Psychologisch interessant sind Krimifiguren – eigentlich überhaupt erfundene Figuren, ob in Literatur, Film oder Theater – oft dann, wenn sie moralisch nicht ganz eindeutig in eine Schublade gesteckt werden können. Bestes Beispiel: der neue Kino-«Joker» mit Joaquin Phoenix (45). Rein abgrundtief böse Figuren – etwa à la Hannibal Lecter in «Das Schweigen der Lämmer» – sind hingegen interessant, wenn rundum die Geschichte wahnsinnig spannend ist, die Figur auch sonst Aussergewöhnliches zu bieten hat oder irgendwie gestört ist.
Was hingegen selten funktioniert: Die Figur ist böse, weil sie eben böse ist. Und daran leidet die «Tatort»-Folge «Kein Mitleid, keine Gnade» etwas. Das Jugenddrama um Liebe in all ihren Facetten, angereichert mit der manchmal zerstörerischen Kraft des Internets, gekoppelt mit Homophobie und Eifersucht und den allgegenwärtigen Kameras auf Smartphones, ist streckenweise durchaus spannend: Ein 17-Jähriger liegt tot am Fluss, seine Schulkollegen sind der Polizei gegenüber feindselig eingestellt, Ballauf gerät schwer in die Bredouille und zweifelt in der Folge an seinen Kollegen.
Hoffentlich ist das nicht die Realität
Nur bleibt – zumindest bei mir – am Ende ein schaler Nachgeschmack. So böse, aus vergleichsweise nichtigem Grund, kann jemand eigentlich gar nicht sein. Der Täter-Charakter scheint entweder ziemlich platt geschrieben. Oder dann bin ich mir – ich bin Mitte 40 – des Verrohungsgrads von Teilen der Jugend, die mit Internetpornografie und Gewaltvideos aufgewachsen ist, einfach nicht bewusst. Ich hoffe, es ist das Erstere.
Tatort «Kein Mitleid, keine Gnade» SRF1, 20.05
Wertung: Dreieinhalb von fünf