Mit schnellem Schritt erscheint er zum Interview mit BLICK. Nur an die Maske könne er sich nicht so gewöhnen. Man sieht Walter Andreas Müller (WAM) an, dass er sich darüber freut, nach dem Lockdown wieder auf der Bühne stehen zu können. Im Interview schlägt er dann aber viele nachdenkliche Töne an.
BLICK: Was haben Sie aus 75 Jahren Leben gelernt?
Walter Andreas Müller: Dass man sich nicht so ernst nehmen darf. Und andere Meinungen respektieren soll. Und versuchen, positiv zu denken.
Und das ist Ihnen gelungen?
Was mir definitiv nicht gelungen ist: Ich bin nur 162,5 Zentimeter gross geworden. Ich hätte gern ein paar Zentimeter mehr geschafft. Was ich erreicht habe, verdanke ich eher dem Schicksal: Ich hatte ein wunderbares Leben. Ich konnte meine Träume als Schauspieler verwirklichen. Ich bin ja kein Star, aber ich durfte Erfolge feiern in unserem kleinen Land. So habe ich alles erreicht, was ich wollte.
Gibt es ein grosses Fest zum Geburtstag?
Nein, ich habe in meinem ganzen Leben nie eine Geburtstagsparty organisiert. Geburtstage sind unnötig. Ich kann ja nichts dafür, dass ich älter werde. Es ist weder meine Schuld noch mein Verdienst. Ich bin auch nicht gern im Zentrum. Ich werde auch am 75. auf der Bühne stehen.
Spielt auch mit, dass das Leben mit jedem Jahr etwas kürzer wird?
Das ist ein wesentlicher Punkt. Ich habe nach meinem 50. Geburtstag angefangen, nach oben zu rechnen. Vorher habe ich mich immer jünger gefühlt. Und mit 75 ist der Zeitpunkt gekommen, an dem ich sagen muss: Wie viele Jahre bleiben mir noch? Mein Vater starb mit 80. Dann hätte ich noch fünf Jahre.
Ihr Vater starb an Demenz.
Ja, das habe ich dauernd im Hinterkopf. Wenn ich auf der Bühne einen Text vergesse, denke ich: Jetzt fängt es an. Wenn man älter wird, dann passieren einem dauernd solche Dinge: Du wachst morgens mit irgendeinem Zipperlein auf, es juckt oder brennt irgendwo, und du denkst: Ist das jetzt der Anfang vom Ende? Aber es ist nicht so, dass ich panisch wäre. Ich versuche wie vermutlich alle Menschen diese Dinge zu verdrängen.
Aber das Schicksal des Vaters hat Sie mitgenommen?
Er starb 1995 während den Dreharbeiten für die Sitcom «Fascht e Familie». Ich war 50. Ich habe diesen Prozess schleichend erlebt. Es war ein langsames Abschiednehmen. Er hat mich am Ende nicht mehr gekannt, konnte nicht mehr selber essen und trinken. Es war für ihn eine Erlösung, dass er gehen konnte.
Was ist mit 75 anders als mit 25?
Ich lerne schlechter Texte als früher. Früher konnte ich eine Passage zwei-, dreimal anschauen, und dann sass sie. Heute muss ich mich hinsetzen und daran arbeiten. Am Morgen braucht der Motor auch etwas länger, bis er läuft. Und wenn ich die Zürcher Trittligasse hinaufsteige, wo wir gerade spielen, dann komm ich mehr ins Schnaufen als früher. Aber im Kopf fühle ich mich oft wie 40.
Worauf sind Sie am meisten stolz?
Eigentlich auf nichts. Ich kann ja viel, aber eigentlich nichts ganz richtig. Das kommt auch daher, dass ich so vielseitig bin. Ich kann zum Beispiel singen, aber eben nicht so gut wie ein Opernsänger. Aber es macht mich glücklich, dass ich als Volksschauspieler vielen Tausend Menschen ein Lachen ins Gesicht zaubern konnte. Ich bin eines dieser letzten Fossile, das noch lebt.
Finanziell müssten Sie vermutlich nicht mehr arbeiten.
Ich habe gut verdient, auch weil ich so breit gefächert arbeitete. Ich habe eine AHV und eine kleine Pension vom Radio. Ich verdiene wie eine bessere Serviertochter. Aber ich habe mir auch ein Polster zugelegt – vor allem dank «Fascht e Familie». So kann ich die Hypothek für mein Haus bezahlen.
Was hätten Sie rückblickend anders gemacht im Leben?
Ich hätte gern Klavier spielen können – so wie ein Udo Jürgens. Und ich hätte besser an meiner Karriere im Ausland arbeiten können, aber ich hatte nie eine Agentur damit beauftragt. Das war vielleicht ein Fehler.
