In Bern ist sie bereits jetzt Stadtgespräch: Die Premiere des «Transgender-Musicals Coco» am 20. April auf der Vidmar-Bühne des altehrwürdigen Stadttheaters. Vor 20 Jahren hat sich Eve-Claudine Lorétan alias Coco 1998 das Leben genommen, die erste bekannte Transfrau der Schweiz. «Das Musical erhebt keinen Anspruch auf historische Genauigkeit, es ist stattdessen die überfällige Hommage an eine Frau, die ihren anspruchsvollen Weg mit Entschlossenheit und Würde gegangen ist», sagen die Programmverantwortlichen.
1969 wurde Coco als Marc-Patric Lorétan geboren. Die Kindheit in den bleiernen 70er-Jahren im konservativen Thun gestaltete sich sehr schwierig. «Ich war ein Wunderkind, aber im falschen Körper», sagte sie in einem Interview. Klassenkameraden erinnern sich: «Sie war wie ein Fabelwesen und nicht von dieser Welt.» Der offenere Zeitgeist der 80er-Jahre kam ihr dann schon eher entgegen. 1987 liess sich Marc-Patric unter dem Künstlernamen Coco zum Model ausbilden, 1988 schloss er die Matura ab, 1990 folgte die Geschlechtsanpassung und aus Marc-Patric wurde Claudine-Eve. Doch ihre Mutter Trudy sagte später in einem Interview mit BLICK: «Sie war nie wirklich glücklich. Sie ist am Leben zerbrochen.» Nach den operativen Eingriffen quälten sie Depressionen sowie eine schwere Identitätskrise. Ärzte diagnostizierten zusätzlich eine Psychose.
Ein Stück Schweizer Mediengeschichte
1991 schrieb Coco ein Stück Schweizer Mediengeschichte und wurde landesweit bekannt. Paul Riniker (72) zeigte auf SRF seinen sagenhaften Dokumentarfilm «Traum Frau Coco», den 660'000 Zuschauerinnen und Zuschauer sehen wollten (siehe Zweitstoff). 1992 wurde Coco offiziell als Frau anerkannt, auch im Pass stand jetzt Eve-Claudine Lorétan. In Partykreisen genoss sie Star-Status, sie lief als Model, war überall gern gesehener Gast. Ihr Gesundheitszustand allerdings verschlechterte sich zunehmend. Sie begann an Osteoporose zu leiden, offenbar eine Folge der Geschlechtsanpassung. «Wäre ich ein Mann geblieben», sagte sie 1995 zu BLICK, «wäre ich jetzt nicht krank. Am meisten fürchte ich den Winter. Die Kälte verstärkt meine Schmerzen. Die Handgelenke tun mir weh, der Rücken und, besonders schlimm, die Hüfte.» Sie begann ihre Ernährung auf Makrobiotik umzustellen und machte eine entsprechende Ausbildung zur Köchin.
Selbstmord im Herbst 1998
1997 folgte ein weiterer Schicksalsschlag. Diebe stahlen das 1000-seitige Manuskript ihrer Autobiografie. Gleichzeitig wurde publik, dass sie sich aus finanzieller Not heraus in mehreren Thuner Etablissements als Prostituierte anbot. Im September 1998 wurde die Situation dramatisch. «Sie hatte zuletzt kaum noch gegessen und getrunken», sagte ihre Mutter zu BLICK. Am Telefon hatte die Mutter ihre Tochter noch gebeten, doch nach Hause zu kommen. «Zu zweit werden wir es schaffen!» Doch Coco war zu schwach und sagte, sie schaffe es nicht mehr, aus dem Bett zu steigen. «Mami, lass mich gehen! Ich kann nicht mehr.» Am Tag darauf erhängte sie sich. «Wie verzweifelt muss sie da gewesen sein ...» Die Mutter war stets überzeugt: «Coco liess sich zwar etwas wegoperieren. Aber eine Frau wurde sie dadurch nie.»
