Wie Rammstein zu Erfolg kam
Dank Porno und Nazi-Ästhetik zur globalen Superband

Rammstein wird seit Jahrzehnten kritisiert. Die Vorwürfe lauten: Nähe zur Ästhetik des Dritten Reichs, Frauenverachtung, Gewalt. Doch bis jetzt perlte alles an den ostdeutschen Superstars ab. Wieso eigentlich? Und könnte sich das jetzt ändern?
Publiziert: 17.06.2023 um 01:01 Uhr
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Aktualisiert: 17.06.2023 um 10:37 Uhr
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Mehrere Frauen werfen Lindemann sexuelle Übergriffe vor.
Foto: Redferns
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Katja RichardRedaktorin Gesellschaft

Wenn Rammstein am Samstag in Bern auftreten, wird die berühmte Sperma-Kanone nicht zum Einsatz kommen, der Song «Pussy» ist gestrichen, die «Row Zero» wird leer bleiben. Rammstein stehen an einem Wendepunkt. Doch wie konnten Till Lindemann und Co. überhaupt zur weltweit berühmtesten deutschsprachigem Rock-Band werden?

Und wie wurde aus der ehemaligen Punkband aus Ostdeutschland eine globale Geldmaschine? Worauf ihr Erfolg beruht, wissen der Kultur-Wissenschaftler Maximilian Jablonowski (36), der sich eingehend mit Pop-Kultur befasst, und Musik-Journalist Lukas Rüttimann (52), der Rammstein bereits beim allerersten Auftritt in der Schweiz 1995 erlebt und mehrere Male interviewt hat.

Der Anfang

Der Anfang von Rammstein in Berlin 1995, sie prägten den Begriff «Neue Deutsche Härte».
Foto: imago images/POP-EYE

Die sechs Bandmitglieder kommen aus der ehemaligen DDR – doch anders als es ihr Image vermuten lässt, stammen sie aus dem Bildungsbürgertum. Till Lindemanns Vater war Kinderbuchautor, seine Mutter Kulturjournalistin. Mit dem Mauerfall verlieren sie ein Stück ihrer Identität und einige auch ihre Freundinnen. Auf diesem Verlierer-Image basiert die Gründungslegende der sechs Ossis. Ihre Bandkarriere beginnt in einem Proberaum in Ost-Berlin, wo sie sexuell-aufgeladenen Krach machen. Eine ihrer ersten Song-Zeilen lautete: «Ich will ficken.»

Das Konzept

Die Pyro-Show gehörte von Anfang an dazu, inzwischen ist sie gigantisch.
Foto: IMAGO/Gonzales Photo

Rammstein ist nach der US-Basis Ramstein benannt, wo 1988 ein Unfall an einer Flugshow 70 Todesopfer fordert. Schon der Bandname ist Provokation und die ist von Anfang an Konzept, sagt Musikexperte Lukas Rüttimann: «Sie haben sie sich nie wirklich festlegen lassen – und bewirtschafteten die entstandene Aufregung konsequent. Das hat sie ganz nach oben gebracht.» Dazu kommt eine durchdachte, bombastische Show. Schon beim ersten Showcase feuerte Till Lindemann selbstgebastelte Pyros ab, aus Stahlrohren, die an Fitnesshandschuhen befestigt waren.

Deutschtümelei

Provokation als Nazi: Szene mit Till Lindemann aus dem Musikvideo «Deutschland».

Rammstein kokettierten von Anfang an mit nationalsozialistischer Ästhetik und Lindemann provozierte mit dem rollenden «R» à la Hitler. Zuletzt sorgte das Video zum Song «Deutschland» (2019) für Empörung, darin inszenieren sich Rammstein als KZ-Häftlinge am Galgen. Der Antisemitismus-Beauftragte der Bundesregierung kritisierte das Video damals als «geschmacklose Ausnutzung der Kunstfreiheit».

Zwar haben sich Rammstein wie viele grosse Bands nie klar politisch geäussert. Aber laut Jablonowski liessen sie immer wieder durchblicken, dass sie sich eher im progressiven und linken Feld bewegen: «Sie signalisierten, dass sie nicht rechtsradikal sind.»

Gewalt und Sex

Demonstration gegen Rammstein-Konzert von Till Lindemann im Olympiapark in München.
Foto: IMAGO/Smith

«Bück dich!» lautet ein früher Song von Rammstein von 1997, «dein Gesicht ist mir egal». Frauenverachtung war von Anfang an Programm und wurde toleriert. So auch die Vergewaltigungsfantasien, die Lindemann nicht nur auf der Bühne, sondern auch als Autor auslebte: Im Gedicht «Wenn du schläfst» aus dem Jahr 2020 schreibt er: «Ich schlafe gerne mit dir, wenn du schläfst, wenn du dich überhaupt nicht regst.» Dazu: «Und genau so soll das sein (so soll das sein so macht das Spass), etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas).» Jetzt wird klar, dass sich das System Rammstein auch hinter der Bühne abgespielt hat. «Jetzt verschwimmt die Kunstfigur von Lindemann, er wird zum Täter, der mutmasslich sexuelle Übergriffe begangen hat», so Jablonowski. Zudem ist vor kurzem ein etwa drei Jahre alter Porno-Clip zum Song «Till The End» aufgetaucht, in dem Till Lindemann sexuelle Gewalt gegen junge Frauen ausübt.

