Kein Journalist ist Tina Turner (78) so nahe gekommen wie ihr Biograf Dominik Wichmann (47). Er hat zusammen mit der US-Bestsellerautorin Deborah Davis «My Love Story» geschrieben, die Autobiografie, die nächste Woche in über 25 Ländern erscheint und aus der BLICK in den vergangenen Tagen exklusiv Vorab-Auszüge publizierte.
Wichmann, ein präziser Rechercheur mit feinsinnigem Schreibstil und eleganten Umgangsformen, traf Tina Turner über ein Dutzend Mal zu langen Begegnungen. Diese fanden in ihrem Château Algonquin in Küsnacht ZH statt, aber auch am Spitalbett in der Uniklinik Basel. Zudem telefonierten sie stundenlang miteinander. Eines der intensivsten Gespräche führte er im vergangenen Juli, kurz nachdem Tina Turner vom Suizid ihres Sohnes Craig (†59) erfahren hatte.
Der Münchner Wichmann war unter anderem Chefredaktor des «Magazins der Süddeutschen Zeitung» und des «Stern». Als Mitgründer arbeitet er heute bei der Content-Marketing-Firma Looping Group. Am Tag nach dem Gespräch mit BLICK fuhr er ins Hotel Dolder, wo Tina Turner die TV-Stationen CBS und BBC empfing.
Die Autobiografie «My Love Story» haben Dominik Wichmann und Deborah Davis in enger Zusammenarbeit mit Tina Turner geschrieben. Sie hatte das Vetorecht über Fakten, die sie nicht publik machen wollte, und gab am Ende grünes Licht. Die deutsche Version kommt am 15. Oktober in den Handel. Lesen Sie erste Auszüge hier.
Die Autobiografie «My Love Story» haben Dominik Wichmann und Deborah Davis in enger Zusammenarbeit mit Tina Turner geschrieben. Sie hatte das Vetorecht über Fakten, die sie nicht publik machen wollte, und gab am Ende grünes Licht. Die deutsche Version kommt am 15. Oktober in den Handel. Lesen Sie erste Auszüge hier.
BLICK Dominik Wichmann, wie war es, die Autobiografie von Tina Turner zu schreiben?
Dominik Wichmann Grossartig, interessant und auch anstrengend.
Wieso anstrengend?
Fordernd war es, weil ich Tina Turner in vielen Momenten begleitet habe, als es ihr nicht so gut ging. Ich war mehrmals bei ihren Spitalbesuchen dabei, das geht einem natürlich nahe. Auf der andern Seite hat sie ein unglaublich optimistisches und zuversichtliches Gemüt und ist ein positiver Mensch. Das hat auch mir viel Kraft gegeben. Es war ein anstrengendes Vergnügen.
Wie wird man Biograf einer Tina Turner?
Durch Zufall habe ich bei einer Oldtimer-Rallye ihren Ehemann Erwin Bach kennengelernt. Er sagte, seine Frau denke über eine neue Autobiografie nach, da die letzte ja über 30 Jahre zurückliegt und seither sehr vieles passiert ist. Tina Turner wolle die Deutungshoheit über ihre Geschichte erlangen und auch Gerüchten entgegenwirken. Auf mich war er aufmerksam geworden, weil ich die Autobiografie von Guido Westerwelle geschrieben hatte, dem früheren deutschen Aussenminister, der an Leukämie erkrankt war und daran starb. Allerdings fand ich es schwierig, als weisser Mann aus Mitteleuropa einer amerikanischen schwarzen Frau aus Tennessee die Stimme zu geben. Deshalb holte ich die US-Starjournalistin Deborah Davis als Co-Autorin an Bord.
Sie lernten Tina Turner also kennen, als sie schon todkrank war?
Es war mitten in ihrer Krankheit, aber einige Zeit vor der Nierentransplantation. Sie hat in den vergangenen fünf Jahren ja ein wirklich tiefes Tal durchschritten. Wenige Monate nach ihrer Hochzeit 2013 mit Erwin Bach erlitt sie einen Schlaganfall, damit begann eine Kaskade an Tiefschlägen. Sie ist zwar aus jedem Tal wieder hervorgestiegen und hat die nächste Anhöhe erklommen – aber danach folgte der nächste Tiefschlag. An den Schlaganfall reihte sich der Darmkrebs, an diesen die Diagnose der chronischen Niereninsuffizienz. Ohne die Nierenspende ihres Ehemanns Erwin Bach wäre sie heute wahrscheinlich nicht mehr unter uns. Und dieses Jahr dann der nächste Schicksalsschlag mit dem Suizid ihres Sohnes Craig. Die Zeit, die hinter ihr liegt, ist bei Gott nicht beneidenswert.
Wie muss man sich das vorstellen: Führten Sie Tina Turner diskret durch den Hintereingang ins Spital und interviewten sie am Krankenbett?
