wie er leibt und lebt.
Mick ist einfach frech, und was zwischen uns abläuft, ist ein Spiel. Bei unserem ersten gemeinsamen Bühnenauftritt versuchte er, mir das Mikrofon zwischen die Beine zu schieben. Er hat etwas von diesem bösen Jungen, den es an jeder Schule gibt. Für mich sind die Rolling Stones einfach Jungs, und Jungs treiben nun mal gern ihre Spielchen. Wer Söhne aufgezogen hat, weiss das. Bei Mick musste man immer auf der Hut sein, denn man wusste nie, welchen Streich er als Nächstes ausheckte. Aber er ist für mich wie ein Bruder. Deshalb war es auch nicht so, als würde mir irgendein dahergelaufener Typ den Rock ausziehen, sondern ein Junge, den ich kannte … ein ziemlich alter «Junge».
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Ein Jahr nach Live Aid traf ich Mick zufällig bei einem Prince-Konzert im Wembley-Stadion in London. Weil er sich gern mit anderen mass, ähnelten unsere Unterhaltungen stets einem Pingpong-Spiel. Ich sagte so etwas wie: «Oh, Mick, dein Haar sieht toll aus!» Ohne nur einen Moment zu zögern, erwiderte er: «Ja, und es ist sogar meins.» Natürlich war das eine Anspielung auf meine Perücken. Das ist Mick, wie er leibt und lebt.
Das Buch, aus dem BLICK exklusiv Auszüge veröffentlicht, erscheint in der deutschen Version offiziell am 15. Oktober. Geschrieben haben es US-Bestsellerautorin Deborah Davis und der renommierte deutsche Journalist und Buchautor Dominik Wichmann, der unter anderem Chefredaktor des «Süddeutschen Magazins» und des «Sterns» war. Sie arbeiteten eng mit Tina Turner zusammen, führten stundenlange Gespräche mit ihr und stellten eigene Recherchen an. Vor über 30 Jahren hatte die Pop-Queen bereits «Ich, Tina» veröffentlicht – warum also kurz vor dem 80. Geburtstag nochmals eine Biografie? «Ich habe seither so viel erlebt», sagt sie, «und manches konnte und wollte ich damals nicht erzählen.»
Das Buch, aus dem BLICK exklusiv Auszüge veröffentlicht, erscheint in der deutschen Version offiziell am 15. Oktober. Geschrieben haben es US-Bestsellerautorin Deborah Davis und der renommierte deutsche Journalist und Buchautor Dominik Wichmann, der unter anderem Chefredaktor des «Süddeutschen Magazins» und des «Sterns» war. Sie arbeiteten eng mit Tina Turner zusammen, führten stundenlange Gespräche mit ihr und stellten eigene Recherchen an. Vor über 30 Jahren hatte die Pop-Queen bereits «Ich, Tina» veröffentlicht – warum also kurz vor dem 80. Geburtstag nochmals eine Biografie? «Ich habe seither so viel erlebt», sagt sie, «und manches konnte und wollte ich damals nicht erzählen.»