SRF-Chefin Nathalie Wappler
«Es muss nicht immer sofort alles gelingen»

Sie ist seit einem halben Jahr im Amt: SRF-Direktorin Nathalie Wappler (51) erklärt im grossen Interview, was ihr an ihrem neuen Job besonders gefällt. Und weshalb man es nie allen recht machen kann.
Publiziert: 25.08.2019 um 00:33 Uhr
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Aktualisiert: 25.08.2019 um 10:06 Uhr
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Vor Ort an der Front: Nathalie Wappler mit den Schwingerkönigen Jörg Abderhalden und Matthias Sempach (r.).
Foto: Thomas Meier
Christian Dorer und Dominik Hug

Hunderttausende Menschen pilgern ans Eidgenössische Schwing- und Älplerfest nach Zug. Unter ihnen auch Nathalie Wappler (51), seit einem halben Jahr Chefin vom Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Die Managerin trägt ein beiges Wolljäckchen, schwarze Hosen, festes Schuhwerk. Gut gelaunt mischt sie sich unter die Leute, bevor sie sich den Fragen von SonntagsBlick stellt.

Frau Wappler, wie oft waren Sie schon am Eidgenössischen Schwing- und Älplerfest?
Das ist mein erstes Mal. Ich bin fasziniert von den vielen Werten, die hier gepflegt werden: Sportlichkeit, Fairness, Präzision, es geht um Emotionen und um Heimat. Diese Mischung ist lässig, sie macht die Schweiz aus.

SRF ist in Zug mit 40 Leuten vor Ort. Warum ist dieser Anlass so wichtig für Sie?
Das ESAF ist längst nicht mehr nur ein sportliches Grossereignis, sondern auch ein gesellschaftliches. Umfangreich davon zu berichten, gehört zu unserem Service-public-Auftrag. Unsere Strategie beinhaltet, den Schweizer Sport wie auch die Schweizer Kultur so breit wie möglich abzubilden.

Derweil verliert das Schweizer Fernsehen immer mehr sportliche Topanlässe an die Konkurrenz: Die grossen Fussball- und Eishockeyspiele kann man sich nur noch via Pay-TV ansehen. 
In Europa gibt es kaum einen anderen öffentlich-rechtlichen Sender, der in seiner Vielfalt ein so grosses Sportangebot hat. Ausser dem Dienstagsspiel und dem Finalspiel der Champions League konnten wir alle Rechte sichern. Natürlich ist der Verlust schmerzhaft. Fakt ist aber, dass die SRG jährlich für Sportrechte nur 48 Millionen Franken zur Verfügung hat. Es gibt Momente, in denen wir uns einfach sagen müssen: Da bieten wir nicht mehr mit. Zum Vergleich: Der Reingewinn der Swisscom, der Teleclub gehört, ist im Jahr etwa gleich gross wie das Gesamtbudget der SRG! 

Das Schweizer Fernsehen präsentiert uns vornehmlich eine ländliche Schweiz: «Landfrauenküche», «Donnschtig-Jass», «SRF bi de Lüt». Sind Sie ein Heile-Welt-Sender?
Ich finde nicht, dass wir nur auf ländliche Sendungen setzen. Wir sind genauso oft in mittleren und grösseren Schweizer Städten unterwegs, vor allem in unseren Informationssendungen. Aber auch viele unserer Filme zeigen die urbane Schweiz. Ich denke da beispielsweise an «Platzspitz-Baby», den SRF koproduziert und der 2020 in die Kinos kommt.

Hand aufs Herz: Ein 16-jähriger Aargauer erkennt sich nicht wieder, wenn er SRF schaut.
Wir machen ja nicht nur Fernsehen, wir sind auch online aktiv. Unsere Inhalte sind auf Youtube abrufbar. Auf Instagram berichten wir von den Open Airs. Der Vorwurf, wir würden die Jungen nicht mehr erreichen, ist schlichtweg falsch. Wir sind auch bei der jüngeren Zielgruppe praktisch immer Marktführer. Aber gewiss müssen wir uns Gedanken machen, wie man uns wahrnimmt.

Früher zogen grosse Samstagabend-Kisten wie «The Voice» oder «MusicStar» ein junges Publikum an. Warum lassen Sie zu, dass die nächste «Voice»-Staffel beim Konkurrenten 3+ ausgestrahlt wird?
Unsere Konzession schreibt vor, dass wir uns von den Privatsendern unterscheiden müssen. Das hat zur Folge, dass wir uns von den grossen internationalen Shows verabschieden und stattdessen eigenständige Formate entwickeln, etwa «Es geschah am...» oder Nik Hartmanns neue Sendung «Reise mitohne Hindernis». Wir müssen und wollen eigen sein, um uns von der Konkurrenz abzuheben.