Ich habe sie in der Tat bei Spitalbesuchen begleitet, in Zollikon, wo mehrfach die Woche eine Dialyse durchgeführt wurde, also eine Blutreinigung, und auch in die Uniklinik Basel, wo die Nierentransplantation stattfand. Da möchte ich etwas sagen, das ich an der Schweiz bewundere, grossartig finde: Hier wird die Privatsphäre respektiert, viel mehr als etwa in England oder den USA. Natürlich gab es in den Spitälern Leute, die Tina Turner erkannt haben, sie schlich ja nicht durch Geheimgänge. Durch die Zurückhaltung der Menschen blieben die Spitalbesuche weitgehend privat, und Tina Turner konnte sich in Ruhe erholen.
Wie geht es ihr heute?
Wie sich Ärzte gern ausdrücken: den Umständen entsprechend gut. Sie wird in wenigen Wochen 79 Jahre alt – das würde man ihr nie geben. Sie ist fit und sieht hervorragend aus. Nichtsdestotrotz ist sie eine ältere Dame und hat eine schwerwiegende Operation hinter sich, die für jeden Körper sehr fordernd ist.
Tina Turner hat eine «Kaskade an Tiefschlägen» durchlitten, wie Sie es nennen. Woher nimmt Sie den Lebensmut und die Energie, sich immer wieder emporzuarbeiten?
Ihre erste Lebenshälfte war von der sehr dramatischen Ehe mit Ike Turner geprägt. Bei der zweiten steht diese wirklich beeindruckende und anrührende Liebesgeschichte mit Erwin Bach im Zentrum. Den beiden hat nichts Besseres passieren können, als dass sie sich gegenseitig kennengelernt haben. Er tut ihr wahnsinnig gut und sie ihm.
Die Liebe also …
… ist ein ganz wichtiger Faktor, ja. Aber es gibt auch anderes, das sie so stark und optimistisch macht. Ganz wichtig ist die Selbstbestimmung einer Frau, die gesagt hat: Ich bin weder das Anhängsel von Ike Turner noch der Musikindustrie – ich entscheide selbst, was mich glücklich macht. Und was mich unglücklich macht, das lege ich ab. Die zweite Quelle ist mit Sicherheit ihr Glaube. Sie ist sehr spirituell, eine gläubige Buddhistin. Die dritte Quelle ist ihr Sinn für Ästhetik, der sich in der Musik äussert, aber auch in ihrem Zuhause, in der Art, womit sie sich umgibt. Es ist die Kraft des Schönen. Diese Quellen, soweit ich das beurteilen kann, sind ursächlich dafür, dass Tina Turner immer noch auf zwei Beinen steht – mit einer Stärke, wie man es sich kaum vorstellen kann angesichts dessen, was hinter ihr liegt.
Oft bauen Biografien auf Skandalen auf oder schmutzigen Geheimnissen, die ans Licht kommen. «My Love Story» ist eher ein trauriges Buch.
Es ist kein Skandalbuch, da haben Sie vollkommen recht. Aber es ist auch kein trauriges Buch. Sie wollte mit uns Autoren gemeinsam über ihr Leben nachdenken. Tina Turner, die seit über 60 Jahren auf der Bühne steht, eine der erfolgreichsten Musikerinnen aller Zeiten – diese Frau sitzt im Spital Zollikon auf dem Dialysestuhl und nimmt dies zum Anlass, ihr Leben zu reflektieren. Da gibt es dunkle Momente, aber auch viele, viele positive Erlebnisse. Es ist eher ein Buch, das Mut macht, Zuversicht verleiht und an sehr vielen Stellen, das hoffe ich zumindest, auch zum Schmunzeln und Lachen anregt. Denn das ist Tina Turner: eine positive, unglaublich energiegeladene, kraftvolle Frau, die sich in der Mitte ihres Lebens entschieden hat, eine selbstbestimmte Frau zu sein und sich das zu nehmen, was sie wirklich will. Damit kam letztlich das Glück in ihr Leben und die Zuversicht – trotz aller Krankheiten, die später folgten.
Nächstes Jahr wird Tina Turner 80. Plant sie ein Comeback?
Da muss ich Sie enttäuschen. Mir sagte sie auf diese Frage, sie sei zurückgetreten, im Ruhestand. Man kennt diese Äusserungen natürlich von vielen Popstars, die dann doch den Rücktritt vom Rücktritt verkünden. Aber ich gehe davon aus, dass bei ihr das nicht der Fall sein wird. Tina Turner braucht die Bühne nicht mehr unbedingt und auch keinen neuen Song. Sie wird keine Welttournee mehr starten. Dafür würde ich beinahe meine Hand ins Feuer legen. Sie ist glücklich, so wie es ihr jetzt geht.
Schluss der Serie über Tina Turner
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