Während die Bevölkerung vor Kälte schlottert, probt SRF schon mal das Frühlingserwachen. «Seitentriebe» heisst die neue achtteilige Serie, die ab kommendem Montag läuft (SRF zwei, ab 20.10 Uhr, jeweils Doppelfolgen). Die zentrale Frage darin: Wie entwickelt sich die Sexualität in einer schon länger dauernden Paarbeziehung, wenn der erste Liebeszauber längst verflogen ist? Die in Zürich lebende, türkischstämmige Autorin und Regisseurin Güzin Kar (46) ist eine Spezialistin für solche Fälle, wie sie unter anderem im preisgekrönten Film «Fliegende Fische müssen ins Meer» 2011 mit Bravour bewiesen hat.
Munteres Treiben in der Nachbarschaft
Drei Paare stehen in «Seitentriebe» im Fokus, zuvorderst die seit zehn Jahren verheirateten Nele und Gianni, die ihre Therapiesitzungen direkt in die Kamera sprechen und die Zuschauer so zu Komplizen machen. Zu beichten und erklären gibt es vieles. Fantasien, Verlockungen und tatsächliche Ereignisse ausserhalb der Beziehung ergeben ein munteres Treiben, das aber durchaus Risikopotenzial beinhaltet. Da wäre beispielsweise der Nachbarsbub Timo, mit dessen Mutter zusammen Nele arbeitet. Von Folge 1 an fällt Timo mit offenen Avancen auf, und es kommt sogar zu einem ersten Kuss.
Wollte Kar hier ein gängiges Muster (älterer Typ liebt junge Frau) unterlaufen und ein Tabu aufbrechen? «In meinen Filmen und Büchern tauchen immer wieder ungewöhnliche Paarkonstellationen auf. In ‹Fliegende Fische› zeige ich eine 15-Jährige, die einen erwachsenen Mann liebt. Das hat damals niemanden gestört. Die umgekehrte Variante scheint viel mehr Leute auf den Plan zu rufen.» Dabei habe sie nicht aus Lust an der Provokation gewählt, sondern aus dramaturgischen Gründen. «Durch die Verbindung zwischen Timo und Nele steht eine Frauenfreundschaft auf dem Spiel.»
Die Episode an der Bushaltestelle
Bezüge zu ihren eigenen, persönlichen Ansichten sind gemäss Kar eher nicht herzustellen, auch wenn sie aus der Vergangenheit heraus konstruiert werden könnten. So erzählte sie einst in der Tele-Züri-Sendung «Boser & Böser» von einem jüngeren Mann, der sie an einer Bushaltestelle angesprochen habe. «Ich sagte ihm: Hey, cool, mach weiter! Das ist super!» Ein Herziger sei er gewesen. Und sie habe ihm gesagt, dass sie seine Anmachtour super finde. «Denn er spielte nicht diese Spiele von wegen Komplimente und gehen wir in eine Bar?» – eben nicht diese «Lügengeschichten. Er sagte klar: Ich suche eine Frau für eine Nacht, hast du Lust? Ich finde das irrsinnig.»
Der Krimiautor ist nicht zwingend der Mörder
Kar betont, dass die Inhalte von «Seitentriebe» rein auf ihrer Recherche und Erfindung basieren und also Autorenschaft und Story strikt getrennt werden müssen – so, wie ein Krimiautor nicht zwingend ein Mörder ist. Auch SRF-Fiktionschef Urs Fitze (60) betont, dass es nicht darum gegangen sei, Tabus aufzubrechen oder zu schockieren: «Wir waren uns sehr einig, dass wir nicht zu viele Sexszenen zeigen wollen. Es ist ja keine Serie über Sex, sondern über Beziehungen.»