Krimikolumne «Tatort»
Katzengoldene Jugend

Kommissar Falke trauert seiner Jugend auf der Hamburger Reeperbahn nach.
Publiziert: 09.02.2020 um 18:19 Uhr
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Autorin Silvia Tschui sah in diesem «Tatort» einen gewissen Spiegel.
Foto: Simone Pengel
Silvia Tschui

Es gibt – oder besser: gab – in der Schweiz bei Personen meines Alters und in meiner «Blase» eine Art Elendsverklärung. Als ich zwanzig war, konnte man, wenn man sich in einem Kunsti-/Uni-Umfeld in Zürich bewegte, eigentlich nur an einem Ort wohnen: rund um die Langstrasse. Da, vor der Gentrifizierung, mitten zwischen Junkieelend, Prostitution und abgefuckten Bars, so schien uns privilegierten Vorstadtkids, herrschte das wahre, krasse Leben. Natürlich hatten wir aber Perspektiven und die sichere Bank von Mami und Papi im Hintergrund – und stets die Möglichkeit wegzuziehen, falls es dann doch echli zu krass hätte werden sollen.

Fehlgeleitete Kiez-Nostalgie

Aus einer solchen zooartigen Touristenwarte sieht auch Kommissar Falke (Wotan Wilke Möhring) das Hamburger Langstrasse-Äquivalent, die Reeperbahn. Einst hat er als Fast-noch-Jugendlicher im Kiez als Türsteher gearbeitet – vor der «richtigen» Laufbahn als Kriminaler. Als nun der Besitzer eines grossen Puffs ermordet wird, trifft er auf seinen alten Kiezfreund und Mentor Lübke. Der war die rechte Hand des Ermordeten. Lang sieht es aus, als ob ein schwelender Krieg zwischen alteingesessenen Puffbetreibern und aggressiveren neueren Gangs Grund für die Ermordung ist – und Falke, in Nostalgie für vergangene Zeiten schwelgend, sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht.

Der da wäre: Elend ist Elend, ganz gleich, ob man sich selber eine romantisierende Haltung dazu leisten kann. Und: Bessere Gesellschaftsschichten sind genauso abgefuckt und krass, sie verstecken es nur besser. Das hätte uns vor 20 Jahren auch mal jemand sagen sollen.

«Tatort: Die goldene Zeit», SRF 1, 20.05 Uhr
Wertung: Vier von fünf.

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