Sie ist erst 28 Jahre alt, hat ein Faible für Musik, Malerei und Theater. Die in Luzern lebende Zugerin Olivia Röllin ist das neue Gesicht der Sendung «Sternstunde Religion». Im Gespräch mit BLICK erklärt sie, welche Bedeutung Ostern im Kontext von Katastrophen und Kommerz hat.
BLICK: Vor Ostern wird immer wieder beklagt, wir lebten in einer gottlosen, religionsentfremdeten Welt. Dann brennt Notre-Dame nieder und Millionen sind auf einen Schlag tief bewegt. Was passiert in so einer Situation mit uns?
Olivia Röllin: Mir scheint, die Menschen sind nicht nur deshalb bewegt, weil dies ein traditionsreiches Gotteshaus ist, sondern weil Bauwerke wie die Notre-Dame genauso wie etwa die Pyramiden eine Ewigkeit repräsentieren, die im Kontrast zur menschlichen Endlichkeit stehen. Als Mensch hat man in einem solchen Bauwerk ein Fenster in die Vergangenheit und gleichzeitig eines in die Zukunft, denn diese Monumente werden auch unsere begrenzte Existenz überleben. Wenn also diese Zeichen der Unendlichkeit plötzlich selbst Fragilität zeigen, dann werden wir existenziell auf uns selbst zurückgeworfen.
Welche Emotionen verbinden Sie mit dem Pariser Wahrzeichen?
Mein erster Gedanke galt wohl all den Menschen, die knapp 200 Jahre lang an dieser Kathedrale gebaut hatten. Es berührte mich, zu wissen, dass ihre Handschrift an diesem Monument durch ein Feuer ausradiert wurde. Ich habe es also als Parabel für unsere alle Endlichkeit gelesen. Andererseits steht dieses Gebäude für viele Menschen für ihre tiefsten Sehnsüchte, es stirbt also ein Stück Hoffnung für sie – das bewegte mich genauso.
Sie sind erst 28 Jahre alt – eine Moderatorin der «Sternstunde Religion» stellt man sich älter vor. Woher kommt Ihr Interesse am Kontemplativen?
Seit ich mich bewusst erinnern kann, haben mich philosophische Fragen umgetrieben und ich hatte ein grosses Interesse an den verschiedenen Religionen. In Bezug auf die Philosophie scheint es mir aber zentral, dass die Kontemplation auch in die Praxis umgewandelt wird. Im Endeffekt stellt man sich als Mensch doch stets die Frage, was ein gutes Leben ist. Zu dieser Frage versuche ich mich nicht passiv, sondern aktiv zu verhalten.
Wie reagieren Ihre Freundinnen und Freunde auf Ihr spezielles Interesse?
Dass meine Interessen speziell seien, ist Ihre Meinung. Für mich sind sie existenziell.
Kommen wir auf Ostern zurück – die Auferstehung Christi. Was kann dieses Fest uns in der heutigen Welt vermitteln?
Ich würde dafür plädieren, dass uns Ostern eine Positionierung zu unserer eigenen Sterblichkeit abringt. Der Philosoph Martin Heidegger spricht hier vom «Sein zum Tode». Unser Leben findet statt zwischen Geburt und Tod, wir haben also einen begrenzten Entscheidungsraum. Dennoch leben wir oft nicht im Bewusstsein dieser Begrenzung. Wenn der Tod ins Leben rückreflektiert würde, wir also unsere Sterblichkeit aktiv annehmen, dann hat der Tod schon jetzt nicht mehr das letzte Wort. Dies ist vielleicht schon so etwas wie eine Sensibilisierung für die Osterbotschaft.
Sind wir noch fähig, die tiefere Bedeutung von Feiertagen zu verstehen? Oder nehmen wir sie nur mehr wahr, wenn wir sie mit weltlichen Ereignissen in Verbindung bringen – mit Events, Kommerz oder Reisen und schlicht als arbeitsfreie Zeit?
Inzwischen sind diverse Feiertage zu weltlichen Festen geworden. Überdies wollen Freidenker und Jungsozialisten christliche Feiertage abschaffen beziehungsweise von deren religiöser Konnotation befreien. Zu der tieferen Bedeutung eines Feiertags kann man aber auch vordringen, wenn man ihn als Kulturtechnik versteht – das heisst als Raum, um sich gewissen Themen und Problemen sowie existenziellen Fragen zuzuwenden. Damit durchbricht man einerseits den Alltag und öffnet sich andererseits für das Aussergewöhnliche.
Glauben Sie, dass junge Leute noch wissen, was Karfreitag und Ostern bedeuten?
In der Schweiz leben rund 70 Prozent Christen. Davon besuchen gemäss Statistiken etwas über die Hälfte sowohl der Katholiken als auch der Protestanten zwischen ein- bis fünfmal pro Jahr einen Gottesdienst. Bei den Evangelikalen ist diese Zahl noch viel höher. Es ist davon auszugehen, dass diese Besuche zu den hohen christlichen Feiertagen – also sicherlich zu den Ostertagen, aber auch an Weihnachten – stattfinden. Entsprechend gehe ich davon aus, dass zumindest diese Feiertage eingeordnet werden können.
Bei Pfingsten wird es schon schwieriger.
Da gebe ich Ihnen recht. Beim Pfingstfest ist dies schwierig, da es bisher ja auch kommerziell nicht ausgeschlachtet wurde.
Ist Jesus tatsächlich auferstanden oder muss man dies als rein symbolischen Akt verstehen?
