Tina Turner über den Suizid ihres Sohnes
«Craig war eine verzweifelte Seele»

Nur dank der Nierenspende ihres Mannes ist Tina Turner (78) noch am Leben. Nicht der einzige Schicksalsschlag für die Rocklady: diesen Sommer nahm sich ihr Sohn Craig (†59) das Leben. Teil 2 des exklusiven Vorabdrucks ihrer Biografie im BLICK.
Publiziert: 07.10.2018 um 03:10 Uhr
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Aktualisiert: 25.04.2019 um 10:19 Uhr
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Ihr traurigster Moment als Mutter: Tina Turner nimmt vor der Küste Kaliforniens Abschied von ihrem Sohn.
Foto: Instagram

«Hallo, meine Liebe. Ich wollte nur deine Stimme und dein ganz besonderes Lachen hören.» Ich musste schmunzeln, als mein Sohn Craig das sagte, denn gemeinsam hatten wir oft darüber gewitzelt, dass er mich «meine Liebe» nannte. Wer nennt seine Mutter schon so? Unser Gespräch an jenem Tag erschien mir wie ein ganz normaler Austausch von Neuigkeiten zwischen einer Mutter und ihrem Sohn. Nicht weiter aussergewöhnlich. Es war Mitte Juni; Craig befand sich in Los Angeles, ich mich in der Schweiz. Wir freuten uns schon auf seinen Besuch, der für den August geplant war und an dem wir seinen bevorstehenden sechzigsten Geburtstag feiern wollten. An manchen Abenden führten wir wirklich lange Telefonate. Gelegentlich sahen wir uns dabei einen kompletten Film an, über den wir dann lustige Bemerkungen machten.

Dieses Gespräch gehörte jedoch nicht dazu. Craig erzählte mir von einer Frau, die er kennengelernt hatte und die Gefühle in ihm wachrief, wie er sie seit Jahren nicht mehr empfunden hatte. «Ich bin wirklich glücklich, Mutter», sagte er. Weil er meiner Ansicht nach viel zu oft allein war, freute ich mich sehr für ihn. Ausserdem erwähnte er, dass er gleich zum Chanten gehen werde, was mich ebenfalls freute. Das Chanten öffnet den Geist, das Herz und die Seele. Als wir uns verabschiedeten, sagte er mir noch: «Du machst mir Mut, weisst du das? Du gibst mir richtig gute Tipps.» Unsere liebevollen Worte und das zwanglose Geplänkel kamen mir damals völlig harmlos vor. Es machte das, was dann geschah, noch viel schrecklicher.

Die Schocknachricht kam per Telefon

Der 3. Juli 2018 versprach, ein herrlicher Tag zu werden. Erwin und ich feierten unseren fünften Hochzeitstag, und ich fühlte mich stark genug, um nach Paris zur Modenschau meines Freundes Giorgio Armani zu reisen. Da ich mich von der Nierentransplantation nur mühevoll, mit vielen Auf und Ab erholt hatte, war ich begeistert über jede sich bietende Möglichkeit, etwas Unbeschwertes zu erleben. Wir assen mit Freunden zu Abend, unterhielten uns und lachten viel. Als Erwin und ich ins Hotel zurückkehrten, wollte ich mich nur noch schlafen legen, da ich sehr müde war.

Woran ist Craig gestorben?

Erwin checkte noch unsere Nachrichten und spielte die unseres Beraters vor. Sie betraf Craig und begann mit den Worten: «Stell die Mithörfunktion aus!» Erwin tat es und ging mit dem Telefon ins Nebenzimmer. Ach, in was ist Craig denn nun wieder hineingeraten?, fragte ich mich. Ich dachte dabei an ein Auto, das er zu Schrott gefahren hatte, oder andere Probleme dieser Art. Als Erwin wieder ins Zimmer kam, wirkte er tief erschüttert. Er sagte mir, dass Craig gestorben sei. Nicht bei einem Unfall, den ich als besorgte Mutter ständig befürchtete. Nein, mein Sohn hatte sich selbst getötet. Er hatte sich erschossen. Ich hörte zwar, was Erwin noch sagte, aber ich verstand es nicht. Ich war wie erstarrt. «Bitte, lass es nicht wahr sein», betete ich. Was dann geschah, weiss ich nicht mehr. Keine Ahnung, was ich dachte oder fühlte. Ich weinte und schrie, dass ich es nicht glauben könne. In meinem Herzen ein stechender Schmerz. Die Nacht war furchtbar, ich war den schlimmsten Gefühlen ausgesetzt, die man sich nur vorstellen kann. Hinzu kamen Fragen, endlose Fragen. Warum nur? Warum?

Weltstar und Mutter

Sie ist seit ihrer Einbürgerung 2012 in Küsnacht ZH der grösste Weltstar der Schweiz: Tina Turner. Dass die auch mit 78 vor Energie strotzende Rocklady überhaupt noch lebt, ist ein Wunder. Ein Wunder der Liebe. Ihr Ehemann, der ehemalige Musikmanager Erwin Bach (62), spendete ihr vergangenes Jahr eine Niere – und rettete sie damit vor dem Tod. Es ist nicht der einzige Schicksalsschlag für Tina Turner. Diesen Sommer setzte ihr Sohn Craig seinem Leben ein Ende: «Mein traurigster Moment als Mutter.»