Wären Sie gern nach Hollywood gegangen?
Jeder Schauspieler lügt, wenn er das bestreitet. Ich habe als junger Schauspieler von Hollywood geträumt. Eine Karriere zu machen wie ein Brad Pitt, Tom Hanks oder ein Anthony Hopkins, mit dem man mich rein physiognomisch verglichen hat – das wäre grandios gewesen. Aber schlussendlich entschied ich mich, das Gärtlein Schweiz zu bespielen, was mich auch glücklich machte.
Walter Andreas Müller, auch WAM genannt, wurde 1945 in Zürich geboren und wuchs im Quartier Wollishofen auf. Nach einer kaufmännischen Lehre am Bühnenstudio Zürich liess er sich zum Schauspieler ausbilden. Gemeinsam mit Birgit Steinegger (71) feierte er grosse Erfolge als Bundesrat-Parodist in der Satiresendung «Classe politique», in «Viktors Spätprogramm» oder «Punkt CH». Ob in der Sitcom «Fascht e Familie» oder auf Theaterbühnen: Der 1,62 Meter grosse WAM gehört zu den beliebtesten Schweizer Schauspielern. Er lebt mit seinem Partner in einem Erdhaus im Zürcher Oberland.
Walter Andreas Müller, auch WAM genannt, wurde 1945 in Zürich geboren und wuchs im Quartier Wollishofen auf. Nach einer kaufmännischen Lehre am Bühnenstudio Zürich liess er sich zum Schauspieler ausbilden. Gemeinsam mit Birgit Steinegger (71) feierte er grosse Erfolge als Bundesrat-Parodist in der Satiresendung «Classe politique», in «Viktors Spätprogramm» oder «Punkt CH». Ob in der Sitcom «Fascht e Familie» oder auf Theaterbühnen: Der 1,62 Meter grosse WAM gehört zu den beliebtesten Schweizer Schauspielern. Er lebt mit seinem Partner in einem Erdhaus im Zürcher Oberland.
Wenn Sie heute geboren worden wären, hätten Sie sich früher als schwul geoutet?
Das ist eine hypothetische Frage, das kann ich nicht sagen. Ich bewundere jeden jungen Menschen, der das kann. Zu meiner Zeit war das nicht möglich. Damals hatte ich grosse Angst vor einem Outing, vielleicht auch weil ich dachte, mein Publikum könnte es nicht verstehen. Dabei ist gut möglich, dass es positiv reagiert hätte.
Wie lange möchten Sie noch auf der Bühne stehen?
So lange, wie Geist und Körper mitmachen. Aber ich merke, auch wenn derzeit im Freilufttheater Trittligasse spiele, dass sich meine Nervosität ins Unermessliche steigert. Die Angst vor dem Versagen hat sich extrem vergrössert. Sie wird mit jeder Produktion grösser. Letztes Mal applaudierte mir das Publikum zu, als ich Bundeskanzlerin Merkel parodierte. Jetzt gebe ich die Queen und denke, du musst die Merkel toppen. Ich sage oft: Das wird vielleicht deine letzte Rolle – wenn ich wieder den Papst an den Kammerspielen Seeb spiele. Es war auch Heinrich Gretlers letzte Rolle. Aber dann kommt immer wieder ein neues tolles Angebot.
Haben Sie eigentlich Ihr Testament geschrieben?
Ja, das habe ich gemacht. Aus dem einfachen Grund, weil ich mit meinem Freund keine eingetragene Partnerschaft habe. Es ist etwas kompliziert, mein Lebenspartner wurde vor zehn Jahren von einem schweren gesundheitlichen Schicksalsschlag getroffen, und man hat mir geraten, ihn am besten auf diese Weise begünstigen.
Sie zeigen sich nicht mit ihm in der Öffentlichkeit. Warum nicht?
Er will das nicht. Er war früher Lehrer. Er wollte nie in der Öffentlichkeit stehen. Früher war auch vieles anderes, da war man als Lehrer auch eine Zielscheibe.
Was soll einmal auf Ihrem Grabstein stehen?
Nur mein Name und das Todesjahr. Wir haben ein Familiengrab in Zürich-Witikon. Dort liegen auch meine Eltern. Man könnte ja schreiben: «Er hat alles parodiert, was existiert» (lacht). Aber für eine Inschrift hat es gar keinen Platz.
Wenn Sie noch einen Tag zu leben hätten, was würden Sie tun?
Ich bekäme primär Panik. Es wäre wohl wie bei einem Todeskandidaten vor der Hinrichtung. Ich würde mir noch was Gutes zum Essen wünschen. Scaloppine al limone vielleicht. Oder noch schnell zu Starkoch Andreas Caminada ins Bündner Domleschg fahren. Wenn die Zeit dazu noch reicht.