Kommissar Gereon Rath zittert. Hinter ihm knallts – ein Mann hat sich eben mit der Pistole gerichtet. Apathisch läuft Rath an ihm vorbei, vorbei an einem anderen Mann mit einem Strick in den Händen. Paralysiert taumelt Rath die Treppe runter, wertlose Aktienpapiere schweben wie Schneeflocken neben ihm nieder.
Zack! Plötzlich baumeln auf seiner Kopfhöhe die Füsse des Mannes mit dem Strick: Er hat sich am Geländer erhängt. Rath stolpert auf die Eingangstür der Börse zu, öffnet sie – und wird von einer hereinstürmenden Menschenmasse überrannt.
Die wortlose Filmsequenz dauert keine drei Minuten, doch in ihrer ikonenhaften Schlichtheit schreibt sie Geschichte, ja Geschichten – einerseits den Beginn der dritten Staffel der deutschen Fernsehproduktion «Babylon Berlin», die ab 24. Januar auf Sky zu sehen ist, andererseits die Historie um tödlichen Ruin durch den Börsencrash von Oktober 1929, das bittere Ende der Goldenen Zwanziger.
Drei Regisseure, 300 Drehorte
Mit dem Jahrzehntewechsel ist bei uns die Faszination für die legendäre Dekade vor hundert Jahren stark gestiegen. «Die neuen 20er», titelt «Der Spiegel» neulich und setzt zum Vergleich an: «Aufbruch, Umbruch, Crash-Angst: Wie golden wird das kommende Jahrzehnt?»
Zum Titelthema schreibt Volker Kutscher (58), Bestseller-Autor der Gereon-Rath-Krimis, einen Essay und beginnt mit den Worten: «Die Zwanziger sind zurück: Eine Dekade feiert Wiederauferstehung.» Für den Roman «Der stumme Tod. Gereon Raths zweiter Fall», Vorlage der dritten Staffel von «Babylon Berlin», erhielt Kutscher 2010 den renommierten Burgdorfer Krimipreis.
«Der nasse Fisch», Raths erster Fall, war Grundlage der ersten beiden Staffeln der TV-Serie. Die 16 Folgen à jeweils 45 Minuten waren eine erstmalige Zusammenarbeit des privaten Bezahlsenders Sky und der öffentlich-rechtlichen ARD und mit einem Budget von knapp 40 Millionen Euro die teuerste deutsche Fernsehproduktion, die kostspieligste nicht englischsprachige Serie.
Ein gigantisches Projekt: Drei renommierte Regisseure filmten an rund 300 Drehorten in Berlin, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen – Tom Tykwer (54, «Das Parfum»), Achim von Borries (51, «England!») und Henk Handloegten (51, «Liegen lernen»). Die Filmemacher wechselten sich nicht Folge für Folge ab, was einfacher wäre, sondern drehten für die gleiche Folge mit einem je eigenen Team an einem anderen Schauplatz.
Erfolg bei Kritik und Publikum
Das funktionierte nur, weil die Regisseure alle Szenen des Drehbuchs gemeinsam verfasst hatten und die Aufnahmen danach zusammenpassten. Ein aufwendiges Prozedere. «Das sind jetzt sieben Jahre, in denen wir zusammenarbeiten», sagt Tom Tykwer nach der Weltpremiere der dritten Staffel vor gut einem Monat in Berlin gegenüber BLICK (siehe Box).
Sie sind die drei Regisseure von «Babylon Berlin»: Wie hat sich Ihre Zusammenarbeit mit der dritten Staffel entwickelt?
Tom Tykwer: Das sind jetzt sieben Jahre, in denen wir zusammenarbeiten.
Achim von Borries: Oh Gott! Wir brauchen jetzt einen Therapeuten. Wir sind seit sieben Jahren mehr oder weniger jeden Tag zusammen, ausser mit einer, zwei Wochen Unterbrechung – das ist absurd!
Tykwer: Wenn wir eine Ehe hätten, wäre es jetzt vorbei. Aber dass wir immer noch zusammen sind, spricht auf jeden Fall für uns drei. Wir haben mehrmals gedacht, wir würden das alles nicht mehr aushalten.
Und wieso machten Sie weiter?
Tykwer: Natürlich ist das ein Wahnsinn – mit drei Alphatieren und drei Perspektiven. Aber es ist bloss eine Fortsetzung dessen, was ein Film immer ist: eine kollaborative Kunstform. Man ist ständig in Diskussion mit Leuten, die sowieso etwas besser können als man selbst. Die meisten können etwas besser machen als man selbst.
Stimmen Sie ab, wenn Sie sich nicht einig sind?