Die folgenlose Kritik

Kunstfigur Till Lindemann: Damit federte er Kritiker ab.
Foto: Toronto Star/Getty Images

Wegen der möglichen Nazi-Nähe und Gewaltverherrlichung gab es heftige Kritik. Doch sie verstummte irgendwann. Wieso? Jablonowski sagt: «Trotz der plakativen Drastik in ihrer Show und Texten und eindeutiger Zweideutigkeit schafften es Rammstein, dass man sich in den Feuilletons mit ihnen auseinandersetzte.» Rammstein etablierten sich als subversive Kunstfiguren, die das Böse verkörperten, das in jedem von uns schlummert. Das ist auch Kultregisseur David Lynch (77) zu verdanken, er unterlegte seinen surrealen Thriller «Lost Highway» von 1997 mit dem düster-brachialen Sound der deutschen Band. «Es ging um dieses Versprechen dahinter, dass es noch eine zweite, tiefere Ebene der Reflexion darin gibt. Das zerfällt jetzt», sagt Jablonowski

Gemäss Rüttimann ist die Kritik an Rammstein nie ganz verstummt, «vor allem in Deutschland, wo das Thema Nazi-Nähe viel strenger betrachtet wird als bei uns». Rammstein blieb für viele ein rotes Tuch. Doch der Erfolg habe vielen Kritikern den Wind aus den Segeln genommen: «Rammstein wurde vom Mainstream akzeptiert, samt ihren Abgründen.»

Globaler Erfolg

Globale Geldmaschine: Rammstein sind Deutschlands Exportschlager.
Foto: IMAGO/Smith

Rammstein sind kein deutschsprachiges Phänomen, sondern eine globale Super-Gruppe. Seit 1994 spielten sie 862 Konzerte in 46 Ländern auf allen Kontinenten. Ihr Einzelkonzert im Madison Square Garden in New York von 2011 war innerhalb von 30 Minuten ausverkauft. «Totaler Grössenwahn, aber konsequent durchgezogen», so erklärt Rüttimann den globalen Erfolg der Band. «In den USA lieben sie solche Acts. Dort war man weniger empfindlich, was ihre frühere Koketterie mit Nazi-Ästhetik angeht.» Auch musikalisch bieten Rammstein was: «Es ist ein cleverer Mix aus Metal, Industrial und Schlager, der für das Massenpublikum gut funktioniert – und den sie mit originellen Videoclips visuell grandios umsetzen.» Zudem versteht man in den USA, Südamerika oder Russland deutsch nicht, nur der herrische Tonfall kommt rüber – Hunde erzieht man schliesslich auf der ganzen Welt mit deutschen Kommandos. Eine besondere Liebe zu Rammstein pflegen ihre Fans aus Mexiko, auf der Nordamerika-Tour im letzten Jahr war das Foro-Sol-Stadion in Mexiko-Stadt gleich dreimal ausverkauft.

Beliebtheit in der Schweiz

Die Fangemeinde für Rammstein etablierte sich bereits in den Anfängen der Band, ihr erstes Konzert gaben sie 1996 im Zürcher Volkshaus. Insgesamt fünfmal landeten sie mit ihren Alben auf Platz 1 der Schweizer Hitparade. Wichtiger Faktor für die Beliebtheit hierzulande ist auch die Sprache, so Rüttimann: «Die Leute verstehen, was Lindemann von sich gibt und können mitsingen. Kombiniert mit simplen, aber effektiven Gitarrenriffs und eingängigen, nicht selten wehmütigen Melodien feiern bei Rammstein-Konzerten Metal-, Pop-, Techno- und Schlagerfans gemeinsam.»

Geldmaschine

Pro Show machen Rammstein mehr als fünf Millionen US-Dollar Umsatz, so die Schätzungen der amerikanischen Fachzeitschrift «Pollstar». In den zwölf umsatzträchtigsten Rammstein-Konzerten 2022 wurde ein Ticketumsatz von knapp 64 Millionen US-Dollar eingespielt. Abzüglich der Kosten für die 120-Crew-Mitgliedern, der aufwendigen Bühnenshow, Tourneeveranstalter und der Konzerthalle vor Ort, bleiben Rammstein laut «Spiegel» pro Gig geschätzt fast 2 Millionen US-Dollar. Dazu kommt noch der Verkauf von Merchandise-Artikeln, von Whiskey bis Sex-Toys, wie den Vibrator namens «Tilldo» für 155 Euro.

Die Zukunft

Rammstein hat Lindemann reich gemacht: Sein Vermögen wird auf 20 Millionen Euro geschätzt.
Foto: AFP

Das Geld ist mit ein Grund, warum Rammstein seine Tour nicht abbrechen wird, zudem könnte das auch Schuldeingeständnis interpretieren. Auch wenn für Till Lindemann die Unschuldsvermutung gilt, moralisch hat er bereits verloren. Aber nicht nur deshalb prognostiziert Musik-Journalist Rüttimann das Aus: «Ich könnte mir vorstellen, dass es das war. Zumindest vorerst. Die Band ist musikalisch schon länger auserzählt und wirkt, als ob sie nur noch als tourende Geldmaschine funktioniert. Eine Auflösung würde niemanden überraschen.»

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