Für ihre Kinder hatte die Sängerin nicht so viel Zeit, wie sie sich gewünscht hätte. Das Leben auf Tour habe sie sich nicht ausgesucht: «Es war unser Broterwerb.» Sie stand mit ihrem Mann Ike Turner (1931–2007) auf der Bühne, der sie zum Star machte, aber zugleich misshandelte. Ihr verstorbener Sohn Craig (†59) stammt aus einer Affäre mit dem Saxofon-Spieler Raymond Hill, während Sohn Ronnie (57) das einzige biologische Kind mit Ike Turner ist. Ike Jr. (60) und dessen Bruder Michael (59) stammen aus Ike Turners erster Ehe mit Lorraine Taylor und wurden von Tina Turner adoptiert.  

Sie ist seit ihrer Einbürgerung 2012 in Küsnacht ZH der grösste Weltstar der Schweiz: Tina Turner. Dass die auch mit 78 vor Energie strotzende Rocklady überhaupt noch lebt, ist ein Wunder. Ein Wunder der Liebe. Ihr Ehemann, der ehemalige Musikmanager Erwin Bach (62), spendete ihr vergangenes Jahr eine Niere – und rettete sie damit vor dem Tod. Es ist nicht der einzige Schicksalsschlag für Tina Turner. Diesen Sommer setzte ihr Sohn Craig seinem Leben ein Ende: «Mein traurigster Moment als Mutter.»

Für ihre Kinder hatte die Sängerin nicht so viel Zeit, wie sie sich gewünscht hätte. Das Leben auf Tour habe sie sich nicht ausgesucht: «Es war unser Broterwerb.» Sie stand mit ihrem Mann Ike Turner (1931–2007) auf der Bühne, der sie zum Star machte, aber zugleich misshandelte. Ihr verstorbener Sohn Craig (†59) stammt aus einer Affäre mit dem Saxofon-Spieler Raymond Hill, während Sohn Ronnie (57) das einzige biologische Kind mit Ike Turner ist. Ike Jr. (60) und dessen Bruder Michael (59) stammen aus Ike Turners erster Ehe mit Lorraine Taylor und wurden von Tina Turner adoptiert.  

Der kleine Mensch sehnte sich nach seiner Mutter

Ich will ehrlich sein, auch ehrlich zu mir selbst. Craig war eine verzweifelte Seele. Ich sehe ihn vor mir, den kleinen Jungen von vielleicht zwei, drei Jahren, der sich nichts mehr wünschte, als auf meinem Schoss zu sitzen, aber von Ike auf sein Zimmer geschickt wurde. Dieser kleine Mensch konnte sich noch nicht äussern, wie sehr er sich nach seiner Mutter sehnte, wie sehr ich ihm fehlte, wenn ich fort war. Doch er hatte es auf seine Weise ausgedrückt. Ich hatte mir dieses Leben auf Tour nicht ausgesucht. Es war unser Broterwerb. Kaum hatte Craig sich an meine Anwesenheit gewöhnt, war es Zeit, wieder aufzubrechen, und er blieb erneut allein zurück. Mutter ist wieder fort. Und obwohl meine Schwester, meine Mutter oder eine vertraute Kinderfrau für ihn da waren, gab es für Craig nur eins: Er wollte zu seiner Mutter.

Ich glaube, diese Erinnerungen haben Craig sein Leben lang begleitet. Als er älter wurde und ich allein auftrat, arrangierte ich es so, dass er in meiner Nähe bleiben konnte. Ich nahm ihn sogar mit auf Tournee. Craig hatte jedoch Schwierigkeiten, sich ins Team einzufügen, weil alles nach seinem Kopf gehen sollte. Das war wohl die Zeit, in der er zu trinken begann. Irgendwann stiess er zu den Anonymen Alkoholikern, die ihm offenbar halfen. Seine Einsamkeit und Unsicherheit kehrten allerdings immer wieder zurück.

Und plötzlich umfing Craig erneut die Dunkelheit

Besuchte Craig mich in Frankreich und später in der Schweiz, wurde er ganz still und traurig, sobald der Tag seiner Abreise näher rückte und er wieder nach Los Angeles zurück musste. «Jetzt ist dieses Gefühl wieder da», sagte er dann und meinte seine Einsamkeit. Wann immer er davon sprach, versuchte ich, ihn zu trösten. «Mein Schatz, wenn es dir so geht, musst du etwas dagegen tun. Such dir eine Frau, mit der du leben kannst. Heirate sie. Du musst vergessen, was früher einmal geschehen ist. Das Leben verändert sich ständig.» Damit wollte ich ihm vor Augen führen, wie es bei mir aufwärts gegangen war, nachdem ich Ike verlassen hatte. Er versicherte mir, er würde daran arbeiten. Und ich glaubte ihm.

