Wettlesen in Klagenfurt
Lukas Maisel über die Tinder-Welt

Der zweite Beitrag aus der Schweiz an den 45. Tagen der deutschsprachigen Literatur kam am Freitag von Lukas Maisel. Der 33-Jährige ist derzeit in Krems Stipendiat im Literaturhaus Niederösterreich. Dort hat er auch die Lesung seines Textes aufgezeichnet.
Publiziert: 18.06.2021 um 17:19 Uhr
Der Schweizer Autor Lukas Maisel hat beim Wettlesen in Klagenfurt mit seinem Beitrag über Paarbeziehungen in der Tinder-Welt bei der Jury für ein geteiltes Echo gesorgt.
Foto: HERBERT NEUBAUER

«Anfang und Ende» heisst der Text, den Lukas Maisel im Stehen vorgetragen hat. Eingeladen ist er von Philipp Tingler, seit letztem Jahr Mitglied der Jury; einen Namen gemacht hat sich Tingler unter anderem als Mitglied des Kritikerteams im «Literaturclub» des Schweizer Fernsehens SRF.

Im Zentrum von «Anfang und Ende» steht ein junges Paar, das sich auf dem Weg zum ersten gemeinsamen Besuch bei den Eltern der Frau trennt, nach einem Streit über ihr Kennenlernen auf einer Dating-App. Was dann passiert, erzählt der namenlose Protagonist aus seiner Perspektive. Er presst die Realität gerne in erzählbare Geschichten und widmet sich sofort nach der Trennung wieder der Suche nach einer neuen Freundin.

Für die Jurorin Vea Kaiser ist «Anfang und Ende» ein «wahnsinnig grossartiger» Text, der sich «endlich traut zu beschreiben, was so alltäglich geworden ist», so Kaiser mit Verweis auf die Online-Dating-Kultur. Tingler lobte die «Verwobenheit von Zeitbezogenheit und Zeitlosigkeit» des Beitrags, Mara Delius mahnte die Loslösung von soziologischen Deutungen an und freute sich über die «absolute Sicherheit in der Komposition des Textes».

Auch die Jury-Vorsitzende Insa Wilke war der Meinung, dass es sich hierbei vor allem «um einen Text über das Erzählen» handle. Klaus Kastberger sah vor diesem Hintergrund «einen typischen Klagenfurt-Text». Hinter dem Text gehe eine «erzähltechnische Welt auf», «aber Transzendenz hat er Null», so die Kritik des Jurors. Brigitte Schwens-Harrant empfand den Text «zu überkonstruiert» und «zu dick aufgetragen"; Michael Wiederstein lehnte «diesen telenovelaartigen Text» schlichtweg ab und kritisierte sowohl die «Männerklischees» als auch die «Frauenklischees».

Nach dieser Kontorverse trug der steirische Schriftsteller Fritz Krenn «Mr Dog» vor, ein Text, in dem es um die Ausnahmesituationen im Dasein eines Schriftstellers sowie die seelische Verwandtschaft mit literarischen Vorbildern ging. Mit ihm hatte man erstmals am Ende dieses zweiten Lesetages deutlich das Gefühl, es nach teils wenig begeistert aufgenommenen Texten mit einem potenziellen Preisträger zu tun zu haben.

Den Auftakt im Wettlesen um den Ingeborg Bachmann-Preis hatte am Donnerstag die Schweizer Autorin Julia Weber gemacht. Auch ihr Beitrag «Ruth» war, wie jener Maisels, in der Jury kontrovers diskutiert worden.

Am morgigen Samstag werden drei weitere Autorinnen und ein Autor ihre Texte präsentieren. Damit wird das Wettlesen zu seinem diesjährigen Ende kommen, bevor am Sonntag die Preise vergeben werden.

https://bachmannpreis.orf.at

(SDA)

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