Sein Gesicht kannten alle: Charles Raedersdorf (84) brachte vor 50 Jahren einen der grössten Strassenfeger des Schweizer Fernsehens in die Wohnstuben – die Mondlandung von Apollo 11. Die ganze Nation harrte in jener Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1969 vor den Bildschirmen aus, als Raedersdorf mit dem 25-jährigen Mathematiker Bruno Stanek (heute 75) das denkwürdige Ereignis im Zürcher Studio Bellerive begleitete. Die Landung begann um 21 Uhr, der Ausstieg der Astronauten war erst gegen 4 Uhr geplant. Fast eine Million Schweizerinnen und Schweizer – damals eine gigantische Zuschauerzahl – blieb wach oder stellte den Wecker.
BLICK: Als Neil Armstrong um 3.56 Uhr auf dem Mond sagte: «Dies ist ein kleiner Schritt für einen Menschen, aber ein riesiger Sprung für die Menschheit» – was ging Ihnen da durch den Kopf?
Charles Raedersdorf: Tausend Fragen. Wie tief wird er im Mondboden einsinken? Wie angespannt ist wohl der dritte Astronaut Michael Collins, der alleine um den Erdtrabanten kreist? Und was geht in den Familien der Astronauten vor? Es war ja überhaupt nicht sicher, ob die Astronauten lebend zur Erde zurückkehren würden. Die Risiken waren enorm.
Waren Sie auch auf das Schlimmste vorbereitet?
Wir waren auf alle Varianten gefasst. Die Spannung war fast unmenschlich. Ich habe meine Frau angerufen und ihr gesagt: «Jetzt steigen sie dann aus. Bleib wach, verpasse diesen einmaligen Moment nicht!»
Stimmt es eigentlich, dass es Zuschauer gab, die glaubten, Sie seien selber auf dem Mond gewesen?
(Lacht) Ich weiss nur, dass mir unser zweijähriger Sohn am anderen Tag sagte: «Papi, isch es schön gsi uf em Mond mit em Bruno?»
Warum war die Mondlandung damals so faszinierend?
Es war seit jeher ein Traum der Menschheit, den Mond zu erreichen. Wir waren alle mondsüchtig. Es ging immer auch um die Rolle unserer Existenz im Universum. Und dann herrschte auch seit Jahren ein Wettlauf zwischen den USA und der UdSSR, wer zuerst auf dem Erdtrabanten sein würde. Alle fragten sich: Welche Flagge «weht» zuerst auf dem Mond? Aus Schweizer Sicht faszinierte auch das Experiment der Uni Bern. Die Astronauten hatten ein Segel dabei, mit dem der Sonnenwind analysiert werden sollte.
Es herrschte ein regelrechter Mond-Hype?
Ja, schon damals gab es Leute, die darüber spekulierten, ob alles nur eine Hollywood-Inszenierung sei. Alle versuchten, einen der wenigen Plätze vor einem TV-Apparat zu ergattern. Man muss sich vor Augen halten: Damals gab es nur 1,1 Millionen TV-Konzessionen in der Schweiz und gerade mal 25'000 Farbfernseher.
Apropos Verschwörungstheorien: Diese halten sich ja bis heute.
Ja, und sie sind grosser Blödsinn. Für mich sind das die gleichen Leute, die Genozide infrage stellen. Bei der Mondlandung waren ja viele Tausend Wissenschaftler beteiligt. Wenn alles eine Lüge gewesen wäre, hätte bestimmt einer ausgepackt. Und beim Start der Saturn-Rakete waren ja ganze Menschenmassen Augenzeugen.
Später haben Sie eine andere Rakete gezündet – Sie halfen als Delegierter für Humanitäre Hilfe und Chef des Katastrophenhilfekorps weltweit vielen Menschen.
Ja, ich habe die Sonnen- und Glamourseite des Fernsehens verlassen, lernte die Schatten-und Katastrophen-Seite des Lebens kennen. Zu den prägendsten Erlebnissen gehört dabei sicher der Einsatz mit der Rettungskette nach dem Erdbeben 1988 in Armenien, das sich damals noch hinter dem Eisernen Vorhang befand. Aber auch die Genozide in Ruanda und Burundi oder die Massaker im Balkankrieg werden nie aus meinem Kopf verschwinden. Grossartig bleiben die Erinnerungen an die Kolleginnen und Kollegen der Humanitären Hilfe SKH, aber auch an die Angehörigen des Freiwilligen-Korps.