Ich gewann den Eindruck, er hätte Fortschritte gemacht, als ich von ihm hörte, wie glücklich er mit seinem neuen Arbeitsplatz, seiner Freundin und seinem neuen Zuhause sei, das er gerade renoviert hatte. Warum aber hatte ihn an diesem Punkt in seinem Leben erneut die Dunkelheit umfangen? Womöglich hatte er wieder zu trinken begonnen – offenbar befanden sich leere Schnapsflaschen in seiner Wohnung, als er starb. Vielleicht hatte er deshalb auf den Abzug gedrückt. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass er eine Waffe besass, und fragte Ronnie, meinen jüngeren Sohn, woher sie stammte. Es ist eine schreckliche Ironie der Geschichte, dass sie einmal Ma gehörte. Nach ihrem Tod hatte Craig sie an sich genommen und bei sich aufbewahrt. Unter Umständen hatte er schon damals die Vorstellung gehabt, dass er eines Tages Verwendung für die Waffe finden könnte.

«My Love Story»

Das Buch, aus dem BLICK exklusiv Auszüge veröffentlicht, erscheint in der deutschen Version offiziell am 15. Oktober. Geschrieben haben es US-Bestsellerautorin Deborah Davis und der renommierte deutsche Journalist und Buchautor Dominik Wichmann, der unter anderem Chefredaktor des «Süddeutschen Magazins» und des «Sterns» war. Sie arbeiteten eng mit Tina Turner zusammen, führten stundenlange Gespräche mit ihr und stellten eigene Recherchen an. Vor über 30 Jahren hatte die Pop-Queen bereits «Ich, Tina» veröffentlicht – warum also kurz vor dem 80. Geburtstag nochmals eine Biografie? «Ich habe seither so viel erlebt», sagt sie, «und manches konnte und wollte ich damals nicht erzählen.» 

Das Buch, aus dem BLICK exklusiv Auszüge veröffentlicht, erscheint in der deutschen Version offiziell am 15. Oktober. Geschrieben haben es US-Bestsellerautorin Deborah Davis und der renommierte deutsche Journalist und Buchautor Dominik Wichmann, der unter anderem Chefredaktor des «Süddeutschen Magazins» und des «Sterns» war. Sie arbeiteten eng mit Tina Turner zusammen, führten stundenlange Gespräche mit ihr und stellten eigene Recherchen an. Vor über 30 Jahren hatte die Pop-Queen bereits «Ich, Tina» veröffentlicht – warum also kurz vor dem 80. Geburtstag nochmals eine Biografie? «Ich habe seither so viel erlebt», sagt sie, «und manches konnte und wollte ich damals nicht erzählen.» 

Eine rote Rose als letzter Gruss

Dass er seine Selbsttötung genau geplant hatte, war für mich eine entsetzliche Vorstellung. Allein der Gedanke. Dann die Vorbereitungen. Und anschliessend die Umsetzung. Er hatte Briefe geschrieben, mir versichert, dass er mich liebte, Anweisungen für seine Bestattung gegeben und Dinge verschenkt. Ich organisierte einen kleinen privaten Gottesdienst in Los Angeles nur für Familienangehörige und ein paar enge Freunde. Mir war wichtig, dass Craig so in Erinnerung blieb, wie er gelebt hatte, und nicht, wie er gestorben war. Der Raum war voller weisser Blumen und zahlloser Fotos von Craig mit seinem gewinnenden Lächeln. Da er nach seinem Highschool-Abschluss in der Marine gedient hatte und ehrenhaft entlassen worden war, gab es für ihn, den Veteranen, ein Begräbnis mit militärischen Ehren, mit dem Hissen der US-Flagge und dem intonierten Signalruf «Taps». Gerührt musste ich daran denken, wie stolz er auf dieses Zeremoniell gewesen wäre. Zum Abschluss bestiegen wir ein Boot und verstreuten, wie schon bei meiner Mutter und meiner Schwester, Craigs Asche im Meer vor der kalifornischen Küste. Als letzten Gruss warf ich eine rote Rose zu ihm ins Wasser.

Ich wollte nur wenige Dinge von Craig aufbewahren. Seine Brille war ein solches Erinnerungsstück – ich hatte ihn immer damit aufgezogen, wie komisch sie ihm auf der Nase sass. Und die Fotos, die er bei seinen Besuchen bei uns in Frankreich und in Zürich aufgenommen hatte. In meinem Gebetsraum werde ich einen kleinen Schrein einrichten, damit mein Sohn in den Momenten, in denen ich ruhe, bei mir ist. Ich versuche, ihn in meiner Nähe zu halten. Er war zwar schon neunundfünfzig, als er starb, aber er wird immer mein kleines Baby bleiben.

Irgendwie werde ich es überstehen, das weiss ich. Ich bin stark. Wenn ich doch nur einen Teil meiner Kraft an Craig hätte weitergeben können! Oder wenn er sie nur in sich selbst gefunden hätte! Aber eigentlich wünsche ich mir nichts weiter, als wieder die Stimme meines Sohnes zu hören, wie er «meine Liebe» zu mir sagt.

Lesen Sie morgen im BLICK: Tina Turner und die Schweiz.

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