Von Borries: Wir reden sehr lange. Und wenn man nicht mehr reden möchte, dann muss man einfach sagen: zwei zu eins! So hat man hier zwei Co-Regisseure, die auch einiges besser können. Das anzuerkennen, muss man lernen.
Und der Gewinn aus dieser Lehre?
Von Borries: Wenn das alle drei anerkennen, hat das zur Folge, dass die Schwächen, die man hat, ausgeglichen werden von den Stärken der anderen. Das ist fast ein bisschen bedrohlich für die Vorstellung, wenn man wieder allein dasitzt.
Bleibt überhaupt Platz für eigene Projekte?
Henk Handloegten: Im neuen Jahr hoffentlich schon.
Von Borries: Wir haben alle Solowünsche. Aber man muss sich nur Paul McCartneys erstes Soloalbum anhören, dann weiss man – man sollte es bleiben lassen.
Handloegten: Du meinst vielleicht Ringo Starrs erstes Album. Das von Paul ist okay. Es gibt da allerdings ein vierminütiges Schlagzeugsolo von ihm …
Sie sind die drei Regisseure von «Babylon Berlin»: Wie hat sich Ihre Zusammenarbeit mit der dritten Staffel entwickelt?
Tom Tykwer: Das sind jetzt sieben Jahre, in denen wir zusammenarbeiten.
Achim von Borries: Oh Gott! Wir brauchen jetzt einen Therapeuten. Wir sind seit sieben Jahren mehr oder weniger jeden Tag zusammen, ausser mit einer, zwei Wochen Unterbrechung – das ist absurd!
Tykwer: Wenn wir eine Ehe hätten, wäre es jetzt vorbei. Aber dass wir immer noch zusammen sind, spricht auf jeden Fall für uns drei. Wir haben mehrmals gedacht, wir würden das alles nicht mehr aushalten.
Und wieso machten Sie weiter?
Tykwer: Natürlich ist das ein Wahnsinn – mit drei Alphatieren und drei Perspektiven. Aber es ist bloss eine Fortsetzung dessen, was ein Film immer ist: eine kollaborative Kunstform. Man ist ständig in Diskussion mit Leuten, die sowieso etwas besser können als man selbst. Die meisten können etwas besser machen als man selbst.
Stimmen Sie ab, wenn Sie sich nicht einig sind?
Von Borries: Wir reden sehr lange. Und wenn man nicht mehr reden möchte, dann muss man einfach sagen: zwei zu eins! So hat man hier zwei Co-Regisseure, die auch einiges besser können. Das anzuerkennen, muss man lernen.
Und der Gewinn aus dieser Lehre?
Von Borries: Wenn das alle drei anerkennen, hat das zur Folge, dass die Schwächen, die man hat, ausgeglichen werden von den Stärken der anderen. Das ist fast ein bisschen bedrohlich für die Vorstellung, wenn man wieder allein dasitzt.
Bleibt überhaupt Platz für eigene Projekte?
Henk Handloegten: Im neuen Jahr hoffentlich schon.
Von Borries: Wir haben alle Solowünsche. Aber man muss sich nur Paul McCartneys erstes Soloalbum anhören, dann weiss man – man sollte es bleiben lassen.
Handloegten: Du meinst vielleicht Ringo Starrs erstes Album. Das von Paul ist okay. Es gibt da allerdings ein vierminütiges Schlagzeugsolo von ihm …
Das funktionierte aber auch nur, weil «Babylon Berlin» schon bei der Premiere 2017 beste Kritiken bekam: «Hier kommt die TV-Serie, auf die alle seit Jahren warten und die der angeknacksten deutschen Fernsehseele endlich Erlösung bringen könnte.» («NZZ») Und es funktionierte nur deshalb, weil die Serie spätestens mit der Free-TV-Premiere 2018 auf ARD, ORF und SRF ein Millionenpublikum erreichte.
Gute Vorlage, bessere Umsetzung, beste Schauspieler: Das ist das Erfolgsrezept von «Babylon Berlin». Neben grossartigen Darstellerinnen und Darstellern wie Hannah Herzsprung (38), Leonie Benesch (28), Lars Eidinger (44) und Udo Samel (66) stechen vor allem Volker Bruch (39) und Liv Lisa Fries (29) in ihren Hauptrollen hervor.
Hustensaft Heroin fürs Nervenkostüm
Fries gibt eine forsch-fröhliche Charlotte Ritter, die aus einfachsten Berliner Verhältnissen kommt und mit ihren Schwestern in einer Mietskaserne lebt. Als Stenotypistin, Gelegenheitsprostituierte und schliesslich Kriminalassistentin versucht sie sich aus der Gosse herauszuarbeiten und in der Männerwelt zu behaupten.
