Westschweizer Comedy-Shootingstar Thomas Wiesel erklärt
Ihr Deutschschweizer braucht uns Welsche nicht

Der künftige SBB-Chef muss kein Französisch mehr können. Der Chef der Armee kann kein Französisch. Die Romandie macht sich Sorgen. Thomas Wiesel, Shooting-Star der Westschweizer Comedy-Szene, erklärt, wieso uns Deutschschweizer das nicht gross interessieren muss.
Publiziert: 20.10.2019 um 13:16 Uhr
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Aktualisiert: 20.10.2019 um 16:52 Uhr
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Der Westschweizer Satiriker Thomas Wiesel geht der Frage nach, ob es die Romandie überhaupt braucht.
Foto: Laura Gilli
Thomas Wiesel

Der Leiter des SonntagsBlick Magazins hat mich letzte Woche kontaktiert, um mich zu fragen, ob ich etwas zur Frage «Für was sind die Romands noch gut?» schreiben könne. Dazu gab es in der Westschweiz in den letzten ­Wochen ­mehrere Artikel und eine «Infrarouge»-Sendung (das ist unsere «Arena», da, wo sich die Politiker ins Wort fallen und von ihren ­Zettelchen ablesend so tun, als würden sie nicht von Zettelchen ablesen). Er hat mich gewarnt: «Achtung, unsere Leser kennen diese Debatte nicht.» Trifft sich gut, denn vor seinem E-Mail kannte ich sie auch nicht.

Um ganz ehrlich zu sein: Wenn selbst wir Welschen uns fragen, wozu wir noch gut sind, ist das kein sehr gutes Zeichen. Mir wäre es ­deshalb lieber, wenn ihr Euch diese Frage nicht stellen würdet, denn ich fürchte, dass die ­Antwort lautet: zu nicht viel.

Die Griechen der Schweiz

Roger Köppel hat uns die Griechen der Schweiz genannt. Wir würden lieber feiern und verführen als arbeiten. Er wollte uns ohne Zweifel beleidigen, aber wir nahmen es als Kompliment. Mich persönlich reizt Santorini mehr als Bümpliz.

Soweit ich es verstehe, waren es zwei Ereignisse, welche diese Debatte angestossen haben. Ich bin aber nicht ganz sicher, ob das stimmt, aber wenn man eine ernsthafte Antwort und eine treffende Analyse erwarten würde, hätte man auch nicht mich gefragt.

Westschweizer Shootingstar

Thomas Wiesel (30) ist das Aus­hängeschild einer neuen Generation von Satirikern in der Romandie. Er ist ­regelmässig im Westschweizer ­Fernsehen zu sehen und immer ­wieder in Satiresendungen am ­französischen Radio zu hören. Mit seinem zynischen Humor, der stark durch angelsächsische Comedians wie John Oliver oder Jon Stewart ­inspiriert ist, tritt er in Frankreich, Belgien und Kanada auf. Derzeit tourt er mit seiner Show «Ça va.» durch die Westschweiz.

Thomas Wiesel (30) ist das Aus­hängeschild einer neuen Generation von Satirikern in der Romandie. Er ist ­regelmässig im Westschweizer ­Fernsehen zu sehen und immer ­wieder in Satiresendungen am ­französischen Radio zu hören. Mit seinem zynischen Humor, der stark durch angelsächsische Comedians wie John Oliver oder Jon Stewart ­inspiriert ist, tritt er in Frankreich, Belgien und Kanada auf. Derzeit tourt er mit seiner Show «Ça va.» durch die Westschweiz.

Also, zwei Ereignisse. Erstens: Der neue Chef der Armee kann kein Französisch und versteht es auch nicht. Er hat zwar versprochen, es zu lernen (aber er hat auch neue Kampfflugzeuge versprochen, ob er es tut, ist also alles andere als sicher).

Zweitens muss der Nachfolger des SBB-Chefs Andreas Meyer offenbar kein Französisch sprechen (Anm. d. Red.: BLICK berichtete). Das Resultat: Panik in der Romandie! Also nein, ­eigentlich nicht wirklich, aber «Infrarouge» hat nun mal eine Sendung pro Woche und braucht nun mal ein Thema. Ich hätte Folgendes vorgeschlagen: «Kann Petkovic in den letzten zehn Spielminuten elf Spieler auf die Torlinie stellen?», aber sei es drum … (Dieser Witz war um einiges lustiger, als ich ihn schrieb, nämlich am Morgen vor dem Match gegen Irland, wo die Schweiz dann in den letzten zehn Minuten ein Tor schoss – nur, um mir das Maul zu stopfen).

Ist es wirklich schlimm, den SBB-CEO nicht zu verstehen?

