Das Konzept des Regieduos Helgard Haug und Stefan Kaegi von Rimini Protokoll orientiert sich wie immer an der Wirklichkeit. Für die Moderation ihres Dokumentartheaterstücks «Weltzustand Davos» haben sie fünf Fachleute eingesetzt, die den Abend souverän moderieren: den Soziologen Ganga Jey Aratnam, den Lungenarzt Otto Brändli, den ehemaligen Davoser Landammann Hans Peter Michel, Sofia Sharkova, die Leiterin eines Non-Profit-Vereins zur Förderung von Unternehmerinnen, und Cécile Molinier, die 20 Jahre für das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen gearbeitet hat.
Das Publikum setzt sich zusammen aus real existierenden CEOs von Unternehmungen, die am World Economic Forum (WEF) teilnehmen. Die meisten sind Männer aus Europa und Nordamerika, die zu wissen meinen, was für die ganze Welt nötig und gut ist.
Jeder Zuschauer findet unter seinem Sitz ein Dossier mit den Angaben zum CEO und zum Unternehmen, das er vertritt. Jeder hat rund 100'000 Franken bezahlt, um in Davos dabei zu sein.
Die Kulisse in der Box des Schiffbaus ist eindrücklich: Um eine ovale Arena, ähnlich einem Eishockeystadion, in dem dann am Schluss fast bis zur Erschöpfung auch wirklich gespielt wird, sitzt das Publikum. Hinter seinem Rücken erheben sich Berge vor einem wolkenlosen Himmel (Bühne: Dominic Huber).
Und schon gehts los, im Helikopter von Dübendorf ins verschneite Davos (Video: Mikko Gaestel), wo die schauspielernden und moderierenden Experten im ständigen Austausch mit dem CEO-Publikum WEF-Geschichten seit dem Gründungsjahr 1971 erzählen, die teilweise unter die Haut gehen.
Es sind keine moralisierende, sondern sachlich dargelegte Geschichten, die man zu hören bekommt, Geschichten aber, die hartnäckig danach fragen, was denn höher zu werten, was denn mächtiger sei: wirtschaftliche oder politische Interessen.
Am WEF selber gehen Politik und Wirtschaft Hand in Hand. An welcher Überheblichkeit seine Elite leidet, zeigt sich am Gründer und Präsidenten Klaus Schwab. In Anspielung auf die Geschichte der Gemeinde Davos bezeichnet er sein WEF in einem Filmausschnitt als Sanatorium, wo nach den Tuberkulosekranken nun die Welt von ihren Gebrechen geheilt werden kann.
Die Zuschauer erleben diese Spannung zwischen Politik und Wirtschaft, indem sie nicht nur einen CEO verkörpern, sondern auch die Flagge eines UNO-Mitgliedlandes in ihren Unterlagen haben. Im Schlusshockeyspiel dieses bunten und mitunter witzigen Abends können sie Farbe bekennen: Wer hält seine Firma hoch, wer seinen Staat? Wo die Mehrheit liegt, bleibt unklar.
Verfasser: Karl Wüst, sfd
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