Und, haben Frauen heute mehr Rechte, Liv Lisa Fries? «Auf jeden Fall mehr, aber noch nicht genug», sagt die Berliner Schauspielerin auf dem roten Teppich zur Weltpremiere gegenüber BLICK. Wo reicht es nicht? «Es fehlt immer noch gleiche Bezahlung», sagt sie bestimmt.
Bruch spielt den grüblerisch-tiefsinnigen Kriminalkommissar Gereon Rath, der aus Köln nach Berlin abkommandiert wurde und mit dem Hustensaft Heroin (ja, den gabs damals von Bayer!) sein vom Weltkrieg zerrüttetes Nervenkostüm beruhigen muss. Regisseur Achim vom Borries sagt zu Bruchs Rath-Darstellung: «Niemand würde gucken, wenn er ein flockiger, lockiger Jüngling wäre, der einen Scherz nach dem andern macht.»
Und, wie stark haben Sie die Rolle des Gereon Rath verinnerlicht, Volker Bruch? «Man hat viel Zeit miteinander verbracht und sich dabei kennengelernt», sagt der Münchner Schauspieler auf dem roten Teppich lakonisch. «Insofern: Wir verstehen uns ganz gut.»
Einkehr statt Ausgang
Auch die Zuschauer lernen Gereon Rath in der dritten Staffel verstehen. «Ich nehme an, man merkt, wie wir an den Figuren rütteln, uns bei ihnen einnisten», sagt Regisseur von Borries. Die dritte Staffel biete die Chance, auf einem Niveau einzusteigen, wo man nicht mehr jede Person einführen müsse. «Wir versuchen der Seele der Figuren auf die Spur zu kommen.»
Einkehr statt Ausgang: Vorbei die Zeiten der ausgelassenen Partys im Vergnügungslokal Moka Efti, das in der dritten Staffel wegen eines Wasserschadens stillsteht. «Aber wir sind jetzt im Filmstudio Babelsberg – das ist nicht ohne Glamour», sagt Regisseur Tykwer fast ein bisschen entschuldigend.
Dorthin, ins Hollywood Europas südlich von Berlin, muss Kriminalkommissar Rath: Eine Schauspielerin und Sängerin ist bei ersten Tonfilmaufnahmen zu Tode gekommen – erschlagen durch einen herabfallenden Scheinwerfer. Schnell findet Rath heraus: Die Schrauben zur Befestigung des schweren Leuchtkörpers hat jemand mutwillig gelockert. Wer ist schuld am Tod? Und was hat es mit dem Phantom auf sich, das immer wieder hinter den Kulissen vorbeihuscht?
«Düster und schattenhaft» sei die neue Staffel, heisst es in ersten Kritiken. Düster auch deshalb, weil die zwölf neuen Folgen geprägt sind von zwei historisch verbürgten Ereignissen im Oktober 1929: dem Tod des deutschen Aussenministers und Friedensnobelpreisträgers Gustav Stresemann (1878–1929) zu Beginn des Monats und dem Start der Weltwirtschaftskrise am Ende.
«Lügenpresse» heute wie damals
Das Elend führte bekanntlich zur Nazi-Diktatur. Ein Menetekel, wohin uns die eben angebrochene Dekade führen könnte? Der Schriftsteller Volker Kutscher winkt ab und schreibt in seinem «Spiegel»-Essay: «Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie lässt uns die Gegenwart klarer sehen.»
So fällt in der zweiten Folge der neuen Staffel einmal der Begriff «Lügenpresse», ein Wort, das heute häufig an Demonstrationen der Rechtsaussen-Partei AfD fällt. Wiederholen sich hier die 20er-Jahre also doch? «Es gibt Ähnlichkeiten», sagt Regisseur von Borries, «aber wir versuchen auf gar keinen Fall etwas von heute ins Gestern zu pflanzen.»
Denn «Lügenpresse» ist ein Begriff aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, den schon Hitler verwendet hatte. Als Handloegten unlängst einen Text las, in dem der Schreiber behauptete, «Lügenpresse» sei ein neuer Begriff, ärgerte er sich deshalb. «Da dachte ich: Das Einzige, was wir machen können, ist, das Wort im Film zu erwähnen», sagt er.
Von Borries fügt ernüchtert an: «Die meisten werden denken, das haben wir uns ausgedacht.» Seis drum.
Dritte Staffel «Babylon Berlin» ab 24. Januar auf Sky Show im Stream verfügbar; die Free-TV-Ausstrahlung folgt im Herbst 2020 auf SRF, ARD und ORF.