Ich fände einen SBB-Chef lustig, der weniger Sprachen spricht als seine Kontrolleure. Ist es wirklich so schlimm, wenn wir nicht alles verstehen, was der Eisenbahn-CEO sagt? Andreas Meyer spricht perfekt Französisch, und wir sind ihm auch nicht gerade an den Lippen gehangen. Klar sind wir froh, dass Roger Federer von Zeit zu Zeit etwas auf Französisch sagt, weil uns interessiert, was er erzählt. Andreas Meyer dagegen könnte uns auch auf Bulgarisch erklären, weshalb er trotz etlichen Skandalen bei den SBB seinen Lohn von einer Million pro Jahr für gerechtfertigt hält – es wäre uns egal.

Und der Chef der Armee, der nur Deutsch spricht? Wenn er sich wirklich eines Tages an uns wenden sollte, würden wir uns Mühe geben, ihn zu verstehen. Wenn dein Gegenüber eine Pistole am Gürtel trägt, macht man schnell Fortschritte. Und es gibt auch positive Seiten. Im Kriegsfall verstehen wir den Mobilmachungsbefehl nicht – eine gute ­Ausrede, um mit ­Verspätung an der Front einzutreffen.

Guy Parmelin spricht kein Deutsch und kaum Französisch

Es braucht also keine Französischkenntnisse mehr, um wichtige Posten in der Deutschschweiz besetzen zu können. Ehrlich gesagt braucht es auch keine Deutschkenntnisse, um in der Westschweiz Karriere zu machen. Die Ausnahmen sind Posten beim Bund (ausser man heisst Guy Parmelin, bei ihm wären wir schon froh, er würde seine Muttersprache beherrschen).

Sicher, in den Stellenanzeigen heisst es oft: Deutschkenntnisse verlangt. Aber das ist eine Lüge, der welsche Arbeitgeber spricht selbst auch kein Deutsch und kann es gar nicht überprüfen.

Das haben wir übrigens auf den beiden Seiten des Röstigraben gemeinsam, wir sprechen nicht gerne Hochdeutsch. Deshalb greifen wir oft auf Englisch zurück, um mit Deutschschweizern zu kommunizieren. Schweizer, die als neutralen Boden eine ausländische Sprache nutzen: Sie müssen zugeben, dass das lustig ist.

Es ist vielleicht nicht ideal, dass ihr auch nicht immer gut Französisch sprecht, aber es führt zu unterhaltsamen Situationen, wie der unvergesslichen Rede von Johann Schneider-Ammann am Tag der Kranken, oder zum Logo #TeamFDP (wobei FDP auf Französische für fils de pute steht, und beschreibt, dass die Mutter der angesprochenen Person dem ältesten aller Gewerbe nachgeht). Über diese zwei Kommunika­tionseigentore werden wir noch Jahre lachen.

Apfelmus und Arbeit

Ich hörte einen Journalisten klagen, dass die Zürcher die Romandie überhaupt nicht kennen würden und jeweils ganz verzaubert seien, wenn sie zum ersten Mal nach Lausanne oder Genf reisen. Eben genau darum, pssst! Erzählt ihnen nichts, es ist jetzt schon kompliziert ­genug, eine Wohnung zu finden.

Was wenn es der Schweiz gerade deshalb so gut geht, weil wir alle ein wenig Distanz zueinander halten? Als mich belgische Freunde nach einem Sprachenstreit in der Schweiz ausfragten, antwortete ich: Wir verstehen uns gut, weil wir uns nie sehen. Bei einem Paar funktioniert das nicht, bei einem Land schon. Vier Sprachen, vier Regionen, alles bleibt unter sich und das Land ruhig. Man kann sich mit niemandem streiten, der nicht da ist.

Ihr bleibt für uns ein Kuriosum, ihr, die immer von der Arbeit redet, überall Kartoffeln und Apfelmus dazumischt, in jedem Kanton eine ­andere Sprache sprecht und oft das Gegenteil von uns abstimmt. Und wir Welschen liefern euch zuverlässig zwei Bundesräte, ab und zu eine Olympia-Medaille oder eine Miss Schweiz, und dank unserer Feierlaune und dem Schlendrian könnt ihr euch überlegen fühlen.

Und manchmal dienen wir dazu, im ­SonntagsBlick Magazin die Spalten zu füllen, was ­alleine schon dieses Land symbolisiert: Ich muss den Text auf Französisch schreiben, ihn vier Tage vor Publikation abliefern, damit er noch übersetzt werden kann. Dreieinhalb Tage, um jemanden zu finden, um den Text in drei Stunden ins Deutsche zu übersetzen.

Liebe Nachbarn, ich bin mir nicht sicher, ob ihr uns braucht. Aber ich hoffe, dass ihr das nicht bemerkt und uns deswegen ausschliesst. Wir wollen kein zweites Liechtenstein werden.

Wie sagt es doch Cyrano de Bergerac im berühmten Roman von Edmond Rostand: «Es ist viel schöner, wenn es nutzlos ist.»
Ihr habt uns nicht nötig, und genau deshalb sind wir unverzichtbar.

Hier geht es zum französischen Originaltext von Thomas Wiesel, «Vous n'avez pas besoin de nous».

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