«Weltanschauung»– BLICK-Kolumne von Giuseppe Gracia
Undankbare Generation

Viele Menschen glauben heute, dass sie ein Recht auf Glück, Erfolg und Selbstverwirklichung haben. Doch wehe, wenn dies ausbleibt. BLICK-Kolumnist Giuseppe Gracia über Undankbarkeit.
Publiziert: 22.01.2018 um 12:25 Uhr
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Aktualisiert: 13.09.2018 um 01:20 Uhr
Giuseppe Gracia ist Medienbeauftragter des Bistums Chur, Schriftsteller und BLICK-Kolumnist.
Foto: Thomas Buchwalder
Giuseppe Gracia

Heute werden die Leute immer unglücklicher, weil sie undankbar sind. Davon ist meine Tante Angela-Maria fest überzeugt. Als wir unlängst über unsere guten Vorsätze für das Jahr 2018 sprachen, erklärte sie, ein undankbarer Mensch könne nie glücklich sein oder ein guter Mensch werden. Dann zitierte sie aus dem Alten Testament: «Die Hoffnung des Undankbaren schmilzt wie winterlicher Reif und verrinnt wie unnützes Wasser.»

Meine Tante hat immer recht, aber natürlich stellt sich die Frage, warum wir ausgerechnet in der reichen Schweiz so undankbar sein sollten. Liegt es daran, dass ein Mensch unabhängig von seinem Einkommen nur dann dankbar sein kann, wenn er im Bewusstsein lebt, dass er sich nicht selber macht, dass er jeden Tag von der Hilfe und Zuwendung anderer abhängig ist?

Im Moment dominiert im Westen eine Kultur, die dem widerspricht, die auf allen Kanälen das selbst gemachte und selbst gesteuerte Leben propagiert. Das Leben als Plattform des eigenen Wollens und Wünschens. Das verursacht eine Menge Undankbarkeit.

Wir bringen immer mehr Leute hervor, die daran glauben, dass sie alles schaffen und herbeiführen können. Ja, dass ihnen Karriere und Glück zustehen. Dass sie ein Recht auf den attraktiven Körper haben, auf Gesundheit und Genuss. Ein Recht auf ein gut getimtes Designerbaby, eine krankenkassenpflichtige Geschlechtsumwandlung oder Abtreibung.

Wir erheben alles zum Menschenrecht. Und damit verschwindet die Dankbarkeit. Denn wieso sollten die Leute dankbar sein für ein Leben, das sie für ihr gutes Recht halten? Ist es nicht vielmehr logisch, dass sie frustriert sind und sich von der bösen Welt diskriminiert fühlen, sobald die Wunder der Selbstverwirklichung ausbleiben?

Am Ende bringt uns unsere Kultur zurück zur bekannten Geschichte vom Hund, der mit einem schönen Knochen im Maul über eine Brücke trottete. Als der Hund nach unten in den Fluss sah, erblickte er im Wasser sein Spiegelbild. Er bellte wütend, weil er meinte, es sei ein anderer Hund mit einem noch grösseren Knochen. Dabei entglitt ihm sein eigener und versank im Wasser.

Giuseppe Gracia (50) ist Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur. Er ist verheiratet und Vater von zwei Kindern. In seiner BLICK-Kolumne, die jeden zweiten Montag erscheint, äussert er persönliche Ansichten.

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