Am kommenden Mittwoch feiert das SRF-Polit- und Wirtschaftsmagazin «Rundschau» seinen 50. Geburtstag – mit ungewohntem Schwarz-Weiss-Bild im Dekor der ersten Sendung vom 10. Januar 1968. Und dem Moderator der ersten Sendung: Erich Gysling (heute 81). Zum Jubiläum erinnern sich drei Aushängeschilder an spezielle Momente: TV-Urgestein Gysling, sein Nachfolger und Erfinder des «Heissen Stuhls», Hannes Britschgi (62), heute Ringier-Publizist und Leiter der Ringier-Journalistenschule, und der heutige Frontmann Sandro Brotz (48).
SonntagsBlick: Erich Gysling und Hannes Britschgi, ist die «Rundschau» noch so gut wie zu Ihrer Zeit?
Erich Gysling: Ich halte nichts von Nostalgikern, die finden, früher sei alles besser gewesen. Die «Rundschau» hält bis heute Distanz und ist nicht oberflächlich geworden. Das ist gut so. Sie darf nicht zu einem Unterhaltungsmagazin werden.
Hannes Britschgi: Die Macht und der Einfluss der traditionellen Medien ist natürlich heute kleiner geworden, weil alle und jeder sich direkt über Social Media an ein Publikum wenden kann. Darum ist die Marke, der Absender von Information, heute viel wichtiger, um die Glaubwürdigkeit einschätzen zu können. Die «Rundschau» ist eine Marke, an der man sich orientieren kann. Sie hat eine hervorragende Rechercheredaktion. Mit viel Biss und hie und da einer Tendenz zum Überbeissen.
So viel Lob, da müssten Sie rot werden, Sandro Brotz.
Sandro Brotz: Natürlich höre ich das gern. Aber es ist auch eine Verpflichtung, dass wir die Substanz nicht verlieren.
Britschgi: Stimmt, die «Rundschau» hat eine Verpflichtung zur harten Recherche, gerade weil sie gebührenfinanziert und damit wirtschaftlich unabhängig ist.
Gerade jetzt steht die Rundschau aber in der Kritik wegen Einmischungen in den Prozess um Ignaz Walker, wo die journalistische Distanz verloren ging, was auch das Bundesgericht gerügt hat.
Brotz: Wir stehen 100 Prozent zu unserer Recherche. Ein Polit-Magazin muss auch Justiz-Kritik betreiben, das haben wir getan.
Britschgi: Hier möchte ich eine kritische Anmerkung machen. Manchmal wird überbissen. Das gehört zum Geschäft. Aber es ist nicht zwingend die Aufgabe der «Rundschau», die Arbeit der Strafuntersuchungsbehörde zu machen. Sagen zu wollen, was die Wahrheit ist, ist ein zu hoher Anspruch, auch für die «Rundschau».
In der Jubiläumssendung werden Erfolge gefeiert, zum Beispiel, wie die Migros wegen einer Sendung über ihre Tiefstlöhne einen Mindestlohn einführte. Weniger erfolgreich waren Enthüllungen über Steueroptimierungstricks von Bundesrat Johann Schneider-Ammann, als der heutige Wirtschaftsminister noch Chef der Ammann-Group war. Die Sache ging folgenlos vergessen. Frustriert es Sie, wenn die «Rundschau» heute weniger bewegt als früher?
Brotz: Bei Schneider-Ammann ist nicht nichts passiert. Ich erinnere mich, dass diese Geschichte heiss diskutiert und von allen Medien aufgenommen wurde. Es ist ja auch nicht so, dass wir einfach auf eine Person zielen, um sie aus dem Amt zu kippen. Es reicht, wenn unsere Recherchen zu einem Thema werden, was die steuersparenden Offshore-Konstrukte bis heute sind.
Früher zielte man sehr wohl auf den Mann: Der Uno-Hochkommissar für Flüchtlinge, der Waadtländer Jean-Pierre Hocké, trat 1989 wegen eines «Rundschau»-Beitrags zurück.
Gysling: Wir haben immer versucht, nicht auf den Mann zu spielen. Das ist uns aber nicht immer gelungen. Bei diesem Beitrag wurde lange diskutiert, ob er gesendet werden sollte. Unser Ziel war immer, Hintergründe zu liefern. Aber wir haben Fehler gemacht.
Welche?
Gysling: In der Frühzeit der «Rundschau» haben wir James Schwarzenbach und seine Überfremdungsinitiative völlig unterschätzt. Unsere selbstherrliche Meinung war: Diesen Extremisten lassen wir doch nicht zu Wort kommen. Erst als wir dafür schweizweit heftig kritisiert wurden, liessen wir Schwarzenbach in die Sendung.
Britschgi: Wir machten auch den Fehler, dass wir viele Geschichten gar nicht bemerkten. Zu meiner «Rundschau»-Zeit haben wir die ruinöse Hunter-Strategie der Swissair verpennt, die letztlich zu deren Ende führte.
Waren Sie damals obrigkeitsgläubiger als heute?
Brotz: Nein, das war nie so und ist auch heute nicht so. Wir schauen den Mächtigen auf die Finger und klopfen wenn nötig drauf.
Gysling: Im Gegenteil. Mit Bundesrat Adolf Ogi waren wir einmal sehr unfair. Er hatte zum damals ausbrechenden Krieg auf dem Balkan sinngemäss gesagt: «Ein bisschen sind die natürlich auch selber schuld. Die sollten auch mal selber dafür sorgen, dass sie Frieden haben.» An dieser Äusserung haben wir ihn in einem überkritischen Beitrag aufgehängt. Das war nicht nötig, wir hätten auch ganz sachlich berichten können.
Auf den Mann spielen, das war doch Konzept bei Ihnen, Hannes Britschgi, wenn Sie die Leute auf dem «heissen Stuhl» demontierten.
Britschgi: Da ging es doch nicht um Demontage. Wir gaben Leuten die Gelegenheit, sich kritischen Fragen zu stellen und ihre Sicht der Dinge zu erklären. Wir wollten nie jemanden fertigmachen, auch wenn das manchmal vielleicht die Erwartung des Publikums war.
Harte Interviews mit hartnäckigem Nachfragen sind bis heute das Markenzeichen der «Rundschau». Beim Interview mit dem syrischen Präsidenten Bashar al-Assad hat das nicht so recht geklappt. Ist Ihnen noch wohl mit diesem Interview, Sandro Brotz?
Brotz: Sicher. Es war eine spezielle Situation. Aber ich würde dieses Interview wieder machen.
Sie haben sich doch für Assads Propaganda einspannen lassen.
Brotz: Überhaupt nicht. Es ging darum, einen mutmasslichen Kriegsverbrecher mit seinen Taten zu konfrontieren. Wir haben die Bedingungen für das Gespräch transparent gemacht und es in den Kontext eingebettet.
Gysling: Das sehe ich genau so. Mehr kann man nicht machen. Ich hatte ja schon Bashar al-Assads Vater Hafez interviewt, das war genauso umstritten.
Britschgi: Das Interview hat wie unter einem Vergrösserungsglas die Ohnmacht der Journalisten gegenüber einem Kriegsverbrecher gezeigt. Trotzdem müssen wir es machen, wir dürfen nicht im Voraus kapitulieren.
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