Sie sind seit einem halben Jahr im Amt. Haben Sie Freude an Ihrem Job?
Und wie! Das Spannungsfeld zwischen Schwingfest, Kultur und Information ist riesig, diese Vielfalt auch zwischen Fernsehen, Radio und Online begeistert mich immer wieder. Ich habe einen absoluten Traumjob!

Kommen Sie noch zu Ihrem Hobby, dem Klavierspielen?
Nicht mehr so oft, wie ich gerne möchte. Dafür finde ich Erfüllung anderswo. Wenn man diesen Job machen will, muss man Menschen und Medien gerne haben. Deshalb erachte ich es als Privileg, SRF-Chefin sein zu dürfen. Ich habe jedenfalls noch keine Sekunde an einen Plan B gedacht (lacht).

Als Kulturchefin von SRF waren Sie bekannt für taffe Entscheide und bekamen deshalb den Übernamen «das Fallbeil vom Leutschenbach». Ist es Ihre Stärke, dass Sie unpopuläre Entscheide treffen können?
Einen Mann hätte man wahrscheinlich kaum so betitelt. Es hiesse, er sei durchsetzungsstark und konsequent, er scheue sich nicht, schwere Entscheide zu fällen. Es wird also positiv ausgelegt. Frauen werden bei denselben Eigenschaften oft als kalt hingestellt. Das kommt wahrscheinlich daher, weil es immer noch nur sehr wenige Frauen in Führungspositionen gibt.

Sie würden sich also nicht als «Fallbeil» bezeichnen?
Sicher nicht! In einer gewissen Position muss man ab und zu einen unpopulären Entscheid treffen. Ich glaube, dass ich diese stets wohl überlegt und mit einer grossen Transparenz getroffen habe, jedenfalls nie aus Willkür heraus. Gleichzeitig kann man es nie allen recht machen. Und das ist auch okay, solange man den inneren Kompass nicht verliert.

Der innere Kompass?
Man darf nie vergessen, wofür man einsteht und wofür das Unternehmen steht. Was ist wichtig, was bringt einen weiter – dafür muss man manche Kämpfe in Kauf nehmen. 

Wie ist Ihr innerer Kompass ausgerichtet?
Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der Service public wichtig ist, gerade in einem Zeitalter von Fake News und Filterblasen. Es ist wichtig, dass die Menschen unabhängig, ausgeglichen und vielfältig informiert werden, dazu gehört Bildung und Unterhaltung, Sport und Kultur. 

Warum haben Sie als Erstes dem politischen Druck nachgegeben und den viel kritisierten Umzug der Radiostudios von Bern nach Zürich abgeblasen?
Das haben wir gar nicht! Der Audio-Bereich ist stark im Wandel. Um da vorne mitmischen zu können, entwickeln wir momentan eine übergreifende Audio-Strategie, und zwar standortunabhängig. Ich habe der Projektgruppe einige Eckpunkte vorgegeben, einer davon ist, dass Radio SRF 4 News nach Zürich in den neuen Newsroom ziehen sollte.

Aber die Sendungen «Echo der Zeit», «Tagesgespräch» oder «Rendez-vous» bleiben in Bern.
Auch das wird immer noch geprüft. Definitiv entschieden ist noch nichts. Ich kann nur eines sagen: Mir ist es wichtig, dass wir die regionale Verankerung beibehalten. Eine solche gehört genauso zum Service public wie die Berichterstattung vom Schwingfest.

Wo spüren Sie politischen Druck?
Es gibt ganz viele Interessengruppen, die mit mir zu Mittag essen wollen. Das wusste ich schon, bevor ich diese Stelle antrat. Zu meinem Job gehört es, diesen Druck mit diplomatischem Geschick auszuhalten.

Zu Ihrem Job gehört auch, dass Sie hundert Millionen Franken sparen müssen. Das sind bloss sechs Prozent Ihres Budgets. Eigentlich kein Problem, oder?
Wir sind daran, die hundert Millionen einzusparen, wir werden das auch schaffen. Was aber eine grosse Herausforderung darstellt, ist die stark abnehmende Werbung. Die Werbeeinnahmen sind gegen zehn Prozent unter den Erwartungen. Die Situation ist dramatischer als angenommen. Wir versuchen, dass unsere Programme davon so wenig tangiert werden wie möglich. 