Mit Ihrer Frage legen Sie einen Finger in eine Wunde. Einerseits ist der Glaube an die Auferstehung für das Christentum zentral und massgeblich – sie erst ist ja die Frohe Botschaft, das heisst das Evangelium. Der dänische Philosoph und Theologe Søren Kierkegaard schrieb, dass sich an der Frage der Auferstehung das Christentum entscheide. Damit nimmt er Paulus’ Botschaft im Korintherbrief auf, dass Predigt und Glaube vergeblich seien, wenn Christus nicht auferstanden ist. Einerseits ist die Auferstehung also das zentrale Element christlichen Glaubens, und andererseits haben Umfragen ergeben, dass einige Christen zu diesem Glauben nicht mehr willens sind. Der Unglaublichkeit der Auferstehung waren sich schon die frühen Christen bewusst, von Tertullian kommt ja der Satz: «Ich glaube, weil es unglaublich ist.»
Sind Sie eigentlich katholisch oder reformiert? Wie glauben Sie?
Ich äussere mich überhaupt nicht zum Thema persönlicher Glaube, weder affirmativ noch aversiv. Die Einengung auf zwei christliche Konfessionen ist also inkorrekt. Ihre Frage muss ich auf drei Ebenen beantworten. Erstens: Nur weil ich eine Sendung mit dem Namen «Sternstunde Religion» moderiere, heisst das nicht, dass ich mich persönlich und öffentlich zu irgendetwas bekennen muss. Zweitens: Ich pflege in meiner Position eine möglichst neutrale Herangehensweise an Religionen, ich beobachte, hinterfrage, beschreibe. Diese Offenheit möchte ich mir bewahren.
Und drittens?
Ich empfinde die Frage per se als verfehlt, zumal sie insinuiert, dass Glauben eine klare Ja/Nein-Antwort zuliesse. Nach allem, was ich über praktisch gelebte Religion weiss, ist der Glaube keine Konstante, sondern muss sich im Ringen um Gott stets neu grundieren.
Verraten Sie uns, wie Sie ganz persönlich glauben?
Ich verrate Ihnen nicht einmal, ob ich überhaupt glaube!
Welche Symbolik hat das Wort Auferstehung in der heutigen Zeit?
Ich würde darauf ähnlich antworten, wie auf Ihre vorhergehende Frau zu Jesus’ Auferstehung, wobei natürlich nicht nur das Christentum, sondern auch das Judentum und der Islam die Idee der Auferstehung kennen. En vogue ist zunehmend auch die Vorstellung der Reinkarnation, die man etwa im Hinduismus findet. Der Mensch sucht sich also weiterhin Erklärungen und Vorstellungsmodelle für sein Ableben und den Verbleib seines Geistes, wenn er einst nicht mehr sein wird. Der Wunsch nach Unsterblichkeit bleibt bestehen.
Was kann uns Ostern im Zusammenhang mit der Auferstehung in der heutigen Welt vermitteln?
Ich würde dafür plädieren, dass uns Ostern eine Positionierung zu unserer eigenen Sterblichkeit abringt. Der Philosoph Martin Heidegger spricht hier vom «Sein zum Tode». Unser Leben findet statt zwischen Geburt und Tod, wir haben also einen begrenzten Entscheidungsraum. Dennoch leben wir oft nicht im Bewusstsein dieser Begrenzung.
Bei seinem Segen «urbi et orbi», gerichtet an die Stadt und den Erdkreis, appelliert der Papst an Ostern immer wieder an den Frieden. Sind das nur schöne Worte, oder kann man damit wirklich etwas verändern?
Es wäre zynisch, dies nicht zu hoffen.
Wenn Sie könnten, was würden Sie den Papst in einem Interview fragen?
Franziskus würde ich fragen: Wird es je eine Päpstin geben?
Wie feiern Sie Ostern persönlich – mit «Eiertütschen» und Osterhasen suchen – oder mit einem Gebet?
Ich bin über Ostern in Wien und werde sicher mindestens irgendwo in einem klassischen Konzert zu finden sein und Schokolade wird später auch nicht fehlen.
Wir müssen sicher aufpassen, wenn wir behaupten würden, es geschähen vor Ostern immer wieder tragische Ereignisse. Aber fragen wir anders: Kann uns das Notre-Dame-Drama helfen, Dinge besser zu verstehen?
Es kann uns helfen, uns dafür zu sensibilisieren, was im Leben wirklich wichtig ist und was nicht. Dies zeigt sich in der starken Solidarisierung, die der Notre-Dame-Brand unter den Menschen ausgelöst hat. Insofern haben Tragödien sicherlich immer so etwas wie ein Klärungspotenzial.
Freuen Sie sich ganz persönlich, dass das Bauwerk wiederauferstehen wird?
Unbedingt.
Olivia Röllin (28) hat in Zürich, München (D) und Wien Religionswissenschaft und Philosophie studiert. Sie pendelt zwischen Luzern und Wien, wo ihr Freund lebt. Dort schreibt sie auch eine Masterarbeit über Friedrich Nietzsche. Seit Anfang 2019 ist sie Moderatorin und Redaktorin der Sendung «Sternstunde Religion».
Olivia Röllin (28) hat in Zürich, München (D) und Wien Religionswissenschaft und Philosophie studiert. Sie pendelt zwischen Luzern und Wien, wo ihr Freund lebt. Dort schreibt sie auch eine Masterarbeit über Friedrich Nietzsche. Seit Anfang 2019 ist sie Moderatorin und Redaktorin der Sendung «Sternstunde Religion».
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