Dok-Filmer Paul Riniker erinnert sich
Während 18 Monaten verfolgte Paul Riniker (72) die Geschichte von Coco, die sich während der Dreharbeiten einer Geschlechtsanpassung unterzog. Der Film wurde im Oktober 1991 ausgestrahlt und war ein Quoten-Hit: «Meine Erinnerungen sind zwiespältig. Es war spannend, sich mit der intelligenten, aber auch sprunghaften und gelegentlich nervenden Coco auseinanderzusetzen. Im Nachhinein bedrückt es mich zu erkennen, dass sie schon damals sehr selbstzerstörerisch war, so, als dürfte sie nicht glücklich werden. Im Bewusstsein, dass sie sich später das Leben nahm, kommt es mir vor, als wäre ihr Ende schon lange vorher vorgezeichnet gewesen. Die Entstehung des Films war das eine, das andere war, was nach der Ausstrahlung geschah. Kaum eine TV-Sendung jener Jahre löste ein so starkes und andauerndes Echo aus. Und Coco hatte das Publikum tief beeindruckt.» Insbesondere dramatisch war der Schluss. Rinikers letzte Frage an Coco: «Würdest du dich wieder operieren lassen?» Ihre Antwort: «Nein, eher bringe ich mich um.»
«Der Film ist für mich nach wie vor stimmig»
Riniker würde den Film immer noch ähnlich drehen. «Er ist für mich nach wie vor stimmig. Doch in den Jahrzehnten seither hat sich ungemein viel getan. Die Transgenderfrage hat eine grosse Community geformt, die sich zu Recht auch lautstark zu Wort meldet und Ansprüche geltend macht. Zum Beispiel an einen angemesseneren Sprachgebrauch. Man sagt heute nicht mehr Umwandlung, sondern Anpassung, wenn der Körper operativ dem gefühlten Geschlecht angeglichen wird. Was sich auch total verändert hat, ist das Bewusstsein von einem dritten Geschlecht. Man weiss heute, dass zigtausend Menschen weder eindeutig weiblich noch eindeutig männlich sind, sondern dass es viele Ausformungen von gemischter Geschlechtlichkeit gibt. Und es wird heute nicht mehr so leichtfertig jedes Neugeborene operativ einem Geschlecht angepasst.»
Heute ab 17.30 Uhr im Livetalk: Transfrau Raffaela Zollo. Fragen an webTV@ringier.ch
Lesen Sie morgen: Transgender heute - das hat sich seit dem tragischen Tod von Coco vor 20 Jahren geändert
Vom Begriff «Transgender» spricht man, wenn die Geschlechtsidentität eines Menschen nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Unterschieden werden Transfrauen und Transmänner: Transfrauen wurden bei ihrer Geburt aufgrund des Körpers als Jungen eingeordnet, Transmänner als Mädchen.
«Trans» umfasst allerdings nicht ausschliesslich die Menschen, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben: Ob sie eindeutig wie ein Mann oder wie eine Frau aussehen, ob sie operiert sind oder ob sie sich besonders «männlich» oder «weiblich» verhalten – Transmenschen leben sehr unterschiedlich mit dem Geschlecht, das sie als richtig empfinden.
Vom Begriff «Transgender» spricht man, wenn die Geschlechtsidentität eines Menschen nicht mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt. Unterschieden werden Transfrauen und Transmänner: Transfrauen wurden bei ihrer Geburt aufgrund des Körpers als Jungen eingeordnet, Transmänner als Mädchen.
«Trans» umfasst allerdings nicht ausschliesslich die Menschen, die sich einer geschlechtsangleichenden Operation unterzogen haben: Ob sie eindeutig wie ein Mann oder wie eine Frau aussehen, ob sie operiert sind oder ob sie sich besonders «männlich» oder «weiblich» verhalten – Transmenschen leben sehr unterschiedlich mit dem Geschlecht, das sie als richtig empfinden.