Wie man am ausgedünnten SRF-Sommerprogramm sehen kann. Zur Primetime strahlen Sie alte «Traumschiff»-Folgen aus.
So alt waren die drei «Traumschiff»-Folgen am Samstagabend nicht. Sie waren von 2017 und 2018, und damit die neusten Folgen, die wir einkaufen konnten. Es gab auch diesen Sommer tolle Formate wie «Geboren am ...» oder die Spezialwochen bei «Schweiz aktuell». Aber klar, wir haben nicht mehr so viele Mittel wie früher. 

Ein Problem ist der Sonntagabend: Nach dem Abgang von «Giacobbo/Müller» verloren Sie massenhaft Zuschauer. Halten Sie am neuen Comedy-Konzept fest?
Comedy braucht Zeit. Es muss nicht immer sofort alles gelingen. Ich habe den Schnauf, etwas auszuhalten. Ich sehe am Sonntagabend vorerst keinen Handlungsbedarf, wie auch nicht bei anderen Sendungen. Ich bin überzeugt: Die Menschen haben unsere Moderatoren gern, sie haben auch unsere Programme gern. Wir sind bei den Leuten. 

Eine gelungene SRF-Eigenproduktion ist die Krimi-Reihe «Wilder».
Oh ja. Da planen wir bereits die dritte Staffel. Ich freue mich extrem darauf. Aber auch auf unsere neue Historien-Serie «Frieden», die im nächsten Jahr ganz bestimmt die Schweiz beschäftigen wird. 

Das sind alles Sendungen, die von Ihrem Vorgänger konzipiert worden sind. Wann kommt die erste Wappler-Show?
Da muss man sich noch etwas gedulden. Ich bin keine, die dreinschiesst, wenn alles rundläuft. Meine Aufgabe ist es, SRF strategisch für die Zukunft zu wappnen. Mit welchen Inhalten wir das schaffen, mit dieser Frage beschäftigen sich ganz viele tolle Kolleginnen und Kollegen, denen ich voll vertraue. 

Sehen die Menschen in zehn Jahren noch fern?
Es wird auch in zehn Jahren noch lineares Fernsehen geben. Aber sicherlich wird der zeitversetzte Konsum enorm zugenommen haben, ob auf dem Smartphone oder auf Set-Top-Boxen. 

Was halten Sie von Blick TV, das 2020 startet?
Ich bin extrem neugierig und wünsche diesem tollen Projekt alles Glück. Wir brauchen eine gesunde Medienvielfalt, auch einen gesunden Wettbewerb. Das ist gut für unsere Demokratie.

Hart, aber herzlich

Nathalie Wappler (51) ist in Kreuzlingen TG aufgewachsen. Nach dem Studium von Geschichte, Politologie und Germanistik arbeitete sie bei 3sat und beim ZDF. 2005 kam sie zum Schweizer Fernsehen, ab 2011 war sie Kulturchefin. Eine ihrer ersten Amtshandlungen: Sie schoss die erste Folge des Schweizer «Tatorts» nach zehn Jahren ab, weil er zu viele «plumpe Schweizer Klischees» enthielt und nicht mit einer tollen Story glänzte. SRF-intern wurde sie danach als «Fallbeil vom Leutschenbach» betitelt. 2016 wechselte die Hobby-Pianistin als Programmdirektorin zum MDR. Im April 2019 kehrte sie als neue SRF-Direktorin in die Schweiz zurück. Ihr Ruf: Hart, aber herzlich. Wappler ist seit 2009 mit dem Berliner Radio-Mann Wolfgang Hagen (69) verheiratet.

Nathalie Wappler (51) ist in Kreuzlingen TG aufgewachsen. Nach dem Studium von Geschichte, Politologie und Germanistik arbeitete sie bei 3sat und beim ZDF. 2005 kam sie zum Schweizer Fernsehen, ab 2011 war sie Kulturchefin. Eine ihrer ersten Amtshandlungen: Sie schoss die erste Folge des Schweizer «Tatorts» nach zehn Jahren ab, weil er zu viele «plumpe Schweizer Klischees» enthielt und nicht mit einer tollen Story glänzte. SRF-intern wurde sie danach als «Fallbeil vom Leutschenbach» betitelt. 2016 wechselte die Hobby-Pianistin als Programmdirektorin zum MDR. Im April 2019 kehrte sie als neue SRF-Direktorin in die Schweiz zurück. Ihr Ruf: Hart, aber herzlich. Wappler ist seit 2009 mit dem Berliner Radio-Mann Wolfgang Hagen (69) verheiratet.

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