Wie hat Sie das Leid geprägt, das Sie gesehen haben?
Wenn man helfen will, darf man nicht emotional reagieren. Man muss den Auftrag erfüllen. Die Reaktionen kamen meist erst nach dem Einsatz. Ich habe mich oft gefragt: Es gibt schon genügend Naturkatastrophen, die uns ohnmächtig zurücklassen – warum muss der Mensch zusätzliche humanitäre Krisen verursachen und erst noch unmenschlich handeln?
Wie hat sich die Katastrophenhilfe in den letzten Jahren verändert?
Dank der Ausbildungsbemühungen des Bundes in der Humanitären Hilfe sind in diversen Ländern ähnliche Organisationen aufgebaut worden. Das bedeutet, dass Staaten bei Katastrophen mit eigenen Mitteln sofort reagieren können. Unbedingt verhindert werden muss, dass die Humanitäre Hilfe des Bundes ins politische Gerangel einbezogen wird. Sie könnte dann nicht mehr schnell, autonom und effizient handeln. Ist sie doch eines der wirksamsten Instrumente unserer Aussenpolitik.
Sie haben die Armut dieser Welt kennengelernt. Gerade der Mondlandung wurde vorgeworfen, es sei zu viel Geld verpulvert worden.
Das sehe ich anders. Neben der Miniaturisierung im technischen Bereich – bei der IT oder zum Beispiel in der Medizin – hat die Entwicklung der Satellitentechnik auch in der Humanitären Hilfe geholfen. Zum Beispiel bei der Ortung von Wasserreserven.
Was sagen Sie zu Plänen, wieder zum Mond zu fliegen?
Wenn der Mond künftig als Trampolin zum Mars genutzt wird, ist es sicher von wissenschaftlichem Nutzen. Touristischen Mondreisen gegenüber bin ich aber kritisch eingestellt. Was bringt es zu sagen: Ich war für teures Geld auf dem Mond? Der Allgemeinheit bringt das nichts.
Sie sind jetzt 84 – wirken aber munter. Wie geht es Ihnen?
Ich und meine Frau sind glücklich, dass es uns noch gut geht und wir weltweit reisen dürfen, wie kürzlich nach Indien.
Wären Sie eigentlich gerne selber Astronaut geworden und zum Mond geflogen?
Vom Interesse her – ja. Ich hätte aber die enorme Belastung meiner Familie nicht zumuten wollen.
Welches war der emotionalste Moment während der Mondlandung vor 50 Jahren?
Nachdem wir die Sendung abgeschlossen hatten, gingen wir an den See. Es war ein klarer Morgen, man sah den Mond leuchten. Ich sagte mir: Auf dem Mond, im Mare Tranquillitatis, rund 385'000 Kilometer entfernt, sitzen zum ersten Mal zwei Menschen, über deren Mondlandung wir soeben berichtet haben. Wir waren müde, hatten aber Hühnerhaut.
Der 1936 in Bern geborene Charles Raedersdorf machte eine Verwaltungslehre beim Bund. Ab 1966 wurde er Redaktor, Journalist und Moderator beim Schweizer Radio und Fernsehen. Von 1968 bis 1972 kommentierte er die Apollo-Missionen fürs Schweizer Fernsehen. Von 1988 bis zu seiner Pensionierung 2001 war er Leiter der Humanitären Hilfe und Chef des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps. Raedersdorf ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.
Der 1936 in Bern geborene Charles Raedersdorf machte eine Verwaltungslehre beim Bund. Ab 1966 wurde er Redaktor, Journalist und Moderator beim Schweizer Radio und Fernsehen. Von 1968 bis 1972 kommentierte er die Apollo-Missionen fürs Schweizer Fernsehen. Von 1988 bis zu seiner Pensionierung 2001 war er Leiter der Humanitären Hilfe und Chef des Schweizerischen Katastrophenhilfekorps. Raedersdorf ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.