Glücklich verheiratet und erfolgreich im Immobiliengeschäft – es läuft rund für Sheila und Joel Hammond. Auch an diesem sonnigen Frühlingstag, als sie einem gut betuchten Paar ein prächtiges Haus zum Kauf anbieten. Bis Sheila unvermittelt und aus voller Kehle auf den edlen Teppichboden kotzt. Ein giftgrüner Strahl ergiesst sich aus ihrem hübschen Mund – in Mengen, die man der zierlichen Frau unmöglich zugetraut hätte.
Es ist der brachiale Auftakt zu der erfolgreichen Netflix-Serie «Santa Clarita Diet» mit Drew Barrymore (44) in der Hauptrolle. Seit Ende März läuft die dritte Staffel auf der Streaming-Plattform. Ob eine vierte folgt, ist noch nicht entschieden. Zu hoffen ist es auf jeden Fall. Denn «Santa Clarita Diet» ist irritierend absurd und umwerfend komisch.
Nach Sheilas Brechanfall stellt sich heraus: Sie ist jetzt ein Zombie! – Na und? Gatte Joel und Tochter Abby nehmen es mit einer gesunden Portion Gleichmut zur Kenntnis. Man wird sich schon einrichten. Aber sie muss jetzt Menschen fressen! – Was sonst? Man wird schon welche finden.
Zombies hauen keinen mehr aus den Socken. Weder die Hammonds noch die Zuschauer. Genau darum funktioniert «Santa Clarita Diet» so gut. Die Serie kommt wie eine Familien-Sitcom daher. Mit der kleinen Abweichung, dass die Mutter eben ein menschenfressender Zombie ist. Und Zombies tummeln sich mittlerweile wie einst Cowboys und Indianer auf der Leinwand. Sie sind überall. Die Zuschauer sind also auf die eruptiven Gewaltausbrüche vorbereitet, die die Kleinstadt-Idylle von Santa Clarita regelmässig erschüttern. Und sie können mit den parodistischen Bezügen etwas anfangen, mit denen die Serie das eigene Genre aufs Korn nimmt. Man kennt schliesslich seine Pappenheimer.
Zombie-Motiv als Aufhänger für philosophische Reflexionen
Zum ersten Mal tauchten die untoten Menschenfresser vor einem halben Jahrhundert im Kino auf. Und zwar als eine genuin filmische Erfindung. Regisseur George A. Romero (1940–2017) katapultierte sie in «Night of the Living Dead» (1968) in die Filmgeschichte. Ein neues Motiv des Horror-Genres: Untote, die nach einer Apokalypse die Herrschaft über die Welt übernehmen und die letzten überlebenden Menschen angreifen.
«Night of the Living Dead» wurde zur Vorlage unzähliger Zombiestreifen. Meistens handelte es sich um B-Movies: Horror-Trash-Filme für Eingefleischte. In den Mainstream schafften es die Biester erst nach der Jahrtausendwende. Der erste Blockbuster gelang Danny Boyle (62) mit «28 Days Later» (2002). Bis dahin waren die Zombies wiederbelebte Tote gewesen. Jetzt ging es um lebende Menschen, die durch Pandemien zu infizierten Bestien mutierten. Die Filme wurden realitätsnäher und verzichteten auf metaphysische und religiöse Bezüge.
2010 feierte die US-Serie «The Walking Dead» Premiere. Sie löste eine Zombiewelle aus – häufig im Serienformat, das mit den auf-kommenden Streaming-Plattformen ebenfalls zu boomen begann. Warum dieser Fresser-Hype? «In Horrorfilmen kommt zum Vorschein, was die Gesellschaft verdrängt», erklärt der Filmwissenschaftler Simon Spiegel (41) von der Universität Zürich. «Sie greifen auf, was in anderen Genres nicht gezeigt werden darf.»
Schon der erste Zombiefilm «Night of the Living Dead» ist eine Parabel auf den grassierenden Rassismus im Amerika der Sechzigerjahre: Am Ende ist es der Schwarze, der gelyncht wird, obwohl er zu den Guten gehört. Und die Serie «The Walking Dead» lenkt den Blick explizit weg von den einigermassen harmlos umherirrenden Untoten auf die Menschen, die in einer postapokalyptischen Welt mit existenziellen Fragen des Zusammenlebens und der Moral konfrontiert werden. Das Zombiemotiv wird zum Aufhänger für soziologische und philosophische Reflexionen zur Spezies Mensch.
Drew Barrymore macht den Zombie zur Identifikationsfigur
Der britische Regisseur Colm McCarthy (46) hat ebenfalls solche Überlegungen angestellt. Im Film «The Girl with All the Gifts» (2016) wirft er die Frage auf: Müssen am Schluss eigentlich immer die Menschen gewinnen? Nein, findet McCarthy. Und lässt sie sang- und klanglos untergehen.
Auf ein konkretes gesellschaftliches Problem zoomt schliesslich der Horrorthriller «US», der seit März in den Kinos läuft. Im Untergrund leben untote Doppelgänger der Amerikaner und drängen an die frische Luft. Die Symbolik ist deutlich und gewollt. Regisseur Jordan Peele (40) zeigt die wirtschaftlich Abgehängten, die sich zurückholen, was ihnen zusteht.
Die Frage, woher denn die Untoten kommen, wurde über die Jahrzehnte ganz unterschiedlich beantwortet. Waren es zunächst übernatürliche Ursachen, die zur Entstehung der Biester führten, sind es später atomare Katastrophen, Pandemien und schiefgelaufene Experimente. «Damit werden die Menschen selbst für die Bedrohung ihrer Existenz verantwortlich gemacht», erklärt Simon Spiegel.
In der 2015 angelaufenen US-Serie «iZombie» ist es ein Energy-Drink-Produzent, der einen Zombievirus in die Welt setzt. Das ist originell. So richtig innovativ aber ist der Bruch der Serie mit dem alten Schema «Gute Menschen gegen böse Untote»: Der Zombie ist nämlich eine hübsche Gerichtsmedizinerin, die Verstand und Persönlichkeit besitzt, Mordfälle löst und Hirne gepflegt mit Stäbchen zu sich nimmt. Der untote Menschenfresser erscheint in neuem Format: Er wird vom gefürchteten Feind zum geschätzten Hauptdarsteller.
Im Mai 2019 startet die fünfte und letzte Staffel von «iZombie». Die Serie ist skurril und sehenswert – an «Santa Clarita Diet» kommt sie aber nicht heran. Mit Drew Barrymore wird der Zombie endgültig zur Identifikationsfigur. Und das in einer Story, die mit schwarzem Humor und parodistischen Referenzen gepfeffert ist. Ein alarmierendes Indiz, dass die Fressattacken ihren Höhepunkt überschritten haben.
Schluss also mit Zombies? In diesem Jahr noch nicht. Im Herbst startet die zehnte Staffel von «The Walking Dead». Und das ist gut
so. Trotz Übersättigungsgefahr und steigender Netflix-Abopreise: Ganz verzichten mag man auf die Biester dann doch nicht.
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